Vorgeschobene Datenschutzbedenken

Vor allem bei Tiktok stellt sich die Frage, ob die Datenschutzbedenken nur vorgeschoben sind. Im Wahljahr 2020 hat sich US-Präsident Donald Trump erkennbar auf China als Gegner eingeschossen. Was in den vergangenen Jahren schon bei Hardwareherstellern wie Huawei und ZTE praktiziert wurde, wird nun auch auf chinesische Softwareanbieter wie Bytedance und Tencent übertragen. Dabei geht es auch um die Vorherrschaft der großen US-Konzerne im Internet.

Für Trump ist das harte Vorgehen gegen die chinesischen Konzerne eine einfache Möglichkeit, um sein Wahlversprechen von "America first" zu demonstrieren. Zudem kann er im Wahlkampf außenpolitische Stärke zeigen. Das verschafft ihm die Möglichkeit, von anderen Themen wie dem offensichtlichen Versagen seiner Regierung in der Coronavirus-Pandemie abzulenken. Entsprechend durchsichtig ist die Argumentation von Handelsdirektor Navarro, der sagte: "Die amerikanische Öffentlichkeit hat genug von der Gier der Unternehmen, die vor Trump zur Verlagerung unserer Arbeitsplätze nach Übersee geführt hat und jetzt unsere nationale Sicherheit und Privatsphäre gefährdet."

Bill Gates warnt vor vergiftetem Angebot

Für einen US-Konzern wie Microsoft ist es dennoch verlockend, wie Schneewittchen in den glänzenden Apfel der bösen Stiefmutter zu beißen. Selbst Firmengründer Bill Gates sprach in einem Interview mit Wired angesichts einer möglichen Übernahme von einem vergifteten Angebot. "Eine große Nummer in den sozialen Medien zu sein, ist keine einfache Sache, ebenso wie beim Thema Verschlüsselung", sagte Gates. Dass Trump den einzigen Wettbewerber von Facebook ausschalte, sei "ziemlich bizarr".

Noch merkwürdiger findet Gates die Forderung Trumps, dass der Staat finanziell davon profitieren soll, die Übernahme von Tiktok erzwungen zu haben. Beobachter sprechen von einem "mafiaähnlichen" Verhalten Trumps: Indem er mit einem Verbot von Tiktok in den USA bis Mitte September drohe, setze er Bytedance unter Druck und senke dadurch den Kaufpreis.

Trump will Anteil an Kaufsumme

Microsoft-Chef Satya Nadella scheint einem Blogbeitrag zufolge nicht abgeneigt, auf ein solch unmoralisches Angebot Trumps einzugehen. Das Unternehmen erklärte sich zu einer Übernahme prinzipiell bereit und will für "angemessene wirtschaftliche Vorteile" für die USA und das US-Finanzministerium sorgen. Dass Microsoft einen "erheblichen Teil des Kaufpreises", wie von Trump gefordert, als eine Art Maklergebühr direkt an das Finanzministerium abführt, scheint allerdings kaum vorstellbar. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es nicht.

Auf der anderen Seite dürfte es neben Microsoft kaum ein anderes US-Unternehmen geben, das den Kaufpreis in Milliardenhöhe stemmen kann und dem aus Wettbewerbsgründen eine Übernahme erlaubt würde. Zwar soll Twitter ebenfalls an einem Kauf interessiert sein, verfügt jedoch anders als Microsoft nicht über Reserven in Höhe von 130 Milliarden US-Dollar.

Präzedenzfall für Enteignungen

Sollte Microsoft daher zugreifen und Tiktok übernehmen, wäre ein neuer Präzedenzfall geschaffen. Ausländische Investoren im IT-Bereich, vor allem aus China, müssen befürchten, aus Gründen der nationalen Sicherheit enteignet zu werden, wenn ihre Produkte in den USA zu erfolgreich sind. Wie die US-Regierung in den vergangenen Jahren gezeigt hat, findet sich in fast allen Branchen ein beliebiger Grund, die Sicherheitsinteressen bedroht zu sehen. Bürgerrechtler sehen in einem potenziellen Verbot zudem einen Eingriff in die Meinungsfreiheit, da der Zugriff auf bestimmte Medien verhindert würde.

Doch was passiert, wenn eine Übernahme scheitert? Dann stünde die US-Regierung vor der Aufgabe, "Transaktionen" zwischen Firmen und Nutzern mit Tiktok zu verhindern. Was diese "Transaktionen" bedeuten, ist nicht ganz klar und soll bis zum 20. September vom Handelsministerium festgelegt werden. Vermutlich dürfte die App zunächst aus den Appstores von Google und Apple in den USA verschwinden. Zudem dürften US-Firmen keine Werbung mehr auf Tiktok schalten, vermutet die Washington Post. Eine weitere Nutzung der App ließe sich durch eine Blockade von IP-Adressen durch die Provider unterbinden.

Microsoft steht vor dem Dilemma, sich möglicherweise eine sehr günstige Geschäftsgelegenheit entgehen zu lassen oder dem in der IT-Branche eher ungeliebten Präsidenten eine Wahlkampfunterstützung zu leisten. Es besteht kein Zweifel, dass Trump einen solchen Deal in jeder denkbaren Form als persönlichen Erfolg reklamieren würde. Dem ohnehin schon stark angespannten Verhältnis zwischen China und den USA würde ein weiterer Schlag versetzt. Und das alles nur für einen endlosen Fluss meist dümmlicher Kurzvideos.

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