Western Australia: Eine radioaktive Kapsel - irgendwo im australischen Outback

Das war wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Irgendwo im Outback Westaustraliens war im Januar eine winzige Kapsel verlorengegangen, gefüllt mit dem radioaktiven Isotop Cäsium 137(öffnet im neuen Fenster) . Der Verlust wurde erst Tage später bemerkt und es dauerte weitere Tage, bis die Kapsel gefunden wurde, wie der australische Fernsehsender ABC berichtet(öffnet im neuen Fenster) . Wie konnte das passieren?
Die Kapsel war Teil eines Strahlungsmessgeräts, das in einer Eisenerzmine des Bergbaukonzerns Rio Tinto im Einsatz war und zur Reparatur nach Perth gebracht werden sollte. Der Transport startete am 12. Januar 2023 in Newman und kam am 16. Januar in Perth an. Dass die Kapsel fehlte, wurde aber erst Tage später bemerkt.
Das Messgerät sei am 25. Januar 2023 zur Inspektion ausgepackt worden, heißt es in einer Mitteilung der Feuerwehr auf Facebook(öffnet im neuen Fenster) . Dabei sei festgestellt worden, dass das Gerät beschädigt war. Eine von vier Befestigungsschrauben des Transportbehälters habe gefehlt, ebenso die Quelle selbst sowie alle Schrauben am Messgerät.
"Beim regulären Handling darf das nicht passieren. Wenn ich das transportiere, muss ich eigentlich besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen" , sagt Burkhard Heuel-Fabianek, Leiter des Geschäftsbereichs Sicherheit und Strahlenschutz sowie Sicherheitsbevollmächtigter am Forschungszentrum Jülich, im Gespräch mit Golem.de. "Was auch verwunderlich ist: Warum dauert es so lange, bis sie den Verlust der Quelle bemerken?"
Wie zehnmal röntgen
Es gelten für solche Transporte strenge Regeln, denn Cäsium 137 ist nicht ungefährlich. Es wird beispielsweise in Röntgengeräten oder im Rahmen von Krebstherapien eingesetzt. In größeren Mengen wurde der Stoff nach den Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima sowie nach oberiridischen Atomwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren freigesetzt. Das Isotop emittiert Beta- und Gammastrahlung, also Elektronen und hochenergetische Photonen.
Die Hülle der Kapsel blocke zwar die Betastrahlung, nicht aber die Gammastrahlung, die durch sie hindurchströme, schrieb Edward Obbard, Kerntechniker an der University of New South Wales in Sydney, in dem Online-Wissenschaftsmagazin The Conversation(öffnet im neuen Fenster) .
"Die Quelle hat eine Aktivität von 19 Gigabecquerel, das heißt, sie sendet etwa 19 Milliarden hochenergetische Photonen pro Sekunde aus" , schrieb Obbard. Steht man eine Stunde lang einen Meter neben der Kapsel, ist die Strahlendosis nach Angaben der australischen Behörden so hoch wie bei zehn Röntgenuntersuchungen des Brustkorbs.
Eine solche Strahlenquelle kann beim Menschen unmittelbare Schäden sowie Langzeitschäden auslösen.
Cäsium 137 kann die Gesundheit schädigen
"Wenn man die Strahlenquelle in die Hand nimmt oder sich eine Zeitlang in direkter Nähe aufhält, kann das zu Strahlenschäden an der Haut oder im Körpergewebe führen" , erklärt Strahlenschutzexperte Heuel-Fabianek. "Die Schäden sind ähnlich wie Verbrennungen. Es gibt Hautrötungen und Hautverbrennungen, aber auch tiefer im Körper stirbt Gewebe ab."
Bei weniger intensivem Kontakt über einen längeren Zeitraum kann die Strahlung Krebs auslösen. Problem ist, dass es anfangs keine äußeren Anzeichen für die schädliche Wirkung der Strahlung gibt. Auf keinen Fall sollte das Isotop in den Körper gelangen: Cäsium ähnelt Kalium und wird wie dieses im Magen-Darmtrakt resorbiert. Der Körper speichert das radioaktive Cäsium im Gewebe, wo es unbemerkt Schaden anrichtet.
Im schlimmsten Fall kann Cäsium tödlich sein. 1987 entwendeten Müllsammler aus einem stillgelegten Krankenhaus in Goiânia in Brasilien eine – allerdings größere – Kapsel mit Cäsium 137 und verkauften diese an einen Schrotthändler. Der öffnete die Kapsel und verteilte das im Dunkeln fluoreszierende Material. Damals wurden rund 250 Menschen kontaminiert, vier starben.
Einsatzzwecke für radioaktives Material gibt es im Bergbau einige. "Solche hochradioaktiven Quellen wie eine Cäsium-Quelle werden im Bergbau eingesetzt, um Erze oder Kohle auf Qualität zu überprüfen" , sagt Heuel-Fabianek. "Das kann man über dem Förderband machen. Man braucht dann keine Proben aus dem Material zu nehmen und die im Labor zu untersuchen."
Dazu wird die Strahlenquelle über dem Förderband angebracht, die das Material bestrahlt. Unter dem Band sitzt ein Detektor, der die ankommende Strahlung misst. So wird die Dichte des Materials auf dem Band bestimmt. Über die Dichte können Rückschlüsse auf den Eisengehalt und andere Qualitätsmerkmale gezogen werden.
Wie konnte das passieren?
Um die Kapsel zu finden, war die Strahlung jedoch von Vorteil: "Sie suchen zwar die Nadel im Heuhaufen, aber die Nadel macht sich bemerkbar, sie strahlt stark" , sagte Heuel-Fabianek. Gesucht wurde mit Fahrzeugen, die mit entsprechenden Detektoren ausgestattet sind und die Strecke langsam abfuhren.
Ein Team der Australian Nuclear Science and Technology Organisation und des Department of Fire and Emergency Services habe die Kapsel zwei Meter vom Straßenrand entfernt gefunden, sagte der Beauftragte für Feuerwehr und Notfalldienste.
Die Behörden des Bundesstaates Western Australia haben nach dem Wiederauffinden der Kapsel eine Untersuchung des Vorfalls angekündigt. Das werde einige Wochen dauern, hieß es. Simon Trott, Chef des Bereichs Eisen von Rio Tinto, sicherte die Mitarbeit des Konzerns zu.
Kurzzeitig wurde auch spekuliert, ob die Kapsel gestohlen wurde. Mit dem Material hätte eine sogenannte schmutzige Bombe gebaut werden können, die bei der Detonation radioaktives Material in der Umgebung verteilt. Das war nicht der Fall: Die Kapsel sei dort gefunden worden, wo sie nach dem Sturz vom Lastwagen gelandet sei, erklärte Andy Robertson, oberster Gesundheitsexperte des Bundesstaates, laut ABC. Offenbar sei sie nicht bewegt worden, es sei erfreulich, dass niemand zu Schaden gekommen sei.
Cäsium 137 hat eine Halbwertszeit von 30,5 Jahren. Nach dieser Zeitspanne hat sich die Aktivität des Materials halbiert. Bis das strahlende Material als unproblematisch gelten kann, dauert es jedoch deutlich länger.



