Überwachung: Chatkontrolle soll trotz interner Kritik kommen

Ein Prüfbericht der EU-Kommission äußert "erhebliche Bedenken" an der geplanten Überwachung von Messengern. Kommen soll die Chatkontrolle trotzdem.

Artikel veröffentlicht am ,
Verschlüsselte Messenger: EU-Kommission will mitlesen können.
Verschlüsselte Messenger: EU-Kommission will mitlesen können. (Bild: DAMIEN MEYER/AFP via Getty Images)

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hält an einer geplanten Massenüberwachung der Messengernachrichten fest. Diese soll in den nächsten Wochen in den Gesetzgebungsprozess eingebracht werden. Doch die Pläne ernten massive Kritik. Auch eine Stellungnahme des Überprüfungsausschusses der Europäischen Kommission äußert Bedenken an der Überwachungsmaßnahme, die Messengeranbieter wie Whatsapp, Signal oder Threema dazu verpflichten würde, ihre Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu umgehen, um die Nachrichten auf möglichen sexuellen Kindesmissbrauchs zu überprüfen und an staatliche Behörden weiterzuleiten.

Inhalt:
  1. Überwachung: Chatkontrolle soll trotz interner Kritik kommen
  2. Ukraine-Krieg zeigt, wie wichtig Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist

Der Prüfbericht (PDF) mit dem Stand vom 15. Februar 2022 wurde vom französischen Magazin Contexte geleakt und von Netzpolitik.org gespiegelt. Er enthält nur die Bewertung des Überprüfungsausschusses, nicht jedoch den geplanten Verordnungstext. Demnach wurde der Vorschlag der Kommissarin im Sommer des vergangenen Jahres noch mit "negativ" bewertet, eine aktuellere Version bekommt die Einstufung "positiv, aber mit Vorbehalt". Nach wie vor enthalte der Verordnungsentwurf "erhebliche Mängel".

Bemängelt wird unter anderem, dass nicht hinreichend klar sei, wie die Durchsuchungsmechanismen das Verbot anlassloser Massenüberwachung in der EU respektieren würden. Ebenfalls kritisiert wird, dass kein ausreichender Nachweis über die Geeignetheit und die Verhältnismäßigkeit erbracht werden. Es wird also nicht ausreichend dargelegt, ob die Maßnahme überhaupt zielführend ist, um sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet zu begegnen. Zudem legt der Gesetzentwurf nicht dar, ob der Eingriff in die Grundrechte der EU-Bürger in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Nutzen steht.

Es braucht einen öffentlichen Aufschrei gegen Chatkontrolle

Diego Naranjo von der europäischen Dachorganisation etlicher Bürgerrechtsorganisationen Edri sagte zu Netzpolitik.org: "EDRi ist fassungslos, dass Kommissarin Johansson diese Gesetzgebung vorantreibt, obwohl ihre eigenen Kollegen so große Bedenken äußern."

"Der Ausschuss für Regulierungskontrolle deckt schonungslos die Abgründe der Chatkontrolle auf, nämlich dass die flächendeckende Massenüberwachung intimster Kommunikation und Bilder laut Europäischem Gerichtshof gegen unsere Grundrechte verstößt", sagte der Piratenpartei-Abgeordnete im EU-Parlament, Patrick Breyer, zu Golem.de. "Dass das Machwerk schlussendlich doch grünes Licht bekommen hat, lässt sich nur mit massivem Druck von ganz oben erklären. Nur ein öffentlicher Aufschrei gegen die Chatkontrolle kann Zensursula jetzt noch stoppen!"

Das Ende der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung

Auf eine konkrete technische Umsetzung der Überwachungsmaßnahme hat sich die EU-Kommission wohl noch nicht festgelegt. In einem 2020 geleakten Dokument erörterte die Kommission verschiedene Überwachungsvorschläge: von einem Zweitschlüssel, mit dem nicht nur die Empfänger, sondern auch Behörden die Nachrichten entschlüsseln könnten, bis hin zu einem Scan der gesendeten und empfangenen Nachrichten auf den jeweiligen Endgeräten, mit anschließendem Ausleiten.

Dabei dürfte schon der Scan nach bekannten, aber leicht veränderten Bildern und Videos mit Kindesmissbrauch extrem fehleranfällig sein und zu unzähligen False-Positives führen: Es werden also private und intime Nachrichten an staatliche Behörden übermittelt, die gar keinen sexuellen Missbrauch von Kindern enthalten. Noch drastischer dürften die Fehlerraten bei der laut Prüfbericht ebenfalls vorgesehenen Überprüfung der Nachrichten auf Grooming sein, also dem Heranmachen von Erwachsenen an Kinder über das Internet.

Bei unverschlüsselten Nachrichten sind solche Scans nach Missbrauchsinhalten in der EU derzeit auf freiwilliger Basis erlaubt und werden beispielsweise von Anbietern wie Microsoft, Google oder Facebook genutzt. Nach den Plänen von Johansson soll dies verpflichtend auch für verschlüsselte Messengernachrichten gelten, was deren Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die vertrauliche Kommunikation über Messenger faktisch abschafft.

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Ukraine-Krieg zeigt, wie wichtig Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist 
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Termuellinator 29. Mär 2022

Was soll das bringen, wenn die Taeter nicht geschnappt werden? Ich wuerde sogar fast so...

redmord 28. Mär 2022

3.000 ¤ ist auch hoch gegriffen, im Einzelfall, aber vielleicht möglich. Das teure sind...

redmord 28. Mär 2022

Das steht eben noch nicht fest. Die EU hat hier mehrere Optionen im Portfolio.

redmord 28. Mär 2022

Hier auch der ORF zum Thema: https://fm4.orf.at/stories/3022970/ "Einwand zwei betrifft...



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