Tor: Nein, das Darknet ist nicht der Hort alles Bösen!

Der Anonymisierungsdienst Tor kann für Gutes und Schlechtes genutzt werden, eine Studie untersucht, was überwiegt. Das geht allerdings gehörig schief.

Ein IMHO von veröffentlicht am
Der Anonymisierungsdienst Tor
Der Anonymisierungsdienst Tor (Bild: Tor)

Darknet klingt ja schon irgendwie nach Schwarzmarkt. Nicht umsonst sind Storys mit Darknet oder Darkweb in Medien beliebt, es gibt potenziell alles, was zieht: Drogen, Sex, Crime.

Inhalt:
  1. Tor: Nein, das Darknet ist nicht der Hort alles Bösen!
  2. Aussagen der Tor-Studie sind unbrauchbar - wir brauchen den Anonymisierungsdienst

Mit diesem sagenumwobenen Ort ist meist der Anonymisierungsdienst Tor gemeint - der allerdings mitnichten nur von Kriminellen genutzt wird. Etwas Licht ins Dunkel der Nutzungsweisen möchte eine Studie mehrerer Universitäten aus den USA und Großbritannien bringen - und reproduziert genau die Sagen um das kriminelle Darknet als Grundannahme. Das ist ein Armutszeugnis und schlicht falsch.

Um Informationen über die Nutzungsweisen des Tor-Netzwerkes zu erlangen, haben die Wissenschaftler Eric Jardine (Virginia Tech/USA), Andrew Lindner (Skidmore College/USA) und Gareth Owenson (Universität Portsmouth/Großbritannien) über etwa sieben Monate zwischen dem 31. Dezember 2018 und dem 18. August 2019 rund 1 Prozent der Tor-Entry-Nodes betrieben und die dort eingehenden Verbindungen untersucht.

Dabei unterschieden sie zwischen den zwei möglichen Nutzungsarten des Tor-Netzwerks: Entweder wird über den Anonymisierungsdienst auf das normale Internet - das sogenannte Clearweb - zugegriffen oder es werden sogenannte Onion Services (früher Hidden Services) aufgerufen.

Dabei handelt es sich um Webseiten oder Dienste, die sich nur über das Tor-Netzwerk aufrufen lassen und die einen besonders hohen Grad an Anonymität bieten. Beide Verbindungsarten werden verschlüsselt über mehrere Tor-Server geleitet. So wird sichergestellt, dass keiner die IP-Adresse des Tor-Nutzenden sowie die aufgerufene Webseite oder den aufgerufenen Dienst kennt.

Nun legt die Studie genau an diesen beiden Nutzungsweisen die Trennlinie zwischen legaler und illegaler Nutzung des Tor-Netzwerkes an. Daraus leiten die Autoren der Studie ab, dass Tor in westlichen Demokratien eher für Illegales genutzt wird als in nicht-freien Staaten. In beiden jedoch im einstelligen Prozentbereich.

Die absurde Begründung: Bei Seiten im normalen Internet könne eine legale Nutzungsweise angenommen werden, da beispielsweise die Betreiber kontaktierbar seien - während unter den Onion Services häufig illegale Marktplätze zu finden seien, auf denen Drogen, Waffen und Schadsoftware angeboten würden. Oder es handle sich um Seiten mit kinderpornografischen Inhalten.

Klischee des bösen Darknets

Dieses Klischee ist tatsächlich die Grundannahme der Studie. Kein Scherz. Damit werden die Zugriffe auf die Onion Services von Facebook, Wikileaks, etlichen Zeitungen von New York Times bis Taz, die Suchmaschine Duckduckgo, unzählige Mail-Anbieter wie Protonmail, Mailbox.org oder Riseup zu illegalen Nutzungsweisen erklärt. Dazu kommen besondere Dienste wie Onionshare oder der Messenger Briar, die ihrerseits Onion Services aufspannen, um einen anonymen und abgesicherten Datei- oder Nachrichtenaustausch zu ermöglichen. Auch das Linux-Betriebssystem Debian bietet seine Infrastruktur im Tor-Netzwerk an - inklusive seinen Updateservern. Selbst der US-Geheimdienst CIA hat eine Webseite im Tor-Netzwerk.

Die Studie gesteht zwar ein, dass es auch legale Nutzungsweisen gibt, begründet ihre Grundannahme jedoch mit einer anderen Studie. Diese nicht unumstrittene Studie untersuchte 2014 die im Tor-Netzwerk verfügbaren Onion Services und die Zugriffe auf diese. Dabei führten illegale Marktplätze, insbesondere für Drogen, die Rangliste an.

Besonders häufig wurde jedoch eine kinderpornografische Seite aufgerufen - mit knapp 170.000 Zugriffen immerhin das 20-Fache des damals sehr bekannten Markplatzes Silkroad (8.067 Zugriffe), der den zweiten Platz einnahm. Der Autor der Studie räumte damals allerdings ein, dass seine Zahlen durchaus nicht so eindeutig wie dargestellt ausfallen könnten. Er könne beispielsweise nicht sagen, ob es sich bei den Besuchern tatsächlich um Menschen handele oder möglicherweise Bots oder andere Crawler. Das Tor-Team kritisierte die Studie ebenfalls, und zwar mit dem Hinweis, dass die Zugriffszahlen beispielsweise auch durch Ermittlungen des FBI erklärt werden könnten.

Jenseits der Zahlen zu Kinderpornografie deckt sich die Studie jedoch mit einer ähnlichen Erhebung durch die Sicherheitsfirma Trend Micro im Jahr 2015. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass zumindest der kriminelle Handel im Darknet in den Jahren 2014/2015 eine führende Rolle gespielt hat. Punkt.

Onion Service von Duckduckgo ist seit 2016 die Standardsuchmaschine im Tor Browser

Daraus allerdings rund fünf Jahre später auf die als Onion Services verfügbaren Seiten und deren Besucherzahlen zu schließen, funktioniert schlicht nicht. Allein durch ein Ereignis dürften die Zahlen schon nicht mehr repräsentativ sein: Anfang 2016 änderte der Tor-Browser die Standardsuchmaschine auf den Onion Service von Duckduckgo.

Standardmäßig ruft jede Suchanfrage im Tor Browser also einen Onion Service auf - eine so ganz und gar nicht illegale Nutzungsweise des Darknet. Seit 2016 bietet das Linux Betriebssystem Debian seine Infrastruktur als Onion Service an - inklusive der Update-Server. Auch hier dürften täglich einige Verbindungen hergestellt werden. Auch dürfte Facebook nach wie vor der beliebteste oder einer der beliebtesten Dienste im Tor-Netzwerk sein. Der Dienst wurde 2014 gestartet und verzeichnete bereits im Sommer 2015 monatlich 500.000 Nutzer. Die Zahl verdoppelte sich im darauffolgenden Jahr auf eine Million pro Monat.

Im laufenden Jahr dürften sich die Zahlen durch die Kampagne #MoreOnionsPorFavor noch weiter geändert haben. Sie rief dazu auf, Webseiten und Dienste auch als Onion Service bereitzustellen. Dazu kommt eine neue Funktion namens Onion-Location, die beim Öffnen einer Domain wie fragdenstaat.de im Tor Browser darauf aufmerksam macht, dass die Seite auch als Onion Service verfügbar ist.

Der Tor Browser kann sogar so konfiguriert werden, dass er automatisch auf die Version der Seite im Tor-Netzwerk umleitet. Letzteres bietet das Content Delivery Network (CDN) Cloudflare bereits seit 2018 - also noch bevor die kritisierte Studie durchgeführt wurde. Die Grundannahme der Studie, die Onion Services seien ausschließlich oder nahezu komplett illegal, ist nach der derzeitigen Rechtslage zumindest in westlichen Demokratien schlicht Bullshit.

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Aussagen der Tor-Studie sind unbrauchbar - wir brauchen den Anonymisierungsdienst 
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DAASSI 09. Dez 2020

Hat bei Herrn Tremmel wohl wie beim Herrn Grüner (siehe Artikel vom 09.12) gut gefruchtet

Oktavian 07. Dez 2020

In solchen Ländern ist dann in der Regel auch die Nutzung von TOR bzw. VPN im...

BLi8819 04. Dez 2020

Anonymität Gibt es sicherlich. Mir sind diese aber nicht bekannt. Was meinst du mit Tor...

SoWhy 04. Dez 2020

...aber ist es nicht geradezu zwingend, dass der Anteil "legaler" Seitenzugriffe über TOR...



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