WLAN-Hotspots: Der Totenschein der Störerhaftung ist da

In dieser Woche soll der Bundestag das Ende der Störerhaftung für WLAN-Betreiber beschließen. Der Gesetzestext liegt jetzt vor - und wird unterschiedlich interpretiert.

Artikel von Patrick Beuth/Zeit Online veröffentlicht am
Wer haftet fürs Surfverhalten im Café?
Wer haftet fürs Surfverhalten im Café? (Bild: Ed Jones/AFP/Getty Images)

Es ist immer ein bisschen peinlich, jemanden zu beerdigen, bevor er wirklich tot ist. Insofern war die Bestattung der Störerhaftung durch viele deutsche Medien vor drei Wochen etwas voreilig. Jetzt aber haben wir, um im Bild zu bleiben, den Totenschein vorliegen. Die Frage ist nur, wie er zu verstehen ist.

Am 11. Mai hatten Union und SPD bekanntgegeben, dass sie sich auf eine vernünftige Änderung des Telemediengesetzes geeinigt haben, mit der die Störerhaftung für WLAN-Anbieter beseitigt würde. Private und nebengewerbliche Anbieter wie Cafébetreiber sollen demnach das sogenannte Providerprivileg der gewerblichen Anbieter bekommen und damit nicht mehr pauschal für das Surfverhalten ihrer Nutzer haften.

Weil aber die dafür nötigen Änderungsanträge des ursprünglich völlig missratenen Gesetzentwurfs der Bundesregierung nicht fertig ausformuliert waren, zweifelten manche am tatsächlichen Ende der Störerhaftung für die Betreiber offener Funknetzwerke. Die Digitale Gesellschaft und die Freifunker forderten, Anbieter explizit nicht nur von Schadenersatzzahlungen, sondern auch von Unterlassungsansprüchen auszunehmen. Eine entsprechende Onlinepetition hatten mehr als 84.000 Menschen unterschrieben. Andernfalls hätten Rechteinhaber weiterhin kostenpflichtige Abmahnungen an die WLAN-Betreiber verschicken (lassen) können, so lautete die Befürchtung.

Nun liegen die Änderungsanträge der großen Koalition vor. Eine explizite Freistellung im Gesetzestext auch von Unterlassungsansprüchen findet sich darin immer noch nicht. Schwarz-Rot hat das Thema aber durchaus aufgegriffen, und zwar in der ausführlichen Begründung im Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes, wie das Vorhaben offiziell heißt.

Darin heißt es unmissverständlich, die Haftungsprivilegierung der WLAN-Anbieter umfasse "uneingeschränkt auch die verschuldensunabhängige Haftung im Zivilrecht nach der sog. Störerhaftung und steht daher nicht nur einer Verurteilung des Vermittlers zur Zahlung von Schadenersatz, sondern auch seiner Verurteilung zur Tragung der Abmahnkosten und der gerichtlichen Kosten im Zusammenhang mit der von einem Dritten durch die Übermittlung von Informationen begangenen Rechtsverletzung entgegen".

Kritiker erkennen eine Rechtsunsicherheit

Keine Abmahnungen mehr für Access Provider also. Klarer geht es kaum. Aber reicht es aus, dass das nur in der Begründung steht, die nicht Teil des Gesetzes wird?

Kritiker wie der Richter Reto Mantz, aber auch Teile der SPD sagen: Nein, das reicht nicht, eine gewisse Rechtsunsicherheit bleibt. Denn ein Gericht entscheidet auf der Basis eines Gesetzestextes, die Begründung muss es nicht beachten. Jemand könnte deshalb mit seiner Abmahnung durchkommen und der WLAN-Anbieter müsste zahlen.

Die Koalition sieht das anders. Sie vertraut darauf, dass sich die Begründung herumspricht unter Abmahnern, Providern und Richtern. Die Annahme: Selbst wenn jemand versuchen würde, einen Betreiber abzumahnen, würde dieser in einer gerichtlichen Auseinandersetzung spätestens in der zweiten Instanz recht bekommen. Weil er auf den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers verweisen könnte und wohl kaum zwei Gerichte hintereinander diesen ignorieren würden.

Die drei zuständigen Abgeordneten der SPD lehnen sich sogar sehr weit aus dem Fenster. In einem Brief an ihre Bundestagsfraktion heißt es: "Die berüchtigten Abmahnwellen gegen Cafés oder Familien, die viele Menschen verunsichern, wird es in dieser Form nicht mehr geben. Ein Internetzugangsanbieter kann weder zur Zahlung von Schadenersatz, noch zur Tragung der Abmahnkosten und der gerichtlichen oder außergerichtlichen Kosten im Zusammenhang mit der von einem Dritten begangenen Rechtsverletzung verpflichtet werden." Die Privilegierung der WLAN-Betreiber schließe auch eine Inanspruchnahme auf Beseitigung und Unterlassung aus. "Nicht ausgeschlossen ist dagegen in Extremfällen die Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung", schreiben die Abgeordneten Marcus Held, Lars Klingbeil und Christian Flisek.

Am Mittwoch soll über die Änderungsanträge in den Ausschüssen des Bundestages final beraten werden, am Donnerstag steht als Tagesordnungspunkt 7 die Abstimmung im Plenum an. Im Herbst kann das Gesetz dann in Kraft treten. Wer der Argumentation der schwarz-roten Koalition vertraut, kann dann endlich auf dem Grab der Störerhaftung für WLAN-Betreiber tanzen.

Nachtrag vom 1. Juni 2016, 14:50 Uhr

Wir haben den Brief der SPD-Abgeordneten im vorletzten Absatz ergänzt.

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