''Man darf auch als Frau zocken, ohne blöd angeguckt zu werden''
Diese Offenheit für neue Erfahrungen machte sich auch in einem anderen Aspekt der International bemerkbar: dem Anteil weiblicher Besucher. Zwar war das Event männlich dominiert, mit einem geschätzten Anteil von zehn, fünfzehn Prozent Frauen zeigte sich hier aber, dass nicht nur Männer Valves Moba mögen.
Ich wollte einige Frauen fragen, wie sie zum Thema Mental Health im Gaming stehen, also bat ich eine Cosplayerin, Reebs Peters, um ein Interview. Sie war zunächst skeptisch, fragte mich nach dem Thema und Hintergrund meines Interesses. Sie begründete das mit der Erfahrung, dass Gamer und Cosplayer in der Berichterstattung oft nur wenig schmeichelhaft beschrieben würden.
Ich erinnerte mich an die Berichterstattung aus den frühen Zweitausendern, die immer wieder mal aufkommende Killerspieldebatte und die Berichterstattung über "stinkende Gamer" auf der Gamescom. Ich konnte ihr Misstrauen nachvollziehen, glücklicherweise ließ sie sich dennoch auf ein Interview ein.
"Hier auf dem Event ist alles super," sagte sie. "Die Leute sind nett und freuen sich, wenn man ins Gespräch kommt. Ich habe auch nicht das Gefühl, hier in irgendeiner Art und Weise unerwünscht oder ausgeschlossen zu sein." Klar werde man ingame immer wieder mal dumm angemacht, "aber das ist halt das Internet. Wenn jemand 'nen schlechten Tag hat, sucht er sich das Erstbeste raus, was ihm auffällt, um draufloszuflamen, und eine weibliche Stimme sticht halt immer noch heraus." Reebs sollte im Übrigen am nächsten Tag den Cosplay-Wettbewerb des Events gewinnen.
Ähnlich beschrieb es eine andere Cosplayerin, Jennifer Köhl. "Ich fühle mich hier akzeptiert. Klar gibt es manchmal noch hier und dort einen dummen Kommentar, aber im Großen und Ganzen haben sich die Zeiten geändert. Man darf auch als Frau zocken, ohne blöd angeguckt zu werden."
Lina, eine Besucherin des Events, fasste es meiner Meinung nach gut zusammen: "Guck dich doch einfach mal um: Zwar sind es immer noch wesentlich weniger Frauen als Männer, aber auch wesentlich mehr als früher auf ähnlichen Events. Und die meisten dieser Frauen werden nicht einfach von ihren Freunden mitgeschleppt, die haben selbst Bock und lieben das Spiel. Der Wandel ist zwar noch lange nicht abgeschlossen, aber es geht in die richtige Richtung."
"Let's make some fucking noise!"
Nach vier Tagen The International, Dutzenden Spielen und Gesprächen, schmerzenden Füßen und vielen Eindrücken verbrachte ich den Sonntag (14. September) damit, mir das Finale zwischen Xtreme Gaming und Team Falcons anzuschauen. Als Caster Austin "Cap" Walsh die finale Begegnung des Events mit den Worten "Let's make some fucking noise!" eröffnete, als der Jubel in der Arena die Boxen übertönte und das Trampeln der Fans den Boden spürbar zum Zittern brachte, machte mir das wirklich Gänsehaut.
Nach ganzen fünf Spielen entschied Falcon das Finale für sich. Auch wenn die chinesischen Fans sichtlich enttäuscht waren, gab es von allen Seiten Beifall.
Fans aus aller Welt, die zwar ihrem Lieblingsteam zujubelten, waren vereint darin, gute Spiele sehen zu wollen. Menschen, die sich nicht kannten, jubelten und litten gemeinsam über das Geschehen auf dem großen Bildschirm. Frauen, oftmals noch als Casual Gamer betrachtet, gaben an, dieses Event mindestens genauso zu genießen wie die Männer.
Spiele sind nur schädlich? Quatsch!
Und in mir traf das alles einen Nerv, den ich in der psychologischen Bubble nicht so spüre: zu sehen, dass Spiele großes Potenzial haben, Menschen zusammenzubringen, eine gemeinsame Leidenschaft zu teilen.
Womit ich keineswegs die potenziell pathologischen Folgen von Gaming außer Acht lassen will. Sie existieren und es wäre ethisch höchst fragwürdig, sie unter den Teppich zu kehren. Aber wenn der Besuch der International mir eines gezeigt hat, dann ist es, dass eine verengte psychologische Perspektive auf die potenziell schädlichen Folgen von Gaming genauso fragwürdig ist.
Denn was ich erlebt habe, war ein Stadion mit Tausenden Menschen, die, wenn auch nur für ein paar Tage, eine Leidenschaft geteilt und ausgelebt haben, für die woanders kein Platz war. Für diese Zeit ein Teil dessen sein zu dürfen, hat mich tief berührt. So kann ich trotz Schlafmangels und schmerzender Füße mit absoluter Sicherheit sagen: Ich würde jederzeit wieder hingehen.
Kai Reh ist angehender Psychotherapeut und leidenschaftlicher Gamer. Er interessiert sich vor allem für die psychologischen Aspekte von Spielen und versucht, beides so oft wie möglich miteinander zu vereinen.



