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Überwachung: Katholisches Medium outet Priester über Standortdaten

Dating- Apps wie Grindr geben Standortdaten an Unternehmen weiter. Ein Priester wurde mit den vermeintlich anonymen Daten geoutet.
/ Moritz Tremmel
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Priester mit Verehrer (Bild: Wilfried Pohnke/Pixabay)
Priester mit Verehrer Bild: Wilfried Pohnke/Pixabay

Schon seit Jahren warnen Datenschützer, Wissenschaftler und Journalisten vor vermeintlich anonymen Sammlungen von Standortdaten, die beispielsweise von Dating-Apps erhoben und an Drittfirmen weitergegeben werden könnten. Nun wurde mit solchen Daten ein katholischer Priester, der vor seinem Rücktritt Generalsekretär der US-Bischofskonferenz (USCCB) war, verfolgt und als Besucher von Schwulenbars und Nutzer der Dating-App Grindr geoutet, die sich an Homo-, Bi- und Transsexuelle richtet.

Der kirchenbezogene Substack-Newsletter und -Blog The Pillar(öffnet im neuen Fenster) gelangte an die vermeintlich anonymen Standortdaten des Priesters. Diese hat The Pillar nach eigenen Angaben von einem Anbieter bezogen und mithilfe einer Datenberatungsfirma authentifiziert.

Anbieter für Standortdaten gibt es viele. Solche Daten werden auch von US-Militärgeheimdiensten gekauft und zu Überwachungs- und Strafverfolgungszwecken genutzt.

Grindr benötigt den Standort beispielsweise, um Nutzer in der Nähe anzuzeigen, die für mögliche Kontakte in Frage kommen. Die bei der Nutzung gesammelten Daten, darunter auch den Standort, gibt die App an verschiedene Drittfirmen weiter, bei denen die Daten wiederum erstanden werden können.

Standortdaten deanonymisiert

Auch wenn die Standortdaten vermeintlich anonymisiert oder pseudonymisiert wurden, lassen sie sich über bekannte Aufenthaltsorte einer Person leicht deanonymisieren. The Pillar hat nach eigenen Angaben genau dies gemacht und die Standortdaten mit bekannten Aufenthaltsorten und -zeitpunkten des Priesters korreliert.

So konnte der Mann beispielsweise mit einem Besuch eines "selbsternannten Schwulen-Badehauses" in Verbindung gebracht werden. Auch die Nutzung von Grindr und den Aufenthalt in verschiedenen Privatwohnungen waren in den Daten zu erkennen.

Die Verwendung von Dating-Apps sei nicht mit dem Zölibat vereinbar, zitiert The Pillar Pater Thomas Berg, Professor für Moraltheologie am St. Joseph's Seminar in Yonkers, New York. Anschließend spannte das Medium den Bogen zu sexuellem Kindesmissbrauch.

Dieser könne dem Priester zwar nicht nachgewiesen werden, aber die Verwendung der Dating-App Grindr stelle "seine Rolle bei der Entwicklung und Überwachung der nationalen Kinderschutzpolitik" in Frage, so The Pillar. In einem Großteil des Artikels geht The Pillar auf die Verwendung von Dating-Apps durch Minderjährige und Kirchenpersonal ein.

Grindr will nicht verantwortlich sein

In einer Stellungnahme bezeichnet Grindr den Blogbeitrag von The Pillar als " homophob und voller unbegründeter Anspielungen." Zudem sei die Recherche "vom technischen Standpunkt aus undurchführbar" . Es gebe absolut keine Beweise, die die Behauptungen über eine unzulässige Datenerfassung oder -nutzung im Zusammenhang mit der Grindr-App belegen würden, erklärte Grindr dem Onlinemagazin Motherboard(öffnet im neuen Fenster) .

Letzteres dürfte jedoch nicht der Wahrheit entsprechen. In Norwegen wurde Anfang des Jahres ein Bußgeld von knapp 10 Millionen Euro wegen Datenschutzverstößen festgesetzt. Bei einer Analyse von zehn Dating-Apps wurde im Jahr zuvor festgestellt, dass diese Daten an 135 Trackingunternehmen sendeten .

Die norwegischen Datenschutzbehörden warnten damals bereits vor Fällen, in denen mit den so erlangten Informationen gegen Grindr-Nutzer vorgegangen wird - vor allem in Ländern, in denen Homosexualität illegal ist. In der Vergangenheit wurde wiederholt gezeigt, dass sich Standortdaten leicht deanonymisieren lassen.

Massive Kritik an The Pillar

Der von The Pillar hergestellte Zusammenhang zwischen der Nutzung einer Dating-App für Homo-, Bi- und Transsexuelle mit Kindesmissbrauch wird von der LGBTQ-Community massiv kritisiert. Die Pillar-Autoren erklärten laut der Washington Post(öffnet im neuen Fenster) , dass sie in ihrer Geschichte nicht andeuten wollten, dass der Priester Minderjährige über Grindr sexuell missbraucht habe. Den Zusammenhang zwischen Dating-Apps und Kindesmissbrauch nahmen die Autoren jedoch nicht zurück.

Der Autor meint dazu:

The Pillar versucht zwanghaft, Zusammenhänge herzustellen, die es schlicht nicht gibt. Homosexuelle sind keine Pädokriminellen und Dating-Apps nicht verantwortlich für das seit vielen Jahren bestehende Problem des sexuellen Missbrauchs insbesondere, aber nicht nur von Minderjährigen in der katholischen Kirche.

In einer Studie untersuchten mehrere Universitäten die Personalakten(öffnet im neuen Fenster) von über 38.000 Klerikern, die zwischen 1946 und 2014 in den deutschen Bistümern beschäftigt waren. Rechnerisch 4,4 Prozent aller Kleriker, insgesamt 1.670, haben demnach mutmaßlich mehr als 3.600 Kinder und Jugendliche missbraucht. Die tatsächlichen Zahlen dürften jedoch weitaus höher liegen.

Auch in zahlreichen anderen Ländern wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder durch Kirchenvertreter bekannt. Vor diesem Hintergrund mit homophoben Aussagen und Vorwürfen gegen Dating-Apps um sich zu werfen ist schlicht ein weiteres Armutszeugnis, das sich nahtlos in die Vertuschung und das Kleinreden des Problems durch die katholische Kirche einfügt.


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