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Unware: Wir haben im Holodeck um die Ecke geschaut

Sightseeing zwischen Wolkenkratzern, Platz nehmen im Cockpit eines Flugzeugs: Golem.de hat das Holodeck eines deutschen Start-ups ausprobiert.
/ Peter Steinlechner
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Flugzeug-Cockpit im Unware Holodeck (Bild: Peter Steinlechner / Golem.de)
Flugzeug-Cockpit im Unware Holodeck Bild: Peter Steinlechner / Golem.de

Wir schweben. Um uns herum sehen wir Wolkenkratzer, unter uns einige Dächer und noch weiter unten ein Netz aus Straßen. Staunend blicken wir uns um, bemerken immer neue Details - und fliegen weiter durch eine an Manhattan erinnernde Metropole.

Uns wird ein bisschen schwindlig. "Jetzt nicht stolpern" , denken wir unwillkürlich. Dann fällt uns ein, dass das Quatsch ist und uns nichts passieren kann. Denn tatsächlich befinden wir uns nicht über einer nordamerikanischen Großstadt, sondern im Untergeschoss eines Firmengebäudes in Ingolstadt.

Dort probieren wir das Holodeck des Start-ups Unware(öffnet im neuen Fenster) aus, das Maike Voigt, Frank Egle und Marcel Egle Anfang 2024 gegründet haben.

Viele mögliche Anwendungen des Holodecks würde man normalerweise mit einer Virtual-Reality-Brille verwenden. Das ist hier jedoch nicht nötig: Die virtuelle Realität kommt vollständig ohne VR-Headsets oder ähnliche Geräte aus, die man vor das Gesicht schnallt.

Menschlicher Austausch per Augenkontakt

Dadurch ist das Holodeck nicht nur komfortabler, sondern ermöglicht auch nonverbale zwischenmenschliche Kommunikation etwa per Augenkontakt, wie sie unter anderem in Verkaufs- und Trainingssituationen essenziell ist.

"Eine Stärke des Holodecks liegt darin, dass es zugänglich für jeden ist - ohne Belastung im Gesicht und für längere Zeit nutzbar" , erklärt uns Frank Egle.

Unser Flug über die Großstadt basiert auf der 2022 von Epic Games veröffentlichten Demo zum Kinofilm The Matrix Awakens (Unreal Engine 5). Im Holodeck können wir allerdings nicht nur über die Dächer schweben, sondern auch in den Straßen stehen und uns umsehen.

Und vor allem: Auf der gebogenen Leinwand um uns herum können wir auch ganz natürlich um die Ecke blicken. Das mag nebensächlich erscheinen, ist aber wichtig. Die Anwendung reagiert auf unsere Kopfbewegungen: Wenn wir uns vorbeugen, wird der Ausschnitt perspektivisch korrekt verschoben.

Dadurch haben wir einen erstaunlich natürlichen Seh-Eindruck. Es gibt zwar keine Stereoskopie, wie sie VR-Brillen bieten. Aber darauf muss uns Frank Egle aufmerksam machen, wir hätten das dreidimensionale Sehen im Holodeck sonst schlicht nicht vermisst.

Unsere Kopfbewegungen und die Blickrichtung werden von vier Intel-Realsense-Kameras in der Decke des Holodecks erfasst. Die Auswertung erfolgt über die von Marcel Egle programmierte Software, die uns fast in Echtzeit als simples Strichmännchen-Skelett erfasst und unsere Aktionen auswertet.

Dank der schnellen Bewegungserkennung mit acht Millisekunden Verzögerung ist das Erlebnis flüssig und vermeidet Motion Sickness - ein bekanntes Problem herkömmlicher VR-Systeme.

Die Grafik um uns herum wird von vier 4K-Laser-Kurzdistanzprojektoren erstellt, die für ein scharfes Bild ohne erkennbare Pixel sorgen. Sie beamen das Bild auf eine 2 Meter hohe, um 220 Grad gekrümmte Leinwand von Screen Innovations mit einer Dicke von 2,4 Millimetern.

Das Holodeck ist skalierbar

Dazu kommen Infrarotstrahler für optimierte Lichtverhältnisse und ein leistungsstarkes Soundsystem mit Subwoofer am Boden und Lautsprechern in Decke und Boden.

Jeder der vier Projektoren wird über einen eigenen PC angesteuert, für die Erfassung der Körperbewegung ist ein fünfter Rechner nötig. Dessen KI-gestützte Software wurde ebenfalls von Marcel Egle für das Start-up entwickelt und ist entscheidend für das Erlebnis des Unware Holodecks.

Neben dem Ausflug in die großstädtische Matrix können wir im Holodeck noch weitere Anwendungen ausprobieren. Das eine ist ein Flugzeugcockpit um uns herum. Hier können wir an die Fenster herantreten und über die Kante nach unten schauen - perspektivisch korrekt, ganz natürlich.

Mit einfachen Handbewegungen, vor allem einem gerade ausgestreckten Finger, können wir Bedienflächen aktivieren und so einfache Befehle ausführen. Allerdings könnte man das Ganze laut Frank Egle auch mit echten Steuerknüppeln und anderen Eingabegeräten verbinden, um ein realistischeres Training zu ermöglichen.

In einer weiteren Anwendung können wir im Sitzen ein Wohnzimmer ebenfalls mit Handbewegungen neu einrichten, indem wir etwa das Bett verschieben. Gerade für den Verkauf von Immobilien dürfte das Holodeck vermutlich sehr viel besser geeignet sein als ein VR-Headset, weil mehrere Personen gemeinsam den virtuellen Raum betreten können.

Die Perspektive wird normalerweise anhand der am weitesten vorne stehenden Person berechnet. Das kann man mit ein oder zwei Klicks aber auch anders festlegen.

Des Weiteren können wir eine Turbine vor uns anzeigen lassen, sie drehen und wenden, Details vergrößern und uns so ein genaues Bild von der Maschine machen. Dieses Beispiel illustriert ganz gut einen der typischen Einsatzbereiche, nämlich die frühe Prototypensimulation. Ob Automobilindustrie, Architektur oder Maschinenbau: Produkte und Gebäude können schon in frühen Entwicklungsphasen getestet werden.

Auch Training und Kollaboration können laut Frank Egle zu den Anwendungsbereichen zählen. Teams können gemeinsam in virtuellen Szenarien arbeiten, Schulungen durchführen oder in komplexe Simulationen eintauchen. Im Handel oder auf Messen ermöglicht das Holodeck außerdem eine interaktive Produktpräsentation.

"Computer, nächste Simulation" per Sprachbefehl

Wenn wir uns im Holodeck virtuell fortbewegen wollen - etwa zu Fuß - stehen im Prinzip die gleichen Optionen wie mit Virtual-Reality-Headsets zur Verfügung, also Teleportation oder flüssiges Gehen mit echten oder virtuellen Eingabegeräten.

Langfristig soll das Holodeck noch größer und leistungsfähiger werden. Eine skalierbare Version mit acht Projektoren und doppelt so viel Rechenleistung ist in Planung. Auch die Integration von Sprachsteuerung wird angestrebt.

"Wir sind frisch auf dem Markt und arbeiten eng mit Kunden zusammen, um das System optimal an verschiedene Industrien anzupassen" , sagt Maike Voigt. "Außerdem sind wir Star-Trek-Fans und wollen sagen können: Computer, nächste Simulation" , fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

Unware erhält Förderung durch Bayern Innovativ, wodurch die Softwareentwicklung bis 2026 gefördert wird. Auch internationale Partner wie Nvidia und Epic Games mit der Unreal Engine sind an Bord. Und: "Scalable Display aus Boston war beeindruckt, dass unsere Lösung mit Millionenprojekten mithalten kann, ohne überentwickelt zu sein" , berichtet Egle.

Dennoch steht das Unternehmen vor Herausforderungen. Viele potenzielle Kunden zögern etwa, in eine so disruptive Technologie zu investieren. "Wenn man Virtual Reality sagt, denken alle an eine Brille. Dass es auch ohne geht, ist für viele noch ungewohnt."

Natürlich ist das Unware Holodeck noch ein paar Warpsprünge von den Paralleluniversen im Raumschiff Enterprise entfernt. Aber in den ausprobierten Anwendungen hat uns die Technik grundsätzlich überzeugt. Bei ausreichend Platz und Geld würden wir ein derartiges System wegen des sehr viel größeren Komforts jederzeit einem Virtual-Reality-Headset vorziehen.


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