Turrican II im Retro-Review - Sprechtext des Videos als Fließtext
Wenn es eine Galerie mit berühmten Spielfiguren gäbe, deren Namen niemand kennt, würde ein Mann prominent auftauchen: Bren McGuire. Er ist mit seiner Mannschaft im Jahr 3025 an den Außengrenzen des erforschten Universums in der Galaxie Aldebaran 42 unterwegs.
Plötzlich entern Mutanten sein Raumschiff und töten die Besatzung. Bren McGuire weiß, was zu tun ist: Er schlüpft in seinen Kampfanzug und macht sich auf die Suche nach dem Schuldigen. Als stählerne Turrican-Spielfigur ist Bren McGuire eine Legende.
Lange vor Crysis beginnt 1991 so ein ebenfalls in Deutschland produzierter Grafikkracher mit dem Landeanflug in unbekanntes Gebiet: Turrican 2.
Das Spiel war sehnsüchtig erwartet worden: Es gab sogar zwei Verletzte, als auf einer Messe in Köln Demodisketten verteilt wurden und eine Rangelei ausbrach. Sein Programmierer Manfred Trenz ist in der Szene kein Unbekannter. Er schuf bereits den ersten Teil, der auf 8- und 16-Bit-Heimcomputern erschien. Auch davor galten seine Werke als Spielspaßgaranten. Womit er weniger Glück hatte, war die Wahl seiner Sujets.
So wurde The great Giana Sisters kurz nach der Veröffentlichung auf dem C64 vom Markt genommen – zu offensichtlich orientierte sich der Plattformer an den italienischen Klempnern aus dem Repertoire eines japanischen Konzerns. Trenz' nächstes Projekt Katakis ereilte ein ähnliches Schicksal: Es wirkte wie eine sehr gut gemachte Kopie des Spielhallenhits R-Type. Dessen Produzenten ließen sich immerhin auf einen Deal ein und so wurde in wenigen Wochen zusätzlicher Arbeit aus dem grafisch imposanten Ballerspiel die offizielle Umsetzung von R-Type auf dem C64.
Noch eine weitere Konstante zog sich durch das Werk von Trenz: Die Namen für die Spiele fand er nach eigenen Angaben im Telefonbuch. Katakis war der Nachname einer griechischstämmigen Familie aus Gütersloh, Turricano hieß ein in Düsseldorf ansässiger Italiener. So zumindest erzählte es Trenz im Interview mit einer Amiga-Zeitschrift im Jahr 1990. Dagegen spricht, dass das Spiel zunächst Hurrican hieß.
Zu diesem Zeitpunkt erschien auch der erste Teil der Serie. Turrican zeigte auf dem C64 in seinen 13 Spielwelten eine bis dahin selten gesehene Grafikpracht. Trenz hatte sich von dem 1988 erschienenen Titel Hawkeye inspirieren lassen – übertraf diesen aber in jeder Hinsicht. Auch auf dem Amiga machte das Spiel Eindruck.
Nur ein Jahr später schlüpfte der Protagonist, der nun den Namen Bren McGuire bekommen hatte, erneut in seinen Kampfanzug und stellte sich der Roboter-Übermacht auf fremden Planeten. Auch dabei sah Trenz selbst zwar die C64-Version als maßgeblich an, aber dank des talentierten Entwicklerteams von Factor 5 überstrahlte Turrican II auf dem Amiga das Original mit herausragender Grafik und Musik. Der Soundtrack von Chris Huelsbeck ist noch immer im Ohr einer ganzen Spielergeneration und hat bis heute nicht an Kraft verloren.
Im ersten Level landet Bren McGuire in einer Wüstenlandschaft mit einem farbenfrohen Hintergrund aus sogenannten Rasterbars – diese horizontalen Streifen verbrauchen wenig Speicher und fungieren hier als Himmel, der sich unabhängig vom Boden bewegt und so die Illusion von Tiefe erzeugt. Neu ist, dass man auf die kleinen Bodengegner springen kann, die mit einem beleidigten Geräusch davonhuschen.
Auf dem C64 sieht das alles naturgemäß etwas weniger farbenfroh aus, aber weiches Bildschirmscrolling in alle Richtungen und Massen an Gegnern auf dem Bildschirm waren auf dem damals zehn Jahre alten System keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem: Durch den fehlenden Soundtrack hinterlässt die C64-Version heute nicht mehr so einen starken Eindruck wie 1991, als wir buchstäblich mit offenen Mündern vor dem Fernseher saßen.
Wie damals auf Computern üblich ist Springen nur durch Drücken des Joysticks nach oben möglich. Das störte niemanden, ist aber heute eine ziemliche Qual.
Mit Fortschreiten des ersten Levels wechselt in der Amiga-Version die Farbe des Hintergrundes, und wir lernen immer mehr Waffen kennen. Es gibt einen Spray-Schuss, einen Laser und Kugeln, die beim Aufprall zerspringen und sich in kleinere Geschosse verwandeln. Ein Wechsel der Waffen ist immer nur an Power-up-Blöcken möglich, aus denen allerdings alles Mögliche herauskommt, wenn wir sie beschießen. Sammelt man mehrere Symbole einer Waffe auf, dann verstärkt sich deren Wirkung. Nach dem Bildschirmtod kehrt sie allerdings in einen schwächeren Zustand zurück.
Ein aufkommender Sturm lädt uns dazu ein, das erste Level auch vertikal zu erkunden und Geheimnisse zu entdeckten. Weiter geht es allerdings unter Tage, wo uns der Dauerschuss, der bei längerem Druck auf die Feuertaste einsetzt, erstmals gute Dienste leistet. An ein paar Power-ups kommen wir nur in Gyroscope-Form. Diese aktivieren wir mit Leertaste und Ducken; dabei legen wir mit dem Feuerknopf kleine Bomben. Bleiben nur noch die bildschirmsäubernden "Power Lines" mit der Leertaste, oder die stärkere Version mit Leertaste und Feuerknopf, die wir beim ersten Zwischenboss ausprobieren können. Davon haben wir allerdings nur eine pro Spielfigurleben zur Verfügung.
Nach ungefähr der Hälfte des Spiels besteigt Bren McGuire ein futuristisches Fluggefährt, und Turrican 2 wird zu einem horizontal scrollenden Shoot-em-up mit sagenhaften fünf Parallax-Ebenen, die für Tiefenwirkung sorgen. Allein dieser Teil hätte damals ausgereicht, um daraus ein eigenes Spiel zu machen. Es wäre dank seiner Grafik und Musik sicherlich auf einem Platz in den Top Ten des Jahres 1991 gelandet. Das folgende Level mit 4-Wege-Scrolling ist zwar nicht ganz so ein Hingucker, aber trotzdem solide gemacht – und es enthält sogar eine Anspielung auf Katakis.
Turrican 2 fasst mehrere Prinzipien guten Spieldesigns der damaligen Zeit zusammen: Es gibt nur wenige unfaire Stellen, und die Gegner erscheinen nicht wieder, wenn sie einmal aus dem Weg geräumt sind – was besonders in den teils labyrinthischen ersten Levels bei der Orientierung hilft. Die relativ offene Welt lädt zum Erkunden ein, und obwohl das Spiel für heutige Verhältnisse mit rund einer Stunde recht kurz ist, gibt es doch durch die High-Score einen Anreiz zum erneuten Durchzocken. Nicht zuletzt bieten die zwei unterschiedlichen Spielweisen als Plattformer und als Shoot-em-up immer wieder Abwechslung.
Aber auch Turrican 2 ist nicht perfekt: Wie erwähnt gibt es mitunter einfache Labyrinthe als Level, und die Endgegner sind keine große Herausforderung, wenn man einmal die optimale Position für seine Spielfigur herausgefunden hat.
Auf Grund seines Erfolges wurde das Spiel auf viele unterschiedliche Plattformen der damaligen Zeit portiert. Eher mies sind wie zu erwarten die Versionen für den Sinclair Spectrum und den Amstrad CPC. Bei letzterem ist der sichtbare Spielbereich extrem eingeschränkt, was das Erkennen von Gegnern nahezu unmöglich macht. Solide ist hingegen der Ableger für den Atari ST mit seinem Chiptune-Soundtrack von Jochen Hippel.
Mega Drive und Gameboy bekamen leicht abgewandelte Spiele – dort griff man zur Filmlizenz von Universal Soldier und änderte das erste Level ab, um wenigstens pro forma auf das Setting des Actionkrachers mit Jean Claude van Damme einzugehen. Es fehlen auch die Shoot-em-up-Sektionen. Diese Spiele sind trotzdem gute Umsetzungen und bieten auch heute noch Spaß.
Die PC-Version kam erst deutlich später auf den Markt und ist unserer Meinung nach eine solide Variante, Turrican 2 zu spielen, wenn man keinen Amiga oder C64 zur Hand hat. Grafisch aufpoliert und mit liebevoll umgesetztem Soundtrack könnte sie glatt als moderner Indie-Titel durchgehen.
Nach Turrican 2 kamen ein paar weitere Versuche, dem großen Namen gerecht zu werden: Der dritte Teil erschien für Amiga und Mega Drive und fügte neue Funktionen wie einen Greifhaken hinzu, mit dem sich höher gelegene Gebiete erreichen lassen. Grafisch war auch dieses Spiel zwar imposant, aber 1993 waren beide 16-bit-Plattformen nicht mehr so populär – auf dem PC hatte mit Doom inzwischen eine neue Ära der Actionspiele begonnen.
Das letzte Turrican, das Trenz programmierte, ist übrigens Super Turrican für das NES. Dort zeigte er noch einmal, was er aus den alternden 8-bit-Maschinen herausholen konnte.
Ab Mitte der 1990er Jahre zerfasert die Geschichte um Turrican zunehmend. Das Team von Factor 5, das für die hochgelobte Amiga-Fassung zuständig war, wandte sich größeren Projekten zu und wurde durch seine Star-Wars-Spiele auf Nintendo-Konsolen berühmt. Trenz versuchte sich an einem 3D-Turrican, das nie auf den Markt kam. Bis heute gibt es noch einige inoffizielle Titel aus der Serie, die aus der Hobby- und Demoszene stammen und kostenlos erhältlich sind. Hervorzuheben sind das Indiespiel Hurrican für PC und Turrican 3 für den C64, das 2004 erschien.
Für Nintendo Switch und Playstation 4 soll im Jahr 2021 auf dem Label Strictly Limited eine Anthologie der alten Titel veröffentlicht werden. Ob Bren McGuire ein Comeback gelingt, ist fraglich: Trenz ließ seit Mitte der 2000er Jahre nur wenig von sich hören, und Factor 5 ging 2010 unter, um 2017 neu gegründet zu werden – und hält derzeit die Rechte an Turrican.
Wer in Nostalgie schwelgen will, kann aber auch zum Original-Soundtrack greifen, der remastered und mit Orchesterversionen auf den einschlägigen Musikplattformen oder auf CD erhältlich ist und dabei in zahlreichen alten Testberichten schmökern, die Turrican 2 mit Bestnoten versahen – verdient!
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Turrican II (1991): Die letzte Schlacht |
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Ich hab es damals tatsächlich mit einem von mir selbst umgebauten NES Gamepad gespielt...
Find ich lustig wie hier über die Anfänge von 3D-Games herum gemosert wird. Ende der 90er...
Das traurige Los von Soundtracks ist einfach, dass sie selten sehr bewusst vom Zuschauer...
Von klauen kann wohl kaum die Rede sein. Jump-and-runs gab es nun unzählige vor Turrican...