Wunderprozessor Prodigy: Tachyums Wunderkind ist nur fauler Zauber

Tachyum ist offensichtlich nicht in der Lage, seinen angekündigten Wunderprozessor herzustellen, hat es vielleicht auch gar nicht vor, tut aber weiter so, als stehe die Prozessorrevolution direkt vor der Tür. Da in diesem Traumschloss weiter Millionen, auch an Steuergeldern, versinken, schreibe ich diesen letzten Artikel zu dem slowakischen Start-up und zeige, warum dessen Behauptungen absoluter Quatsch sind. Denn niemand sollte Tachyum mehr ernst nehmen.
Tachyum will angeblich einen Prozessor bauen, der alles kann, von der alten, seit 50 Jahren genutzten Unternehmensanwendung bis zum Training neuronaler Netze. Die extrem hohe Taktfrequenz von 5,7 GHz soll den Nachteil der Emulation mehr als ausgleichen, dazu soll es extrem breite Recheneinheiten geben. Die mittlerweile 192 Rechenkerne sollen so der x86- und GPU-Konkurrenz mühelos die Butter vom Brot nehmen. Laut der aktuellen Sensationsmeldung(öffnet im neuen Fenster) soll ein Wechsel der Entwurfssoftware die Kerne 20 Prozent kompakter gemacht haben.
Ich war von Beginn an skeptisch. Zu viele angebliche Wunderprozessoren habe ich im vergangenen Jahrzehnt kommen und wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden sehen. Und daher überrascht mich kaum, dass Tachyum den Beginn der Fertigung (Tape-out) des Wunderprozessors seit Jahren verschiebt. Weiterhin ist kein Silizium in Sicht.
Allerdings sammelt das Start-up weiter fleißig Geld ein, zuletzt sagte die EU-Kommission nach Angabe des Unternehmens(öffnet im neuen Fenster) im Juni 2023 im Rahmen des Important Project on Microelectronics and Communication Technologies (IPCEI ME/CT) 26,4 Millionen Euro zu.
Schauen wir uns also die immer absurder werdenden Aussagen von Tachyum an.
20 Prozent besser mit anderer Software? Quatsch!
Fangen wir mit der jüngsten Behauptung an: Tachyum kann auf einmal nicht mehr, wie ursprünglich geplant, 128 Kerne auf Prodigy unterbringen, sondern sogar ganze 192. Es ist bereits die zweite Steigerung, ohne dass ein Chip gefertigt wurde, ursprünglich sollte Prodigy nur 64 Kerne haben . Für 50 Prozent mehr Kerne braucht man angeblich nur 20 Prozent mehr Chipfläche, die soll von 500 mm 2 auf 600 mm 2 steigen.
Schon diese herrlich runden Zahlen allein sind absolut unglaubwürdig. Vollkommen absurd ist aber die Behauptung, das sei durch einen Wechsel der EDA-Software möglich gewesen. Man habe, so liest sich der Kommentar von CEO Radoslav Danilak, quasi Glück im Unglück gehabt, als man angeblich durch Cadence zum Wechsel der EDA-Software gezwungen worden sei. Auch sollen die Timings noch besser geworden sein, der Chip könnte also mit mehr als den geplanten 5,7 GHz takten. Rechnen wir nur sehr grob, müssten die Kerne 20 Prozent kleiner geworden sein. Das schafft keine EDA-Software, da alle Anbieter diese Programme, die schnell Hunderttausende Euro im Jahr kosten, hoch optimiert haben. Ein solcher Vorteil würde sofort alle Konkurrenz vom Markt fegen.
Dass solche Steigerungen theoretisch möglich sind, zeigen AMDs Bergamo und Ampere Computings Ampere One . Beide müssen dafür aber Kompromisse machen: Um mehr Kerne in einen Chip zu bringen, taktet Bergamo langsamer als Genoa, Ampere Computing wechselte von TSMCs N7 zu N5 und lagerte Speicher- und PCIe-Controller in eigene Dies aus. Tachyum hingegen bleibt offensichtlich beim monolithischen Chip.
Aber Tachyum will nicht nur die Anzahl der Kerne um 50 Prozent gesteigert haben, auch der L3-Cache soll entsprechend größer werden (192 statt 128 MByte), ebenso die Anzahl serieller Transceiver, etwa für PCIe. Die wachse von ehemals 64 auf 96. Die 16 DDR5-Speichercontroller sollen immerhin schneller takten - oder wieder genau so schnell wie 2022 geplant , als schon von DDR5-7200 die Rede war, was Tachyum jetzt als Neuigkeit verkauft.
Was erst noch zumindest theoretisch möglich klang, verliert hier jegliche Glaubwürdigkeit: Denn auf diese Komponenten hat die EDA-Software gar keinen Einfluss. SRAM für Caches sind sogenannte Standardzellen, die der Fertiger, in Tachyums Fall TSMC, physisch vorgibt. Auch der Aufbau serieller Transceiver ist fest vorgegeben und wird nicht von der EDA-Software optimiert. Der Bedarf an Chipfläche steigt für diese Komponenten also linear. Das wiederum bedeutet, dass die Prozessorkerne eigentlich um deutlich mehr als 20 Prozent kleiner werden müssten.
Um irgendwie glaubwürdig zu erscheinen, garniert Tachyum die Pressemitteilung noch mit einem Bild des angeblichen Floorplans. Der ähnelt einem älteren Bild aus einem Whitepaper, in dem oberflächlich auf die Architektur von Prodigy eingegangen wird, ist also zumindest konsistent. Ob es aber tatsächlich aus einer EDA-Software stammt, ist schwer zu sagen. Seltsam wirkt, dass sowohl die gerouteten Leiter als auch Kontakte zum Verlöten mit der Trägerplatine (Substrat) gezeigt sind. Auch wirken die Rechenkerne seltsam konsistent.
Apropos Platine: Daran arbeitet Tachyum noch.
Großer Prozessor, große Herausforderungen
Obwohl Prodigy eigentlich bereits seit 2020 verfügbar sein sollte - ursprünglich war der Tape-out für 2019 geplant - hat Tachyum bislang weder ein Substrat für den Chip noch einen Sockel. Diese Information findet sich ganz am Ende der aktuellen Pressemitteilung. Gut, ist auch kein Wunder, wenn man ständig den Aufbau des Chips ändert. Aber bei Tachyum ist das nichts Neues, 2021 wechselte man im Juni von 7 auf 5 nm(öffnet im neuen Fenster) , obwohl das Design im März angeblich zu 99 Prozent fertig(öffnet im neuen Fenster) war.
Auch wenn es nebensächlich klingt: Substrat und Sockel, die allein Tausende Hochgeschwindigkeitssignale aufs Mainboard führen müssen, sind keineswegs triviale Komponenten. Und auch das Mainboard muss entworfen und dann irgendwann einmal getestet werden - mit einem echten Prozessor.
Das bedeutet aber: Selbst wenn Tachyum morgen die Chipproduktion beginnen würde und alles auf Anhieb funktioniert, wäre mit kommerziellen Systemen frühestens in einem Jahr zu rechnen - und selbst das ist sehr optimistisch. Deren Vorverkauf hat Tachyum allerdings bereits im Juni 2022 gestartet(öffnet im neuen Fenster) . Bevor angeblich Cadence den kurz bevorstehenden Tape-out sabotierte.
Dazu kommen all die Herausforderungen im Chip, etwa das Netzwerk, auf die ich bereits im April eingegangen bin . Hier sicherzustellen, dass sich keine Staus im Datenaustausch bilden, wird mit mehr Kernen nicht einfacher.
Nächstes Projekt: Der Freie-Energie-Generator?
Vor dem beiläufigen Kommentar zu fehlendem Substrat und Sockel stehen in der Pressemitteilung lange Aussagen, die eher an Quacksalber der Alternativmedizin oder Freie-Energie-Szene erinnern: patentierte Architektur, geringere Kosten als die Konkurrenz, dafür vielfache Leistung.
Wie ein Alternativmediziner bleibt Tachyum hier den Nachweis schuldig: Im November 2022 ließ Tachyum angeblich den Benchmark Linpack auf dem FPGA-Prototyp des Prodigy laufen(öffnet im neuen Fenster) . Mehr als ein Video, in dem die Ausgabe durchrauscht, gibt es als Beweis nicht - und schon gar kein Ergebnis, das die hochtrabenden Behauptungen (90 TFLOPS FP64-Leistung, jetzt müssten es 135 TFLOPS sein) untermauern würde.
Es findet sich bei Tachyum kein einziges Benchmark-Ergebnis, das die angekündigte Leistung untermauern würde. Dabei wäre es ein Leichtes, Benchmarks auf dem FPGA-Prototyp laufen zu lassen und aus diesen Werten auf den fertigen Chip zu extrapolieren. Es soll ja alles laufen, vom Linux-Kernel bis zum Compiler.
Aber dann würden sich die hochtrabenden Behauptungen sicher schnell in Luft auflösen - ganz abgesehen davon, dass TSMC den beschriebenen Prozessor sicher nicht mit einem Basistakt von 5,7 GHz fertigen kann. Denn, anders als Tachyum behauptet, unterscheidet sich das, was über die Architektur zumindest der Recheneinheiten bekannt ist, kaum von dem, was AMD, Intel und Nvidia machen. Alles andere wäre auch ein Wunder, schließlich arbeiten dort auch nicht nur Idioten.
Dass eine kleine Gruppe genialer Ingenieure in Bratislava schafft, was sonst keinem gelingt, klingt ähnlich wie die Geschichte des wissenschaftlichen Revolutionärs, der mit selbst angeeignetem Wissen mal eben die Physik auf den Kopf stellt und ein Perpetuum Mobile baut. Und ähnlich wie er ist auch Tachyum meiner Meinung nach ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Darüber würde ich dann auch tatsächlich noch einmal schreiben.
IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach).



