Videospielindustrie: Ein Patent, sie zu knechten

Große Gamestudios lassen sich auch naheliegende Ideen durch Patente schützen. In einem Medium, das von Offenheit lebt, behindert das die Innovation.

Artikel von Denis Gießler/Zeit online veröffentlicht am
Fanevent zum Mittelerde-Spiel "Schatten des Krieges": Dass das System patentiert wurde, das die Gegner im Game generiert, sorgt für Diskussion.
Fanevent zum Mittelerde-Spiel "Schatten des Krieges": Dass das System patentiert wurde, das die Gegner im Game generiert, sorgt für Diskussion. (Bild: David McNew/Getty Images)

Das war knapp. Die Spielfigur Talion hechtet über den Ork-Hauptmann und enthauptet ihn mit einem gezielten Hieb. Die Mission im Action-Adventure Mittelerde: Schatten des Krieges ist geschafft. Weil der Hauptmann nun tot ist, wird ein anderer Ork befördert. Später im Spiel kann die Spielerin wieder einem Hauptmann begegnen, der dann aber anders kämpft und spricht - er ist ja auch eine andere Person, also ein anderer Ork.

Inhalt:
  1. Videospielindustrie: Ein Patent, sie zu knechten
  2. Patente sollten eigentlich Innovationstreiber sein

Das komplexe Hierarchiesystem der Computergegner in den Mittelerde-Spielen gilt als bahnbrechend. Die Entwickler nennen es Nemesissystem. Es simuliert die Rangordnung der finsteren Gesellen und sorgt für immer neue Begegnungen mit Feinden, die eine eigene Persönlichkeit haben und auf vergangene Ereignisse reagieren können. Wer vor dem letzten Kampf geflohen ist, wird vom nächsten Ork möglicherweise als Feigling beschimpft.

Eine solche Spielmechanik erhöht den Wiederspielwert des Open-World-Games. Daran wären vermutlich auch andere Studios interessiert. Doch sie dürfen nichts Vergleichbares programmieren. Zumindest so lange nicht, bis ihnen Warner Bros. eine Lizenz erteilt. Denn der Konzern hat sich nach einer fünfjährigen Prüfung die Spielmechanik in den USA patentieren lassen.

Geschützt ist nicht der Code, sondern die Idee

Nun ist es nichts Neues, dass Firmen teure Technologien entwickeln, diese exklusiv nutzen und damit viel Geld verdienen wollen. Mittelerde: Schatten des Krieges wird von Warner Bros. Interactive Entertainment vertrieben, einer Geschäftseinheit der riesigen Filmgesellschaft, die auch Inhaberin der Herr-der-Ringe-Lizenz ist.

Doch das Nemesispatent schützt nicht etwa den exakten Quellcode der Spielmechanik. Warner Bros. hat sich die Rechte am gesamten Konzept eines dynamischen Gegnergenerierungssystems gesichert - und damit an einer Idee, die im Grunde für fast jedes Spiel relevant sein kann.

"Das ist zum Kotzen", schrieb die Narrative-Designerin Cat Manning vom Studio Riot Games Anfang Februar 2021 auf Twitter. "Ich habe mir das Patent angesehen und es ist so weit gefasst, dass es absurd ist." Bereits in anderen Spielen hätte Manning ähnliche Spielmechaniken gesehen.

Vor allem kleinere Studios hätten nun vor rechtlichen Schritten Angst und würden auf ein ähnliches System deshalb verzichten. Mit einer Verlängerung wäre das Nemesispatent bis 2035 gültig, im Videospielbereich ist das eine halbe Ewigkeit.

Das Nemesispatent hat große Wellen in der Gamesbranche geschlagen. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage: Sollte man sich die Spielmechanik, das Gameplay, schützen lassen können?

Ganz neu ist die Diskussion nicht: Schon vor dem Nemesissystem haben einzelne Studios versucht, sich Spielmechaniken zu sichern. 1998 erhielt der japanische Spielwaren- und Gameskonzern Bandai Namco ein US-Patent für Minispiele in Ladebildschirmen. 2002 meldete das US-Studio Midway Games das sogenannte Ghost-Racer-Patent an. Spielerinnen und Spieler sehen dabei in einem Rennspiel ihre vorherige Bestzeit in Form eines durchsichtigen Autos. Bioware stellte in seinem Rollenspielepos Mass Effect die Dialogauswahl in Form eines Rads dar und sicherte sich auch dafür ein Patent. Es gibt viele weitere Beispiele.

Ein Patent für Fußgänger, die in Deckung springen

Durch die Patente könne Gamestudios ihre Einnahmen durch Lizenzgebühren erhöhen oder der Konkurrenz durch sogenannte Sperrpatente innovative Mechaniken vorenthalten. Die japanische Firma Sega entwickelte im Jahr 2001 das Rennspiel Crazy Taxi. Darin rasen Spielerinnen und Spieler durch ein fiktives San Francisco und bringen Fahrgäste möglichst schnell von A nach B. Den schnellsten Weg zeigt dabei ein großer Pfeil am oberen Bildschirmrand an, für den Sega im März 2001 ein Patent erhielt.

Das Studio ließ sich noch weitere Funktionen sichern: Fußgänger, die in Deckung springen, zum Beispiel. Außerdem das Szenario, das in einer Stadt und nicht auf der Rennstrecke spielt. Kurzum: Sega sicherte sich das gesamte Genre der Taxispiele. 2001 kam es zum Eklat. Electronic Arts verwendete im Crazy-Taxi-Klon The Simpsons: Road Rage das gleiche System, der Pfeil war diesmal allerdings eine gelbe Simpsons-Hand.

Sega verklagte Electronic Arts, beide Parteien einigten sich außergerichtlich. Wie genau, ist unbekannt. Das Taxigenre sollte sich für Sega aber nicht auszahlen. Im Oktober 2001 erfand Rockstar Games mit Grand Theft Auto 3 die moderne Formel für frei begeh- und befahrbare 3D-Welten.

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Patente sollten eigentlich Innovationstreiber sein 
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Muhaha 22. Feb 2022

Der Punkt ist nicht, ob es schon mal so etwas gibt, sondern ob jemand mit einer Prior...

yumiko 17. Feb 2022

Naja, in Amiland laufen alle großen langjährigen Streitereien eigentlich auf eine...

yumiko 15. Feb 2022

Rockstar erfand frei begeh- und befahrbare 3D-Welten? Wohl kaum. Das war doch eher...

/mecki78 14. Feb 2022

Kann sie schon, wenn sie sicher ist, dass sie gewinnt. Bei solchen Prozessen musst du...



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