WLAN-Störerhaftung abgeschafft: Selbst Netzpolitiker können mal Erfolg haben

Unrühmliche drei Jahre haben Union und SPD für die Abschaffung der Störerhaftung gebraucht. Die peinlichen Pläne der Regierung konnten die Netzpolitiker aber nur mit Hilfe gewichtiger Unterstützer stoppen.

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Solche Schilder kann es künftig häufiger in Deutschland geben.
Solche Schilder kann es künftig häufiger in Deutschland geben. (Bild: Alan Levine/CC-BY 2.0)

Nun sage noch jemand, Politiker seien nicht lernfähig! Zwischen dem ersten Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums zur Abschaffung der Störerhaftung und der nun getroffenen Einigung liegen netzpolitische Welten. Im März 2015 war es kaum vorstellbar, dass am Ende sogar die Freifunker mit dem Gesetz zufrieden sein könnten - so abstrus waren die ursprünglichen Vorschläge zu dem Gesetz. Auch wenn es gut ausgegangen ist, stellt sich die Frage, wie es in der schwarz-roten Regierung überhaupt erst zu solchen Vorschlägen kommen konnte, die in seltener Einmütigkeit von fast allen Experten und Betroffenen zerpflückt werden.

Zur Erinnerung: In ihrem ersten Entwurf forderte die Regierung nicht nur die Verschlüsselung offener WLANs und die Abgabe einer Rechtstreueerklärung durch die Nutzer. Sie verlangte zudem von privaten Hotspot-Anbietern, ihre Nutzer namentlich zu kennen.

Aufgrund der heftigen Kritik nahm sie dann die Unterscheidung zwischen gewerblichen und privaten Anbietern aus dem Entwurf. Der im vergangenen September vom Kabinett beschlossene Entwurf wurde von Experten jedoch weiterhin als europarechtswidrig, impraktikabel und kontraproduktiv eingeschätzt.

Wo bleibt die europarechtliche Kompetenz?

Das zwischenzeitlich von den Koalitionsfraktionen favorisierte Captive Portal, eine Vorschaltseite mit Rechtstreueerklärung, wäre nichts weiter als ein juristisches Feigenblatt gewesen, um mögliche Urheberrechtsverletzungen oder andere Gesetzesverstöße eindämmen zu können. Erst ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) brachte die Regierung wohl dazu, auf sämtliche Hürden beim WLAN-Zugang zu verzichten. Das spricht nicht gerade für die europarechtliche Kompetenz der Regierung.

Für Außenstehende war es zuletzt ohnehin nicht mehr nachvollziehbar, ob und warum eine EU-Regelung offene WLANs erlauben oder verbieten soll. Man wunderte sich nur noch, warum es in den 27 anderen EU-Staaten offenbar keine Probleme mit offenen WLANs gibt. Immerhin hat sich nun offenbar auch bei uns die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Pläne der Regierung zu weniger statt zu mehr Hotspots geführt hätten und europarechtlich bedenklich waren.

Warum das so schwierig war? Nach Ansicht der Grünen ist daran das "netzpolitische Gerangel" in der großen Koalition schuld gewesen. Es mangele an einer "klaren Aufgabenverteilung" innerhalb der Regierung. Was aber nur die halbe Wahrheit ist. Denn auch ein Internetminister der großen Koalition, so es ihn oder sie gäbe, müsste den starken Einfluss bestimmter Interessengruppen berücksichtigen.

Merkel schlägt sich auf die Seite der Netzpolitiker

Was das Internet betrifft, sind es immer wieder Verlage, die um Einnahmen fürchten oder über die Politik neue Einnahmequellen wie mit Hilfe von Leistungsschutzrechten durchsetzen wollen. Zudem sehen Sicherheitspolitiker im freien und unkontrollierten Netzzugang eine Bedrohung. Vor diesem Hintergrund ist es schon erstaunlich, dass Union und SPD nun eine Einigung gefunden haben, die eher den Freifunkern als der Musik- und Filmindustrie gefallen wird.

Falls Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu tatsächlich ein "Machtwort" gesprochen hat, hat sie sich ungewohnt eindeutig auf die Seite der Netzpolitiker geschlagen. Dies hätte man sich auch beim Thema Leistungsschutzrecht oder bei der Förderung des Breitbandausbaus gewünscht. Von der Vorratsdatenspeicherung und der Netzneutralität ganz zu schweigen.

Neben der Abschaffung des Routerzwangs und der Störerhaftung hat die große Koalition nun zwei wichtige Vorhaben ihres Koalitionsvertrags von 2013 umgesetzt. Bedauerlich, dass es dafür mehrere Jahre brauchte. Bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Jahr dürfte es nun vor allem darum gehen, das Urheberrecht an das Internetzeitalter anzupassen. Dabei ist ein Leistungsschutzrecht auf europäischer Ebene immer noch nicht vom Tisch. Man würde sich freuen, wenn Kanzlerin Merkel auch hier an entscheidender Stelle ein Machtwort sprechen könnte.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)

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