Unzulässige NSA-Selektoren: Kanzleramt soll Warnungen des BND ignoriert haben
Wann wusste das Kanzleramt von den Versuchen der NSA, mit Hilfe des BND europäische Ziele auszuspionieren? Nach neuen Medienberichten könnte das schon vor Jahren der Fall gewesen sein.

Das Bundeskanzleramt soll jahrelang Hinweise des Bundesnachrichtendienstes (BND) ignoriert haben, wonach der US-Geheimdienst NSA die vom BND abgefischten Daten nach europäischen Unternehmern und Politikern durchsuchen lassen wollte. Dies berichten die Süddeutsche Zeitung und die Bild am Sonntag. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung war schon 2005 aufgefallen, dass die NSA auch Kommunikation zu den Firmen EADS, Eurocopter und französischen Behörden herausfiltern wollte. Zudem finde sich in einem BND-Vermerk die Formulierung, die NSA versuche, die Überwachung "auf Bereiche auszudehnen, die nicht im gemeinsamen Interesse liegen". Im Kanzleramt sei dieses Warnsignal ignoriert worden, obwohl der BND gleich mehrmals über die Geschichte berichtet habe.
Der Bild am Sonntag (BamS) zufolge wurde das Kanzleramt 2008 über die Versuche der NSA informiert. In einem Vermerk, dem die BamS die bislang unbekannte Geheimhaltungsstufe "streng vertraulich" zuschreibt, soll die Regierung darauf hingewiesen worden sein, dass die NSA Wissen über die multinationalen Rüstungskonzerne EADS und Eurocopter abschöpfen wollte. Dies sei bei der automatischen Überprüfung der Selektoren festgestellt worden.
Dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages liege zudem ein Dokument aus dem Jahr 2010 vor, das zur Vorbereitung eines Treffens zwischen dem damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) und US-Vertretern gedient habe. Auch darin habe der BND auf die nicht abgesprochene Praxis der NSA hingewiesen. Der heutige Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der von 2005 bis 2009 Chef des Bundeskanzleramts war, wollte sich auf Anfrage der Bild am Sonntag mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen nicht zu dem Vermerk von 2008 äußern.
NSA-Ausschuss könnte bald de Maizière befragen
Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass die NSA dem BND bei Kooperationsprojekten jahrelang zehntausende unzulässige Suchbegriffe untergeschoben haben soll. Noch am selben Abend teilte die Bundesregierung mit, dass das Bundeskanzleramt im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert habe.
Dies konnte als Versuch verstanden werden, den Schwarzen Peter in der Affäre an den Geheimdienst abzugeben. Sollte das Kanzleramt aber regelmäßig über die Probleme informiert worden sein, stellt sich die Frage, inwieweit die "Dienst- und Fachaufsicht" ordentlich ausgeübt wurde. Vor diesem Hintergrund twitterte die Linke-Ausschussobfrau Martina Renner am Sonntag: "Ich glaube, der Zeugenplan wird gerade durcheinander gewirbelt. Würde mich nicht wundern, wenn wir bald schon den Innenminister laden."
Weitere Fragen über die US-Spionageaktivitäten in Deutschland wirft auch die Meldung auf, dass die US-Nachrichtendienste dem Bundeskanzleramt sogar belastendes Material über einen leitenden Mitarbeiter der dortigen Geheimdienstabteilung 6 geliefert haben sollen. Der erfahrene Beamte gab nach Angaben der Bild am Sonntag Informationen an deutsche Medien weiter. Unter Berufung auf deutsche und US-Sicherheitskreise berichtet die Zeitung, dass der damalige Chef der US-Geheimdienste in Deutschland bei einem Treffen mit Vertretern des Kanzleramtes die entscheidenden Informationen geliefert habe.
Ende August 2011 sei der deutsche Beamte nach einem persönlichen Gespräch mit Pofalla versetzt und mit Archiv-Aufgaben betraut worden. Das Kanzleramt soll auf Anfrage der Zeitung Treffen der zuständigen Stellen im entsprechenden Zeitraum eingeräumt haben, zu "Personalangelegenheiten" aber keine Stellung nehmen wollen. Sollte der Bericht zutreffen, stellt sich die Frage, ob die US-Geheimdienste damals die Bundesregierung oder deutsche Medien infiltriert hatten. "Oder beide", wie Renner twitterte.
Nachtrag vom 27. April, 2015, 9:15 Uhr
Das Bundeskanzleramt hat bestätigt, dass es vom Bundesnachrichtendienst schon 2008 über Spionageabsichten des US-Geheimdienstes NSA informiert worden ist. Es sieht diese Information aber nicht als neu an.
"Die in der Bild am Sonntag aufgeführten Unterlagen hat das Bundeskanzleramt bereits 2014 dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt", teilte ein Regierungssprecher am Sonntag mit. "Sie liegen dem in Rede stehenden Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses zugrunde und werden darin erwähnt."
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Der hilft ja eh nie...
Ich meinte ja auch die Gegenseite :)
Das Recht zu schweigen. ;-(
Wenn ich mir den Mielke so anschaue... Nein. Da wird gedacht, der Mob sei aufgehetzt...