Staatstrojaner: Wenn Überwacher nicht wissen, was sie tun
Die Staatsanwaltschaften im Land haben es nicht geschafft, eine einfache Frage richtig zu beantworten. Dabei geht es um nichts Geringeres als den Staatstrojaner.

Im Dezember 2020 veröffentlichte das Justizministerium eine Statistik: Demnach soll der umstrittene Staatstrojaner im Jahr 2019 insgesamt 368-mal von der Polizei eingesetzt worden sein. Nun haben WDR und NDR aufgedeckt, dass die Zahlen falsch sind. Das lässt einen fassungslos zurück, geht es doch um einen der massivsten Grundrechtseingriffe, die das Überwachungsarsenal der Strafverfolgungsbehörden und vermutlich bald auch der Geheimdienste zu bieten hat.
Formulare auszufüllen mag eine nervige Aufgabe sein, ist aber nicht besonders komplex - zumindest für Menschen, die durch ein Jurastudium gekommen sind. Mehrere Staatsanwaltschaften scheinen dieser jedoch nicht gewachsen zu sein.
So erklärte eine Sprecherin der Essener Staatsanwaltschaft, "dass die gemeldeten Zahlen [...] höchstwahrscheinlich falsch sind". Bei der Erstellung der Statistik seien möglicherweise "Kreuzchen/Häkchen versehentlich falsch gesetzt worden". Ähnliche Rückmeldungen bekamen NDR und WDR von den Staatsanwaltschaften in Münster, Bochum und Detmold.
Frage: Wie oft wurde die Quellen-TKÜ eingesetzt? Antwort: Ja!
Ganz nachvollziehen lassen sich die falsch gesetzten Kreuzchen oder Häkchen indes nicht. So wurde doch explizit nach der "Anzahl der Eingriffe in ein vom Betroffenen genutztes Informationstechnisches System gem. § 100a Abs. 1 Sätze 2 und 3 Strafprozessordnung" gefragt. Die Frage mag für Laien kompliziert klingen, allerdings geht es letztlich um die Anzahl der durchgeführten Quellen-Telekommonikationsüberwachungen - also den Einsatz eines Staatstrojaners, um verschlüsselte Kommunikation im entschlüsselten Zustand auf dem jeweiligen Endgerät abgreifen zu können. Der Knackpunkt ist hier das Wort Anzahl. Wie viele Überwachungen es gab, lässt sich nicht mit Ja oder einem Kreuzchen beantworten.
Dabei gehören solche Fragestellungen sowie das Achten auf den genauen Wortlaut für Juristen zum Handwerkszeug - und zwar in deutlich komplexeren Formen. Beispielsweise wenn ein nahezu unverständlicher Gesetzesparagraf nach dem Wortlaut ausgelegt werden muss. Wenn nun gleich etliche Staatsanwaltschaften eingestehen, dass beim Beantworten und Zusammentragen dieser Frage Fehler passiert sind, muss man sich schon fragen, was hier falsch läuft.
Staatsanwaltschaften in anderen Bundesländern haben ebenfalls zu hohe Zahlen gemeldet, darunter Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Auch das Justizministerium Hessen zweifelt an den Zahlen. Selbst aus Polizeikreisen kommt Kritik: "Den Justizverwaltungen hätte auf den ersten Blick auffallen müssen, dass die Zahlen so nicht stimmen können", kritisiert Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), da die hochkomplizierte Form der Überwachung in der Praxis nur selten umsetzbar und entsprechend kein Alltagswerkzeug sei. Viele durchgeführte Anordnungen scheinen jedenfalls nach dem Bericht von WDR und MDR nicht mehr übrig zu bleiben.
Staatsanwaltschaften veranlassen Überwachungsmaßnahmen
Zur Erinnerung: Staatsanwaltschaften veranlassen durch Überwachungsmaßnahmen schwerwiegende Grundrechtseingriffe. Diese unterstehen zwar häufig einem Richtervorbehalt, die Richter kontrollieren aber angesichts der vielen Anfragen häufig nur auf Plausibilität und lehnen nahezu keine Anträge ab. "Eine richterliche Kontrolle ist eine sehr niederschwellige Kontrolle und absolut kein ernstzunehmender Schutz für die Rechte der Bürger", erklärte der Rechtsanwalt Ulrich Kerner auf dem Hackerkongress 36C3.
Nicht selten übernehmen die Richter in ihrer Begründung einer Überwachungsmaßnahme die Argumentation der Staatsanwaltschaft wörtlich oder inhaltlich. Faktisch entscheidet also die Staatsanwaltschaft über die Überwachungsmaßnahmen und schwerwiegenden Grundrechtseingriffe. Also die Leute, die eine Frage nach der Anzahl der durchgeführten Überwachungsmaßnahmen selbst mit einem einfachen Kreuzchen nicht richtig beantworten können.
IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach).
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Sie verfolgen keine eigenen Ziele und haben deshalb auch keinerlei Interesse daran, die...
.. und wie berechnet fallen die meisten darauf rein.
Wenn ich fälschlicherweise bei einer Frage nach "Anzahl.. (wie häufig)" ein "wurde...
bis die Frage geklärt ist, weshalb deren Einsatz nicht korrekt vermerkt wurde. Oder irre...