Zum Tod von Spiros Simitis: Über die Errungenschaften eines großen Datenschützers
Spiros Simitis, Wegbereiter des deutschen und europäischen Datenschutzes, ist gestorben. Was hätte er wohl zu den aktuellen Plänen gesagt, gigantische Mengen an Patientendaten der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen?

Gerade jetzt hätte ich Spiros Simitis gerne nach seiner Meinung gefragt. Denn aktuell stehen wir vor einem gewaltigen Umbruch im Umgang mit unseren Daten: Es geht um Gesundheitsdaten. Daten, die etwas über unseren psychischen und körperlichen Zustand aussagen. Es gibt kaum noch persönlichere Daten. Doch sie sollen künftig ohne unsere Einwilligung für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. Vielleicht dürfen wir dem widersprechen. Aber sicher ist das noch nicht.
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- Die Geburt des Datenschutzrechts
Das Europäische Parlament debattiert derzeit, ob Bürgerinnen und Bürger den Zugriff der Wissenschaft auf ihre Gesundheitsdaten untersagen dürften. Die EU-Kommission sah in ihrem Vorschlag für den europäischen Gesundheitsdatenraum kein Widerspruchsrecht vor. Warum auch? Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verschafft der Forschung einen privilegierten Zutritt.
Konstruktionsfehler in der Datenschutzgrundverordnung
Im Moment sieht alles danach aus, dass es ein Opt-out geben wird. Das heißt: Grundsätzlich werden alle Daten der Forschung zur Verfügung gestellt, man darf widersprechen – wenn man sich das traut. Das sieht auch ein Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für die Elektronische Patientenakte (ePA) vor.
Wird auf europäischer Ebene das Opt-out für die höchst sensitiven Daten etabliert, wird das als Präzedenzfall für alle weiteren geplanten Datenräume gelten. Mobilität steht als Nächstes an, weitere Datenräume werden folgen.
Dass die Datenschutzgrundverordnung den Bürgern kein Widerspruchsrecht, geschweige denn das Recht zur Einwilligung einräumt, war schon während der Verhandlungen im Europäischen Parlament absehbar. Bereits damals war für den Juristen und Datenschutzexperten Spiros Simitis klar, dass dieser Konstruktionsfehler in der DSGVO noch ein Problem werden würde.
Das "Ende einer Ära"
Simitis starb vor wenigen Tagen, am 18. März 2023, nach langer, schwerer Krankheit mit 88 Jahren. Die Datenschutz-Community trauert um ihn. Sein Nachfolger im Amt des hessischen Datenschutzbeauftragten, Alexander Roßnagel, nennt ihn "einen der größten Wegbereiter und Gestalter der informationellen Selbstbestimmung in Hessen, Deutschland und Europa". Das "Ende einer Ära", erkennt auch die Datenschutzkonferenz von Bund und Ländern in ihrer Pressemitteilung zu Simitis Tod.
Simitis prägte die Entwicklung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in den vergangenen Jahrzehnten wie kaum ein Zweiter. Alles begann damit, dass in den 1960er Jahren die Wissenschaft von der Kybernetik fasziniert war, auch die Juristen entdeckten damals die mathematische Logik. "Es gab die Hoffnung, dass man der politischen Rhetorik mit rational begründeten Aussagen etwas entgegensetzen könne", erzählte Simitis mir in einem unserer letzten Gespräche.
Kybernetische Steuerungsfantasien des Staates
Was heute unter den Schlagworten Digitalisierung und Transformation diskutiert wird, waren damals die sogenannten kybernetischen Maschinen. Als IBM und Siemens den Vertrieb ihrer ersten kommerziellen Großcomputer starteten, hätten Länder wie Baden-Württemberg und Hessen immer lauter und intensiver darüber nachgedacht, "zentrale Datenbanken zu errichten, in denen möglichst alle Angaben der Bürgerinnen und Bürger sein würden, um besser planen zu können und korrektere Entscheidungen zum Beispiel in der Sozialpolitik treffen zu können", sagte Simitis in einem Interview.
Auch habe man überlegt, ob man, "wenn etwa jemandem ein schrecklicher Unfall passierte, auf der Autobahn," dank seiner Daten sofort herausfinden könne, wie man reagieren müsse.
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Nur weil die Politik es nicht schafft, ein gutes Konzept auch gut umzusetzen macht es das...