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Vorratsdatenspeicherung: Quick Freeze soll den VDS-Zombie begraben

Zum wiederholten Mal hat der EuGH der Politik bei der Vorratsdatenspeicherung eine Abfuhr erteilt. Zeit für eine rechtssichere Lösung.
/ Friedhelm Greis
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Ob der EuGH nun endgültig den VDS-Zombie beerdigt hat? (Bild: Pixabay)
Ob der EuGH nun endgültig den VDS-Zombie beerdigt hat? Bild: Pixabay

Manchmal scheint es Politikern Freude zu machen, permanent gegen eine Gummiwand zu laufen. Anders ist es kaum zu erklären, warum Regierungen aus etlichen EU-Staaten immer wieder versucht haben, eine massenhafte, unterschieds- und anlasslose Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten in ihren Ländern einzuführen. Doch mit dem nun fünften gleichlautenden Urteil innerhalb von acht Jahren dürfte der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch dem letzten Sicherheitspolitiker klar gemacht haben, dass die Wand in Luxemburg nicht zu durchbrechen ist.

Ebenso wie in früheren Urteilen haben die Richter erklärt: Eine Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist unter bestimmten Umständen möglich. Der Gesetzgeber kann die Telekommunikationsanbieter durchaus dazu verpflichten, eine Infrastruktur zur vorübergehenden Speicherung aller Verkehrs- und Standortdaten ihrer Kunden aufzubauen. Aber die Infrastruktur darf nicht permanent aktiv sein. Eine Ausnahme ist beispielsweise möglich, "wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht" .

Quick Freeze und Login-Falle

Eine solche Lösung könnte die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP ebenfalls anstreben. Sie hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart , die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten zu wollen, "dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können" . Das dürfte auf eine Art Quick-Freeze-Regelung hinauslaufen.

Zudem will sie mit der sogenannte Login-Falle "grundrechtsschonende und freiheitsorientierte Instrumente schaffen, um die Identifizierung der Täterinnen und Täter zu erreichen" . Wie diese "Falle" funktioniert, hat der SPD-nahe Digitalverein D64 im Juli dieses Jahres ausführlich beschrieben (PDF)(öffnet im neuen Fenster) . Demnach sollen die Anbieter auf Anfrage der Behörden aktuelle IP-Adressen übermitteln, um pseudonyme Nutzer identifizieren zu können.

In seinem Urteil vom 20. September 2022(öffnet im neuen Fenster) bekräftigt der EuGH ausdrücklich seine früheren Ausführungen zum sogenannten Quick-Freeze-Verfahren. Demnach ist es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und erst recht zum Schutz der nationalen Sicherheit zulässig, "den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern" .

Gesetzentwurf könnte bald kommen

Entsprechende Rechtsvorschriften wie Gesetze und Verordnungen müssten aber "durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen" .

Nach Angaben der Grünen-Bundestagsfraktion(öffnet im neuen Fenster) arbeitet Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bereits gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium an einem Gesetzentwurf für eine Quick-Freeze-Regelung. Wie diese konkret aussehen wird, ist noch unklar.

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Abrechnungsdaten als letzte Hoffnung der Ermittler

Das betrifft beispielsweise die Frage, zu welchen Anlässen und in welchem Umfang die Speicheranordnung erlassen werden darf. Hier ist zu erwarten, dass das Bundesinnenministerium die Vorgaben des EuGH so weitgehend wie möglich ausreizen möchte. Zuletzt hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) noch für die Vorratsdatenspeicherung stark gemacht . Dabei blieben ihre Forderungen jedoch sehr unspezifisch.

Insgeheim hoffen die Sicherheitsbehörden vermutlich darauf, dass die Provider weiterhin Daten für Abrechnungszwecke abspeichern, auf die die Ermittler dann wie gehabt zugreifen können. Doch in Zeiten von Flatrates sind solche Daten immer weniger erforderlich. Nach dem Willen von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) soll die Bundesnetzagentur die Speicherung von IP-Adressen zumindest für die Dauer von zehn Wochen bei den Telekommunikationsanbietern ermöglichen. Eine Verpflichtung lässt sich nach dem Urteil jedoch kaum noch verlangen. Der EuGH hält die allgemeine Speicherung von IP-Adressen nur "für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum" für zulässig.

Was aber bedeutet eine Neuregelung für die Provider? Diese haben, wie im Falle von Spacenet und Deutscher Telekom, die bestehende Regelung schließlich zu Fall gebracht. Unter anderem, weil sie nicht Millionen Euro in eine nicht rechtssichere Technik investieren wollten .

Spacenet will nicht gegen Quick Freeze klagen

Zunächst ist mit einer Klage gegen eine Quick-Freeze-Lösung wohl nicht zu rechnen. So sagte Spacenet-Vorstand Sebastian von Bomhard in der vergangenen Woche vor Journalisten: "Natürlich gibt es keinen Grund, wieso nicht vernünftige Maßnahmen, die mit unserer Verfassung und allem, was uns wichtig ist, im Einklang stehen, nicht auch umgesetzt werden. Ein gutes Beispiel ist das Quick-Freeze-Verfahren."

Das könne man jedoch nicht einfach einführen. Da müsse natürlich in der technischen Infrastruktur etwas passieren, "wenn man auf den Quick-Freeze-Button draufhaut. Auch da muss Infrastruktur aufgebaut werden. Ein generelles technisches Nein von den Providern kann ich mir nicht vorstellen" , sagte Bomhard.

Kosten für Quick Freeze deutlich niedriger

Nach Einschätzung von Spacenet liegen die Kosten für eine Quick-Freeze-Lösung jedoch deutlich unter denen einer allgemeinen Vorratsdatenspeicherung. "Ich denke, wenn wir einfach nur ein Feature Quick Freeze bauen müssen, das funktioniert und sicher ist, liegen wir unter 10 Prozent von dem, was bei der Vorratsdatenspeicherung von uns erwartet wurde" , sagte Bomhard auf Anfrage von Golem.de. So sei eine zweite Plattform, eine Vernichtung der Datenträger oder eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit bei der Quick-Freeze-Lösung wohl nicht erforderlich.

Insgesamt rechnet Bomhard damit, dass der Aufbau der Infrastruktur nur 20 Prozent der Kosten im Vergleich zur nun gekippten Regelung ausmacht, beim Betrieb seien es 10 Prozent. Das sei "immer noch nicht nichts, aber sinnvoll und daher eher verschmerzbar" . Jedoch wollte er nicht ausschließen, "dass durch eine gesteigerte Regulierung Zusatzanforderungen an uns gestellt würden, die den Preis in die Höhe treiben" . Diese Kosten müssten am Ende die Verbraucher tragen.

Wie auch immer die Neuregelung ausfallen wird: Der nächste Versuch einer anlasslosen Massenspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten wird es mit der Ampelkoalition sicher nicht geben. Das heißt jedoch nicht, dass zumindest der Begriff Vorratsdatenspeicherung endgültig begraben wird. "Meine Vermutung ist, dass der Name bestehen bleibt, aber sich das Verfahren komplett ändert. Dann kann die Bundesregierung nicht mehr sagen, sie sei mit der VDS gescheitert, unser Sieg schaut ein bisschen kassiert aus" , sagte Bomhard.

Der Gummiwand in Luxemburg dürfte das ziemlich egal sein.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de [IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)]

Nachtrag vom 21. September 2022, 13:27 Uhr

Wir haben im vorletzten Absatz der ersten Seite noch ergänzt, dass laut EuGH die IP-Adressen für einen "auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum" gespeichert werden dürfen.


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