Entgeltausgleich sei bezahlbar, sagt eine Gewerkschafterin

Die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland möchte weniger arbeiten und knapp die Hälfte wünscht sich die Verteilung der Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage. Dies geht aus dem Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hervor, der Anfang Februar veröffentlicht wurde. Datenbasis für die repräsentative Studie ist eine Befragung von 20.000 Beschäftigten im Jahr 2021.

Belgien führte Anfang vergangenen Jahres die Vier-Tage-Woche optional ein. Die Beschäftigten können seitdem an vier Tagen neun bis zehn Stunden arbeiten. In Deutschland ist das nicht möglich, denn die tägliche Höchstarbeitszeit ist aufgrund des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten auf acht Stunden festgelegt. Um die Vier-Tage-Woche einzuführen, müsste das Gesetz geändert oder die Arbeitszeit verkürzt werden. Wenn, dann ist am ehesten Letzteres machbar.

Auch wenn sie für kürzere Arbeitszeiten auf Gehalt verzichten müssten, würden die Deutschen durchschnittlich nur noch 32,8 Stunden in der Woche arbeiten, berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Mitte März unter Berufung auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Zahl stammt aus dem sozio-ökonomischen Panel des DIW, für das rund 30.000 Personen befragt wurden.

Aber müssen für weniger Arbeit zwangsläufig Abstriche beim Gehalt gemacht werden? "Wir haben bei allen großen Arbeitszeitverkürzungen in den letzten Jahrzehnten in der Regel einen Lohnausgleich herausgehandelt", sagt Sophie Jänicke, Ressortleiterin für tarifpolitische Themen beim Vorstand der IG Metall.

Entgeltausgleich bedeutet: Die Arbeitszeit sinkt, das Gehalt bleibt gleich. Weil mit der Vier-Tage-Woche die Produktivität in den Unternehmen zusätzlich steige und die Unternehmen darüber hinaus Kosten etwa für Rekrutierung und Restrukturierungsmaßnahmen sparen, sei dadurch der Ausgleich bezahlbar.

  • Carolina Wehrmann von Kontor Business IT, das vor einem Jahr für seine Mitarbeiter die Vier-Tage-Woche eingeführt hat. (Bild:  Kontor Business IT)
  • Sophie Jänicke, Ressortleiterin für tarifpolitische Themen beim Vorstand der IG Metall, sagt, dass mit der Vier-Tage-Woche die Produktivität steige und die Firmen Kosten etwa für Rekrutierung und Restrukturierungsmaßnahmen sparen. (Bild: IG Metall)
Sophie Jänicke, Ressortleiterin für tarifpolitische Themen beim Vorstand der IG Metall, sagt, dass mit der Vier-Tage-Woche die Produktivität steige und die Firmen Kosten etwa für Rekrutierung und Restrukturierungsmaßnahmen sparen. (Bild: IG Metall)

Dass Menschen an vier Tagen mehr schaffen als an fünf, geht laut Arbeitgeberverband Gesamtmetall nur dann, wenn die Beschäftigten vorher so viel Leerlauf hatten, dass es problemlos möglich ist, die Arbeit weiter zu verdichten. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD liege Deutschland mit 1.349 geleisteten Arbeitsstunden weit unter dem Durchschnitt von 1.716 Stunden jährlich, sagt Martin Leutz, Sprecher von Gesamtmetall. "Wer noch weniger arbeiten will, kann das jederzeit tun. Natürlich bei entsprechend niedrigerem Verdienst, alles andere wäre unfair." Wer länger arbeitet, soll ja auch mehr verdienen.

So viel zur praktischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Einordnung der Vier-Tage-Woche. Ist sie aber auch sinnvoll und tut sie den Menschen tatsächlich gut? Romana Dreyer von der Universität Hamburg hat Antworten auf diese Fragen. "Bei dem aktuellen Projekt in Großbritannien ist ersichtlich, dass die Ergebnisse zwar vielversprechend sind und auch Firmen der IT-Branche dort vertreten waren. Für mich als Arbeitspsychologin sind jedoch die Implementierungsprozesse am spannendsten."

Vier-Tage-Woche als Arbeitsmodell noch Zukunftsmusik

Die Vier-Tage-Woche sei nicht die einzige Maßnahme gewesen, die in den Unternehmen eingeführt wurde. Sie wurde unter anderem begleitet von einer zweimonatigen Vorbereitungszeit, Schulungen und externer Unterstützung. "In diesem Implementierungsprozess finden wir Faktoren, die sicherlich auch für die Erfolge verantwortlich sind", sagt Dreyer. Doch darüber würde zu wenig berichtet und im Kontext der Vier-Tage-Woche zu wenig systematisch geforscht.

Nach Meinung Dreyers ist eine Vier-Tage-Woche für die Gesundheit dann sinnvoll, wenn sie mit einer Reduzierung der Stunden einhergeht. Dies ermöglicht eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie eine bessere Erholung. Nicht jeder möchte seine Arbeit aber auf vier Tage verteilen. "Wichtiger als eine Reduzierung der Arbeitstage ist eine Flexibilisierung der Arbeitsmodelle", sagt Dreyer. Damit gelinge es besser, die Arbeitszeit an die Menschen und Aufgaben anzupassen, als einfach Tage zu streichen.

Als Arbeitsmodell ist die Vier-Tage-Woche derzeit noch Zukunftsmusik. Ihre Arbeitszeit können Beschäftigte aber heute schon reduzieren. Dies sieht das Teilzeit- und Befristungsgesetz vor.

Wer länger als sechs Monate in einem Unternehmen ist, kann einen Antrag auf Teilzeit stellen, vorausgesetzt, dass der Betrieb mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt. Der Arbeitgeber muss den Antrag genehmigen, wenn betriebliche Gründe nicht dagegensprechen. Davon ist auszugehen, wenn dem Arbeitgeber dadurch hohe Kosten entstehen oder die Reduzierung den Betriebsablauf stören würde. Oder man muss einfach wollen – wie Carolina Wehrmann.

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 Vier-Tage-Woche: Weniger Arbeit, gleich viel Geld
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flasherle 24. Mai 2023 / Themenstart

nein, weil der an der Kasse zahlt das gleiche, verursacht aber mehr kosten.

plutoniumsulfat 22. Mai 2023 / Themenstart

Komisch, ich dachte, die Spitzenverdiener haben auch eine spitzen Gesundheitsversorgung...

Lefuet1 19. Mai 2023 / Themenstart

Amen... Dann noch die ganzen Fahrten mitsamt Arbeitsausfall zu irgendwelchen Ärzten...

nachgedacht 19. Mai 2023 / Themenstart

Man könnte daraus aber auch folgern, dass früher die Arbeit um 25% auf 5 Tage gestreckt...

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