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Tokyo Game Show: Eine berufsjugendliche Branche wird alt

Die Tokyo Game Show 2018 zeigt, dass sich selbst eine der jungdynamischsten Branchen an den demografischen Wandel anpasst: Die Hersteller von Computerspielen orientieren sich zusehends an Kunden, die nicht mehr nach dem Neuen suchen - sondern nach Mega Man und ihrer vergangenen Jugend.
/ Felix Lill
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Besucher der Tokyo Game Show 2018 (Bild: Martin Bureau/AFP/Getty Images)
Besucher der Tokyo Game Show 2018 Bild: Martin Bureau/AFP/Getty Images

Vor den Ausstellungshallen der Makuhari Messe wiesen vom 20. bis zum 23. September 2018 zwei Robotergiganten Besuchern den Weg. Der eine, ungefähr drei Meter groß, mit weiß-grüner Karosserie und bedrohlich dicken Extremitäten, nährte Ängste, er würde Flammen oder Bomben werfen, wenn man ihn zu scharf ansähe. Der andere, etwas kleiner und in grau-brauner Farbe, war nicht mit Waffen bepackt, trug dafür klobige Röhrenfernseher am Torso. So stellten sich die Besucher am Rande Tokios schon vor dem Eintreten die Frage: Gäbe es ein Duell, wer würde wohl siegen? Der dynamische Riese? Oder doch die rostige Schrottfigur?

Jedes Jahr zieht die Tokyo Game Show(öffnet im neuen Fenster) , eine der wichtigsten Videospielmessen überhaupt, Hunderttausende Besucher und Aussteller aus der ganzen Welt an. Denn was hier zu sehen ist, gibt regelmäßig einen Vorgeschmack darauf, was die Branche in den nächsten Wochen und Monaten wieder bereichern wird. So strahlte es hier auch in diesem Jahr nur so vor Innovationen, von verbesserten Virtual-Reality-Brillen, deren Träger sich in einer frei konstruierten 3D-Welt bewegen können, zu allem Möglichen über E-Sports, dem wettkampforientierten Gezocke über große Server, das in Japan erst mit etwas Verspätung richtig populär geworden ist.

Mega-Man 11 - Trailer
Mega-Man 11 - Trailer (01:09)

In der Welt der Videospiele gibt es zwei gegensätzliche Entwicklungen. An den teilweise villengroßen Ständen der zwei Ausstellungshallen prahlten die Anbieter nicht mehr nur mit dem Allerneuesten, selbst wenn die Fortschritte auch nur klein wären, sondern ziemlich häufig auch mit dem genauen Gegenteil. In jedem der nach Genre aufgeteilten Abschnitte fand sich auch betont altbackenes Material. Spiele aus der Zeit im vergangenen Jahrhundert, als die ersten Konsolen populär wurden, sind wieder in Mode gekommen.

Selfie mit dem Mega Man

Die Stars des legendären Spieleentwicklers Capcom waren über die vier Messetage nicht etwa die Protagonisten des seit Jahren erfolgreichen Menschheitsrettungsspiels Devil May Cry, das im Frühjahr auch noch eine neue Folge veröffentlichen wird, sondern Rockman - in westlichen Ländern bekannt als Mega Man -, ein Veteran aus den 1980er Jahren. Für ein Foto mit dem blauen Raketenmann mit dem Gewehr als rechtem Arm, den man einst über die erste Nintendo-Konsole am Fernseher steuerte, reihten sich Besucher in einem wie am Flughafen abgesteckten Parcours.

Nach minutenlanger Wartezeit und Selbstporträt mit einem lebensgroßen Maskottchen durften sie auf einem von gut zehn Bildschirmen das zweidimensionale, verpixelte Jump-and-Run-Spiel ausprobieren - oder wiederentdecken. Denn die Mehrzahl der Spieler hatte ein Alter, das erahnen ließ, dass sie Rockman noch aus ihrer Kindheit kannten.

"Deshalb legen wir das Spiel jetzt nochmal neu auf" , erklärte ein Mitarbeiter von Capcom zufrieden. Rockman 11 erscheint im Oktober 2018 in Japan, Europa und Nordamerika, kann auf Playstation 4, Nintendo Switch, Xbox One und Windows-PC gespielt werden. Das sind zwar allesamt Plattformen, die schon lange viel bessere grafische Auflösung ermöglichen als die alten 8-Bit-Konsolen, deren Maße auch auf Bildschirmen der Testspieler nachgestellt wurden. "Aber das ist genau der Punkt. Wir wollen eine Kundengruppe erreichen, die sich gern an ihre Kindheit erinnert." Capcom geht davon aus, dass dieses Spiel ein Verkaufsschlager wird. Auch wenn es 4.990 Yen (rund 38 Euro) plus Steuern kosten soll und ja längst schonmal da war.

Zu wenig junge Spieler

Dass so ein Nostalgiegeschäft nun ausgerechnet in Japan populär wird, könnte zunächst verwundern, da gerade auf dem Markt für Videospiele kaum ein Land innovativer ist. Gleichzeitig aber blicken Unternehmen nirgendwo sonst derart nervös auf die demografische Entwicklung ihres Landes. Mit 1,4 Kindern pro Frau ist Japans Geburtenrate so niedrig, dass jedes Jahr mehr Menschen sterben als neu geboren werden. Im Jahr schrumpft die Bevölkerung um rund 300.000 Menschen, ungefähr so viel wie die Stadt Bochum. Weil es nur relativ wenig junge Menschen gibt, blicken Hersteller deshalb entweder zusehends gen Ausland oder auf ältere Konsumentengruppen.

"Leider hat sich unsere Branche in den 1980er und 1990er Jahren nicht an die Generation der Babyboomer gerichtet" , sagte der Capcom-Mitarbeiter und schielt auf das fleißig posierende Rockman-Maskottchen aus vergangenen Zeiten. Japans geburtenstarke Jahrgänge, die wohl profitabelste Kundengruppe, sind derzeit um die 70 Jahre alt, in der Mehrzahl also schon zu alt für ein Umgewöhnen auf neue Tech-Hobbys.

Super Mario Bros. (1985) - Golem retro_
Super Mario Bros. (1985) - Golem retro_ (06:05)

So richten sich Hersteller verstärkt an deren Kinder - die zweitgrößte Kundengruppe im alternden Land. Die heute 30- bis 40-Jährigen, in Deutschland wie in Japan, sind deshalb so zahlreich, weil deren Eltern eine derart große Geburtskohorte waren, dass sie selbst mit wenigen Kindern pro Frau immer noch viel Nachwuchs produzierten. Wie andere Branchen denkt nun also auch die ewigjunge Gamingindustrie: Wer sich davor bewahren will, parallel zur Bevölkerung zu schrumpfen, muss ältere Konsumenten anzapfen.

"Wir machen unser Geld vor allem mit alten Schinken" , sagte Takeo Muto am anderen Ende der Halle. Ihr Arbeitgeber Hamster kauft sich seit kurzem Lizenzen von alten Spielen, die aus heutiger Perspektive schlechte Grafik, Steuerung und Spieltiefe haben, dafür aber Kultstatus. "Wir haben King of Fighters 96 im Programm, Donkey Kong und Super Mario Bros. Die beliebtesten Titel verkaufen sich Zehntausende Male."

Ein Spiel kostet nur 800 Yen (rund 6 Euro), auf den neueren Konsolen wie Playstation 4 oder Nintendo Switch kann man die Spiele herunterladen und dort direkt spielen. "Natürlich richten wir uns damit an die Leute, die diese Spiele noch von früher kennen. Sie können dann zum Beispiel auf der Konsole ihrer Kinder spielen." Außerdem seien die Klassiker mittlerweile Kulturgüter, die es zu schützen gelte und die auch die jüngeren Spieler kennenlernen sollten.

Für Gamer mit Rückenproblemen

Wer es ganz authentisch will, konnte auch die alte Hardware wiederfinden. Der Hersteller Hori baut die klobigen Joysticks und Controller aus den 1990er Jahren nach, mit Adaptern passen sie in die neuen Geräte. Ein paar Meter weiter bot der Betrieb AK Racing zudem den angeblich perfekten Sessel zum Zocken. "Wir können hier jede Lehne verstellen" , behauptete ein Mitarbeiter am Stand, der selbst nicht mehr jung war, "und die Polster sind sehr fest, darin kann man stundenlang spielen." Das eigne sich besonders für Spieler, die schon Rückenprobleme haben. Vor allem seien die Stühle ein paar Jahrzehnte haltbar - also noch dann, wenn die 40-Jährigen von heute das Rentenalter erreichen.

Tatsächlich schienen dieses Jahr nicht mehr so viele Teenager zu kommen wie in vorigen Jahren, dafür zahlreiche Leute mittleren Alters. Zwar hätte vorm Eingang zur Messe der rostige Roboter mit Röhrenfernsehern am Bauch wohl noch keine Chance gehabt im Duell gegen den beweglichen, strahlend weißen Giganten. Aber es könnte eine Frage der Zeit sein - oder des Alterns.


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