Zero DSR/X im Test: Die andere Art der großen Tour

Selbst der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Im Zitat des chinesischen Philosophen Laotse steckt Wahrheit und Risiko. Denn manchmal braucht es eine Menge Mut, einen neuen Weg zu gehen. Den hatten die Gründer von Zero Motorcycles, damals 2006 im kalifornischen Santa Cruz. Zero ist Tesla auf zwei Rädern und Pionier elektrisch angetriebener Motorräder.
Ausschließlich solche baut die Firma. Inzwischen bietet das Unternehmen vier ausgereifte Modellreihen an und ist ein ernstzunehmender Wettbewerber am Motorradmarkt. Die Mehrzahl der Motorradfahrer stemmt sich zwar noch gegen die elektrische Zukunft auf zwei Rädern, doch sie ist ziemlich nah: Schon ab 2035 könnte in Europa Schluss sein mit neuen Verbrennerfahrzeugen.
Und dann? Das Hobby aufgeben, nur weil das Motorrad elektrisch fährt? Diese Absteiger würden wirklich etwas verpassen, denn Zero zeigt mit der neuen DSR/X(öffnet im neuen Fenster) , wie wahnsinnig viel Spaß elektrisches Motorradfahren machen kann.
Reiseenduro im Stil einer BMW
Die neue Zero ist eine große Reiseenduro im optischen Stil der GS von BMW, einer Adventure von KTM oder Ducatis Multistrada. Das sind allesamt bequeme Maschinen mit wind- und wetterschützender Verkleidung, auf die neben einem Sozius oder einer Sozia noch viel Gepäck in Koffer und Top-Case passen. Motorräder für das Abenteuer auf langer Strecke sind gleichauf mit unverkleideten klassischen Bikes das größte Segment im Motorradmarkt.







In dem will sich Zero nun ein Stück vom Kuchen abschneiden. Das kann gelingen, denn die DSR/X hat das Zeug dazu. Sie ist anders als ihre Konkurrenz. Darin liegt ihr Reiz.
Die E-Maschine des Typs Z-Force 75-10X leistet 75 kW (102 PS), ist luftgekühlt und hat ein Drehmoment von brachialen 225 Nm. Der unangefochtene Topseller unter den Reiseenduros, die R 1250 GS, hat 143 Nm. Um dieses Maximum zu erreichen, muss die Kurbelwelle an der BMW allerdings 6.250 mal pro Minute rotieren.
Kraftvoll, aber kontrolliert
An der Zero steht der Antrieb auf Anhieb bereit, typisch Elektromotor eben. Doch das Motorrad rast nicht mit qualmendem Hinterrad los. Elektronik zügelt die Pferde und treibt die Maschine zwar kraftvoll, aber kontrolliert an.
Möglich macht das die Kombination des neuen Betriebssystems Cypher III+ von Zero mit dem Sechsachsensensor von Bosch. Die Software des Betriebssystems regelt und steuert die Motorleistung, die von Bosch unter anderem Traktionskontrolle und Kurven-ABS. So kommt die Zero ziemlich zügig und sehr sicher aus dem Startblock.
Blöd beim Parken: Feststellbremse löst sich automatisch
Eine Sprintzeit auf 100 km/h geben die Amerikaner nicht an, gefühlt dürften es drei kurze Sekunden sein - leise zudem, denn der neue Motor hat an Lautstärke verloren. Sein summender Sound klingt angenehmer als das hochfrequente Pfeifen vorheriger Motorgenerationen.
Die Zero hat fünf Fahrmodi, mit denen sich der Krafteinsatz dem Einsatzzweck anpassen lässt, auch während der Fahrt. Im Eco-Modus wird die Motorleistung auf etwa 75 Prozent reduziert und die Rekuperation ist in diesem Sparmodus am höchsten.
Schalten entfällt gänzlich, denn Gänge gibt es keine und damit weder ein Abmurksen des Motors noch ein ständiges Rauf- und Runterschalten für die ideale Kombination von Gang und Geschwindigkeit.
Aufpassen beim Parkvorgang
Ein Getriebe würde jedoch helfen, um die Maschine standfest zu parken. Sie hat zwar eine automatische Feststellbremse, doch die löst sich nach wenigen Minuten von selbst. Sollte das Motorrad an einer abschüssigen Stelle abgestellt sein, könnte es losrollen.







Im Display wird das Lösen der Bremse zwar angezeigt, doch das hilft nur denjenigen, die permanent draufschauen. Eine manuelle Feststellbremse könnte helfen. Zero hat das Problem bereits erkannt und arbeitet an einer Lösung.
Kein Sicherheits-, sondern ein Komfortverlust ist der zu stark gekröpfte Lenker. Dadurch beginnen die Hände bald zu schmerzen. Bei der Modellmodifikation sollte Zero für eine ergonomische Handhaltung sorgen. Der große Rest an Sitzposition passt.
Man hat einen guten Halt und mit dem breiten Lenker lässt sich die Maschine leicht steuern. Die Sitzhöhe ist ideal für durchschnittlich große Europäer um die 1,80 Meter. Kleinere und größere Fahrer können einen höheren oder niedrigeren Sitz auswählen, verstellbar sind die Bänke nicht.
Einfache Bedienung, robuste Konstruktion
Das Motorrad wirkt elegant und zugleich robust. Seine Bedienung ist genauso einfach wie das Fahren damit. Die Zero lässt sich spielend in Kurven einlenken, hält in Schräglage sicher die Spur und die Schräglage an sich ist völlig ausreichend. Schon nach einer Handvoll Kurven stellt sich ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit ein.
Rund 200 km sind ohne Laden möglich
Die Zero zieht souverän ihre Bahn. Bremsen und Fahrwerk sind tadellos. Das Motorrad funktioniert auf der Straße und im Gelände. Die Fußrasten sind breit und stabil genug, um aufrecht auf Schotterstraßen, unbefestigten Waldwegen und feinem Sand zu fahren.
Dort zeigt sich, wie komfortabel sich ohne Getriebe fahren lässt. Allein mit minimalen Drehungen am Stromzug lässt sich die Kraft des Motors auf jedem Untergrund fein dosieren - eine interessante Erfahrung.
Das Motorrad ist serienmäßig mit Tempomat, Heizgriffen und einer Rangierhilfe zum Vor- und Rückwärtsfahren ausgestattet. Sie macht Einparken einfach. Der Windschild ist per Handrad verstellbar und das TFT-Display übersichtlich. Mit 247 kg Gewicht ist die Reiseenduro trotz großem Akku einige Kilogramm leichter als die GS. Es ist beeindruckend, wie viel Potenzial der Stromer hat.
Reichweite liegt bei ungefähr 200 km
Das gilt auch für Reichweite und Laden. Der Akku hat eine Kapazität von 17,3 kWh. Zero gibt eine kombinierte Reichweite von 185 Kilometern an. Unsere Teststrecke war rund 100 Kilometer lang, danach lag die Kapazität bei 65 Prozent. Rund 200 Kilometer sind daher möglich.







Mit einem optional erhältlichen Power Tank kann die Kapazität um 3,7 kWh auf 20,9 kWh erhöht und damit die Reichweite um etwa 40 Kilometer verlängert werden. Durch ein zweites, optionales Schnelllademodul lässt sich die Ladegeschwindigkeit an einer Typ-2-Steckdose auf eine Stunde halbieren, dann ist der Akku von null auf 95 Prozent geladen.
Zusatzakku oder zweites Ladegerät werden in einem 20-Liter-Staufach untergebracht, das sich dort befindet, wo Verbrenner-Motorräder ihren Sprit bunkern. Vom Handschuhfach bleibt dann nur noch die Hälfte übrig. Schade eigentlich, denn es ist praktisch.
DSR/X kostet ab 26.550 Euro
Bei der Frage: weiter kommen oder schneller Laden ist Letzteres die vernünftigere Wahl. 200 Kilometer am Stück sind genug, um eine Pause einzulegen. In der Zeit kann der Akku dann doppelt so schnell geladen werden.
Preise für die beiden optionalen Ausstattungsvarianten nennt Zero noch nicht und voraussichtlich werden sie ab Frühjahr 2023 erhältlich sein. Für die Modellreihe SR kostet der Powertank 3.500 Euro, der zweite Lader 3.000 Euro. Günstiger wird es für das neue Modell höchstwahrscheinlich nicht. An der Haushaltssteckdose dauert es 10 Stunden, bis der Akku voll ist. Diese Option ist die Variante für daheim.
Der Stromer ist kein Schnäppchen, doch das ist nicht nur bei Zero so: elektrisch angetriebene Fahrzeuge sind grundsätzlich teurer als solche mit konventionellen Motoren. Die neue Zero gibt es in Weiß und Grün, sie kostet ab 26.550 Euro und somit fast 10.000 Euro mehr als eine GS. Noch im September sollen die ersten DSR/X bei den Händlern in Deutschland ankommen.



