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Von der Bühne auf den Bildschirm

Neben Flugblättern war das Theater lange vor dem Internet der Ort, an dem Hass nicht nur verbreitet, sondern erlebbar gemacht wurde. Passionsspiele des Mittelalters zeigten Juden als "Christusmörder" – eine Erzählung, die Pogrome rechtfertigte, indem sie abstrakte Vorurteile in greifbare Bilder goss – die antisemitischen Passagen im Text der berühmten Passionsspiele von Oberammergau wurden erst im Jahr 2000 entfernt(öffnet im neuen Fenster) . In den Passionsmusiken von Johann Sebastian Bach leben antijüdische Klischees dagegen fort. Erst im April 2025 sagte der niedersächsische Antisemitismusbeauftragte Gerhard Wegner(öffnet im neuen Fenster) , Aufführungen ohne entsprechende Hinweise seien "verantwortungslos" .

Auch bei den Volksstücken des 19. Jahrhunderts galt das Prinzip: Heldenmärtyrer wurden gefeiert, Feindbilder kollektiv verachtet. Es war eine Mischung aus Spektakel und Indoktrination – und funktionierte, weil es sich wie Unterhaltung anfühlte.

Hetze mit globaler Reichweite

Heute hat sich die Bühne nur verlagert: Talkshows, Youtube-Videos oder Livestreams übernehmen die Rolle des Theaters. Sie inszenieren "den Fremden", die Juden oder den "Systemling" als Bedrohung, oft mit denselben narrativen Mustern wie einst die Passionsspiele.

Der Unterschied? Die Reichweite ist global, die Emotionen werden in Echtzeit geteilt. Und die Algorithmen liefern das Publikum dafür gleich mit, indem sie dafür sorgen, dass die Botschaften genau diejenigen erreichen, die ohnehin schon empfänglich sind.

Doch warum funktionieren diese Mechanismen – trotz Aufklärung, trotz historischer Lehren – bis heute? Weil sie auf tief verwurzelte menschliche Psychologie setzen: Das Gehirn reagiert stärker auf Bedrohungen als auf Fakten, Gemeinschaftsgefühle entstehen schneller durch gemeinsame Feindbilder als durch rationale Debatten.

Neue Bühne für uralte Muster

Die Technologie hat sich zwar geändert – die Algorithmen beschleunigen, was einst durch Mundpropaganda oder gedruckte Flugblätter lief -, aber die Strukturen bleiben gleich. Damals wie heute geht es um emotionale Zuspitzung, um einfache Schuldzuweisungen, um das Gefühl, auf der "richtigen" Seite zu stehen.

Die Gegenstrategien von damals – Zensur, Aufklärung durch liberale Medien – reichen heute nicht mehr aus. Stattdessen brauchen wir Medienkompetenz, die nicht nur Fakten prüft, sondern auch die Mechanismen hinter Hasskampagnen entlarvt.

Und vielleicht vor allem: eine Erinnerung daran, dass wir es nicht mit einer neuen Erfindung zu tun haben, sondern mit uralten Mustern – die nur neue Bühnen gefunden haben.


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