Überwachungstechnik: Die Firma, die alles weiß

Zum ersten Mal gelangte Narus vor sieben Jahren in die Schlagzeilen. Es war Mark Klein, der die Firma an die Öffentlichkeit zerrte. Der Angestellte des Telekom-Riesen AT&T war misstrauisch geworden, nachdem die US-Geheimdienstbehörde National Security Agency (NSA) einen Mitarbeiter in seiner Niederlassung in der Folsom Street 611 in San Francisco vorbeigeschickt hatte, um die Räume zu inspizieren. Eigentlich darf die Behörde nach dem Gesetz nicht mit Kommunikationsunternehmen zusammenarbeiten.
Kurz darauf wurde in der Niederlassung ein neuer Raum eingerichtet, betrieben von der NSA, Zutritt verboten. Kopien aller bei AT&T eingehenden Daten, so Klein später, seien von nun an in Raum 641A umgeleitet worden: Informationen zu Webbrowsing, E-Mails, Telefongespräche. Herz des Raums: ein Analyse-Apparat der Firma Narus. Klein wandte sich an die Organisation Electronic Frontier Foundation (EFF), die für Bürgerrechte im Internet kämpft. "Ich will, dass alle Amerikaner verstehen, was vor sich geht" , sagte Klein im Interview mit dem Sender PBS(öffnet im neuen Fenster) 2007. Die EFF reichte 2007 im Namen der Kunden Klage gegen AT&T ein, weil der Konzern die Privatsphäre seiner Mitarbeiter verletzt habe. Im Dezember 2011 wies das zuständige Gericht die Klage ab. Damit verschwand auch Narus aus den Schlagzeilen.
Jetzt taucht der Name wieder auf. Narus sei "das eine Unternehmen, das all das möglich macht" , zitiert das Magazin Salon(öffnet im neuen Fenster) in einem Artikel zum Überwachungsprogramm Prism den Whistleblower Bill Binney , der früh vor der Sammelwut der NSA warnte. 60 bis 80 Prozent aller Datenströme, die etwa über die Kabel des Telekom-Anbieters Verizon liefen, würden von Narus automatisch gesammelt und gespeichert. Narus stelle Werkzeuge bereit, die der NSA Hintertüren zu allen großen US-Technologiefirmen öffneten. Insgesamt 1,25 Millionen E-Mails mit je 1.000 Zeichen in der Sekunde können die Systeme laut Binney analysieren - 100 Milliarden am Tag. Ohne Narus, sind sich Insider einig, hätte die NSA Prism niemals durchführen können.
Nur in der Szene bekannt
Die Firma aus dem kalifornischen Sunnyvale gilt als Pionier und weltgrößter Hersteller von Überwachungstechnik. Aber Informationen über Narus zu bekommen ist schwer. Selbst in der Branche weiß kaum jemand Genaues über die verschwiegene Firma, das Wissen beschränkt sich auf das wenige, das Narus selbst herausgibt. In interessierten Zirkeln sei die Firma zwar sehr bekannt, meint etwa Sicherheitsexperte Sebastian Stadl vom Cloud-Unternehmen Scalr. Außerhalb kenne sie so gut wie niemand. "Narus ist nicht die Art von Firma, die etwas davon hat, in der Presse aufzutauchen."
Lange war das Unternehmen, das 1997 in Israel gegründet wurde und dessen Name vom lateinischen Wort für "allwissend" abgeleitet ist, privat, Informationen kamen kaum an die Öffentlichkeit. Narus beschäftigt nach eigenen Angaben weltweit 150 Mitarbeiter. Auf der Internetseite heißt es, "Regierungen, Carrier und Unternehmen rund um die Welt" gehörten zu seiner "schnell wachsenden Kundschaft" . Auf eine Anfrage von Zeit Online reagierte das Unternehmen nicht.
Überwachungstechnik für Regierungen und Behörden
Mit Regierungen hatte Narus zunächst wenig zu tun. Ursprünglich entwickelte die Firma ihre Technologie für Internetunternehmen und Telefonanbieter, damit diese die Aktivitäten ihrer Kunden nachvollziehen und entsprechend nach der Nutzung verschiedener Dienste abrechnen konnten. Die Narus-Software wusste, wer wie lange online war, wer wie viele E-Mails gesendet, Videospiele gespielt und welche Dateien hoch- oder runtergeladen hatte.
Nach dem 11. September 2001 rüstete Washington auf und investierte Milliarden in die Onlineüberwachung. Das bereitete den Weg für Firmen wie SAIC, Northrop Grumman, Booz Allen Hamilton - und Narus. Von nun an setzte die kleine Firma zunehmend auf Überwachungstechniken für Regierungen und Behörden. So erfolgreich, dass der Flugzeugbauer Boeing auf das Unternehmen aufmerksam wurde und die Firma im Juli 2010 übernahm. Seitdem, da ist Sebastian Stadl vom Cloud-Unternehmen Scalr sicher, habe der Flugzeugbauer viel Geld in die hochlukrative Tochter gesteckt.
NSA-Mann rückte in die Geschäftsführung
Washington hätte gar keine andere Wahl gehabt, als auf private Partner wie Narus zurückzugreifen, sagen Sicherheitsexperten wie Allan Friedman vom Thinktank Brookings. "Die Behörden hatten schlicht nicht die Talente und die Ressourcen, solche Systeme selbst zu entwickeln." Die Internetüberwachung sei deshalb von Anfang an ein Joint Venture zwischen Regierungen und privaten Unternehmen gewesen. Wie eng Narus mit der Behörde zusammenarbeitet, zeigt sich auch auf der Gehaltsliste. 2004 stellte das Unternehmen William Crowell als Geschäftsführer ein. Crowell war bis dahin Deputy Director der NSA und saß bis zum 11. September in zahlreichen Sicherheitsgremien der Regierung.
Nicht nur wegen der engen Verknüpfung zu Geheimdiensten ist die Firma umstritten. 2011 berichtete das Wall Street Journal(öffnet im neuen Fenster) , Narus habe Gespräche mit dem damaligen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi geführt. Der Diktator habe die Systeme von Narus nutzen wollen, um Dienste wie Skype und Youtube zu überwachen - und so die Aufständischen im Land unter Kontrolle zu halten. Auch mit anderen Regimes soll Narus zusammengearbeitet haben, darunter Pakistan und Saudi-Arabien. Narus selbst ging auf die Vorwürfe nie ein. Von Narus-Präsident John Trobough gibt es vor allem schwammige Aussagen: "Wir leben in einer eng verknüpften Welt, in der Grenzen verschwinden, irgendwo zwischen dem Privaten und dem Digitalen" , sagte er noch im März dem Magazin Technorati(öffnet im neuen Fenster) .
Unterdessen ist die Firma dabei, die nächste Generation an Überwachungstechnologie an den Kunden zu bringen. Im Februar stellte Narus den Datenscanner nSystem vor. Die Software sei in der Lage, "Millionen an Daten und Metadaten zu scannen, Daten von Nutzern, Gemeinschaften, Geräten und Anwendungen zu sammeln und sich in Netzwerke hineinzuwühlen" . NSystem basiere zudem auf dem Cyber-3.0-Standard - einer Strategie, die das US-Verteidigungsministerium nur wenige Monate vorher vorgestellt hatte, um Amerika besser gegen Netzterrorismus zu schützen. Die Lobbyorganisation Free Press, die sich unter anderem für ein freies Internet ohne Datenüberwachung einsetzt, bezeichnete nSystem anschließend als "ziemlich gruseliges Zeug" .



