Indizierte Spiele: Besonnenheit, Ausgleich, Rechtsfindung

Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz wurde 1954 als Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften gegründet. Ihr anfänglicher Fokus auf Schriften, die mit Bildern für Nacktkultur warben, schwenkte in den 1970er Jahren eher auf die Verhinderung der Verbreitung gewaltverherrlichender Inhalte um. Mit dem Aufkommen von Videos und Videospielen bekam die BPjS auf den Schulhöfen Westdeutschlands einen ganz besonderen Ruf: gerade die Inhalte, die von den Jugendlichen ferngehalten werden sollten, waren nun besitzenswert.
Kopierte Disketten mit Spielen, die entweder ganz verboten oder erst ab 18 Jahren erhältlich waren, erfreuten sich regen Interesses. Die Prüfstelle wird heute wie damals nur auf Antrag tätig. Die Entscheidung über eine Indizierung trifft ein Gremium, dass sich aus vielen gesellschaftlichen Akteuren zusammensetzt(öffnet im neuen Fenster) .
Dabei erscheinen uns einige in der Vergangenheit beanstandete Titel mit zeitlichem Abstand ziemlich zahm - wie beispielsweise River Raid(öffnet im neuen Fenster) , das 1982 von Carol Shaw(öffnet im neuen Fenster) programmiert wurde und 1984 auf dem Index landete.
Die Begründung(öffnet im neuen Fenster) damals: "Das Videospiel River Raid ist kriegsverherrlichend und -verharmlosend. Wie der Antragsteller zu Recht hervorhebt, soll sich der Spieler in die Rolle eines kompromisslosen Kämpfers und Vernichters hineindenken. [...] Aggressive Verhaltensmuster werden spielerisch eingeübt."
Erst 2002 gab die Behörde das Spiel auf Antrag von Activision frei. Wie die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz heute auf die Entscheidungen von damals blickt und was aktuelle Herausforderungen beim Schutz Heranwachsender sind, darüber haben wir uns mit Thomas Salzmann, dem stellvertretenden Direktor der BzKJ und Vorsitzenden der Prüfstelle und der psychologischen Referentin Denise Michels unterhalten.
Golem.de: Herr Salzmann, wie sind Sie zum ersten Mal mit der damaligen BPjS in Kontakt gekommen?
Thomas Salzmann: Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich vermute wie die allermeisten, die so in den 80er Jahren Kind und Jugendlicher waren, lief das über Bands, deren CDs auf dem Index gelandet waren. Wo es dann hieß, die Ärzte sind indiziert oder die Böhsen Onkelz stehen auf dem Index und so hat man das dann halt mitbekommen.
Golem.de: Wie hat sich denn das Aufgabenfeld der Behörde seitdem verändert?
Thomas Salzmann: Zur Indizierung von jugendgefährdenden Medien hinzugekommen sind neue Aufgaben als Folge einer gesetzlichen Anpassung an die Medienrealität und das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen. Die gesamte Medienwelt steckt spätestens mit dem Einzug des Handys in jeder Jackentasche und ist viel interaktiver geworden. Damit haben sich auch die Gefährdungen und Risiken verändert.
Kinder und Jugendliche können zum Beispiel Grooming erfahren, können durch radikalisierte Ansprache gefährdet werden, können in Kostenfallen geraten usw. Wir sehen aber grundsätzlich, dass Medien Gefährdungen und Chancen gleichzeitig in sich tragen. Das ist einer der Paradigmenwechsel im neuen Gesetz: dass wir nicht nur schützen, sondern auch Befähigung und Teilhabe organisieren. Wir haben jetzt Mittel, beispielsweise gegenüber Plattformanbietern durchzusetzen, dass sie ihre Angebote sicherer machen müssen. Auch haben wir beispielsweise einen Beirat erhalten, in dem verpflichtend zwei von zwölf Mitgliedern Jugendliche sind. Damit stehen wir unmittelbar in Kontakt mit der jungen Generation.

Golem.de: Frau Michels, wann und wie werden Sie bei Indizierungen tätig?
Denise Michels: Wir machen keine Marktsichtung, was es für neue und potenziell jugendgefährdende Medien gibt, um dann Prüfverfahren einzuleiten. Die Prüfstelle agiert immer nur auf Anregung oder Antrag aus der Gesellschaft heraus.
Ein aktuelles Beispiel sind Anträge zur Indizierung von zwei Medien, die auf Konversionsbehandlung bei Homosexualität abzielen, was dem wissenschaftlichen Verständnis von Homosexualität widerspricht. Ob solch ein Medium jugendgefährdend ist, hängt davon ab, ob es geeignet ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden. Hierüber entscheiden weisungsfreie und pluralistische Gremien. Mitarbeitende wie ich stellen für die Beratungen zum Beispiel aktuelle Forschungsstände zusammen.
Retro-Grafik schützt nicht vor Indizierung
Golem.de: Herr Salzmann, würde man heute Spiele mit einer Grafik wie River Raid überhaupt noch indizieren?
Thomas Salzmann: Eine veraltete Grafik kann natürlich stark relativierend wirken. Wir haben letztens aber ein recht aktuelles Spiel geprüft. Dieses war grafisch auf einem ähnlichen Niveau wie das von Ihnen erwähnte alte Spiel River Raid, aber wirkte diskriminierend gegenüber queeren Menschen. Da Diskriminierung von Menschen eine Jugendgefährdung begründen kann, wurde es indiziert.
Es hatte also mit der grafischen Darstellung gar nichts zu tun. Man kann somit nicht sagen, was technisch veraltet wirkt, wird heute nicht mehr indiziert, sondern man muss immer im Einzelfall bewerten, welche Aussagen transportiert werden. Im Übrigen muss man alte Indizierungsentscheidungen immer zeitlich einordnen.
Ich habe mir das damalige Gutachten zur Wirkung noch mal angeschaut, das seinerzeit der Indizierung von River Raid zugrunde lag. Und da ist auch beschrieben, wie das Spiel beworben wurde. Wenn Sie das lesen, dann haben Sie das Gefühl, Sie steigen in die immersivste Welt ein, die Sie sich überhaupt nur vorstellen können - obwohl das Spiel auf dem Atari erschien. Es kann also sein, dass wir in wenigen Jahren, wenn Weiterentwicklungen in Richtung Metaversen merklich sind und in die Kinderzimmer Einzug gehalten haben, ebenso auf heutige technische Umsetzungen zurückschauen.
Golem.de: Wie gehen Sie denn an die aktuellen Herausforderungen der sozialen Netzwerke heran?
Thomas Salzmann: Gegenüber den großen Plattformen geht es eher um strukturelle Fragen der Anbietervorsorge. Kinder und Jugendliche brauchen insbesondere in sozialen Medien eine Infrastruktur, die ihnen eine unbeschwerte Teilhabe ermöglicht. Gefahren, wie die Ansprache mit den Zielen sexueller Gewalt oder Ehrverletzungen gilt es zu minimieren und dort, wo dies geschieht, z. B. altersgerechte Melde- und Hilfestrukturen bereitzuhalten.
Ein Ziel lautet auch, die Eltern stärker zu befähigen, ihre Kinder bei der Mediennutzung zu begleiten. Wir haben beispielsweise eine Bewegung bei großen Anbietern in Richtung Tools, die die Eltern unterstützen sollen. Das sehen wir erst mal positiv, aber wir stellen auch die Frage: Reicht das, was kann man da verbessern? Wir bewegen uns hier im internationalen Kontext.
Das ist immer wieder eine Herausforderung, aber das deutsche Jugendschutzrecht gilt auch gegenüber internationalen Anbietern. Wir setzen hier auf verbindlichen Dialog mit den Anbietern, für die es natürlich auch wichtig ist, um am deutschen Markt gut platziert zu sein. Und falls alle Ansprache nichts nützt, hat uns der Gesetzgeber noch ein schärferes Schwert an die Hand gegeben: das ordnungsrechtliche Verfahren, bei dem Bußgelder in Höhe bis zu 50 Millionen Euro verhängt werden können.
Golem.de: Warum sind Teile der Liste der jugendgefährdenden Inhalte nicht öffentlich einsehbar und wann ist die Information über indizierte Inhalte legal?
Thomas Salzmann: Bei dem nichtöffentlichen Listenteil handelt es sich ausschließlich um Medien, die nur URL-basiert darstellbar sind. Wenn wir die veröffentlichen, dann würden wir ja nahezu unmittelbaren Zugang befördern. Ansonsten ist die Liste eine öffentliche. Zudem wurde unser gesetzlicher Auftrag ergänzt, sozusagen die roten Linien, die sich aus der Spruchpraxis entwickeln, sichtbar zu machen. Es gilt, diese in den gesellschaftlichen und vor allen Dingen medienpädagogischen Diskurs zu tragen und darüber auch die Tätigkeit der Prüfstelle als Orientierungspunkt nutzbar zu machen. Dies geht über den Zweck der Abschirmung weit hinaus.
Zudem ist es so, dass die Verbreitung von indizierten Medien als Trägermedien an Kinder und Jugendliche unter Strafe steht. Die Ausnahme ist jedoch, wenn Eltern diese im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Erziehungspflicht zugänglich machen.
Golem.de: Vielen Dank für das Gespräch!
Informationen zur Arbeit der Prüfstelle und des Gremiums finden sich auf diesen Seiten(öffnet im neuen Fenster) . Eine inoffizielle Liste indizierter Spiele gibt es hier(öffnet im neuen Fenster) .



