Weltraumtourismus: Purzelbäume und quasireligiöse Erweckungserlebnisse
Jeff Bezos und Richard Branson versprechen durch den Overview-Effekt ein transzendentales Erlebnis beim Flug ins Weltall. Was ist da dran?

Als Jeff Bezos nach seinem Flug mit der New-Shepard-Rakete eine Pressekonferenz gab, bei der die gesamte anwesende Presse nur drei Fragen stellen durfte, bedankte er sich bei den Angestellten von Amazon. "Ihr habt für das alles bezahlt", sagte er. Dass sie es mit ihrer Arbeit bezahlten, die sie in großen Teilen zu Mindestlöhnen, ohne Gewerkschaften und oft genug auch ohne Arbeitspausen erledigen müssten, das sagte er freilich nicht. Auch nicht, dass Bezos' Konzern Amazon praktisch keine Steuern zahlt und die Gesellschaft vom Erfolg des Unternehmens nicht profitieren lässt.
- Weltraumtourismus: Purzelbäume und quasireligiöse Erweckungserlebnisse
- Den Effekt gibt es auch, ohne selbst ins All zu fliegen
In der Rhetorik, mit der die kurzen Spritztouren über die Karman-Linie verkauft werden, sind die Flüge hingegen ein Dienst an der Menschheit als Ganzes. Die Tickets werden nicht nur mit dem Versprechen eines Fluges ins Weltall und drei Minuten Schwerelosigkeit verkauft, sondern dem Versprechen eines quasireligiösen Erweckungserlebnisses, dem Overview-Effekt, den nun Millionen von reichen Menschen erleben sollen.
Der Begriff wurde erstmals 1987 von Frank White mit dessen gleichnamigen Buch geprägt, dem seither eine Reihe weiterer Bücher gefolgt sind. Dabei hat Frank White sowohl Apollo-Astronauten wie Gene Cernan über ihre Erfahrungen während der Reise zum Mond als auch Spaceshuttle-Astronauten über ihre Flüge und später auch ihre Aufenthalte auf der Internationalen Raumstation befragt.
Eine Transformation der Psyche des Menschen
Beschrieben wird der Overview-Effekt als der Effekt des Blicks auf die Erde aus dem Weltraum heraus. Boris Volynov beschrieb es so: "Während des Weltraumflugs wird die Psyche jedes Astronauten neu geformt; Nachdem man die Sonne, die Sterne und unseren Planeten gesehen hat. Man fängt an, alle lebenden Dinge mit größerer Ehrfurcht zu betrachten, man wird netter und geduldiger im Umgang mit Menschen."
Das Verhalten von Jeff Bezos nach seinem Flug gibt keinen Anlass zu der Vermutung, dass dieser Effekt bei ihm aufgetreten ist. Selbst wenn der Effekt verspätet einsetzen sollte, wird Bezos nach Aufgabe seines Chefpostens bei Amazon kaum die Arbeitsbedingungen der Menschen verbessern können, die ihm diesen Flug ermöglicht haben.
Nur wer im Weltall war, weiß die Erde zu schätzen
Jeff Bezos glaubt, der Menschheit einen Dienst zu erweisen, indem Millionen Menschen dieser Erfahrung näher gebracht werden. Aber das heißt umgekehrt vor allem, dass aus seiner Sicht für immer Milliarden von Menschen zu dumm und unerfahren sein werden, um die Erde und die Menschheit wirklich zu verstehen. Es ist ganz wie in Platos Höhlengleichnis: Die Menschheit ist gefesselt und sieht nur Schatten hinter dem Feuer tanzen, nur wenige Auserwählte dürfen die echte Welt sehen.
Dieser Exklusivitätsanspruch ist teilweise verstörend. Im Podcast "The Space Show" zitierte Frank White etwa den Astronauten Albert Sacco: "Ich erzähle Ihnen das Geheimnis der Astronauten. Alle Astronauten wissen es: 'Dass wir nicht nur Bürger der Erde, sondern des gesamten Universums sind.'" Gerade so, als könne niemand anderes ohne die Erfahrung eines Fluges in den Weltraum auf solche Gedanken kommen.
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Den Effekt gibt es auch, ohne selbst ins All zu fliegen |
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Ich liebe diese leicht zynischen und zutiefst ehrlichen Artikel von Frank Wunderlich...
diese vermaledeite Sinnfrage.... Hinter jeder verwendeten Ressource nach dem Sinn...
Ich habe gestern gelesen, dass bei einem Flugaufkommen von 100 000/Jahr sich die Menge an...
Wem die Menschheit sch.. egal ist, der fliegt zum persönlichen Spaß da hoch. Nicht mehr...