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The Electric State: Das ist alles nur geklaut

The Electric State ist ein Kunstbuch mit melancholischen Artworks. Für die teure Netflix -Verfilmung haben zwei Avengers-Regisseure aber lieber schlecht woanders kopiert.
/ Daniel Pook
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Filmposter von The Electric State (Bild: Netflix)
Filmposter von The Electric State Bild: Netflix

Unsere Welt ist in einem bedenklichen Zustand. Überall liegt Schrott herum, viele Menschen flüchten per Cyberhelm vor ihrem trostlosen Alltag in ein virtuelles Netzwerk. Das Unternehmen dahinter wird von einem skrupellosen Konzernchef geführt, dem es egal ist, dass seine Kunden in der Realität zunehmend wie sabbernde Riesenbabys vor sich hin vegetieren.

Er verfolgt ohnehin ganz eigene Ziele. Mit dem Netzwerk verbunden, können Nutzer als mächtige Avatare herumlaufen, sogar auf diese Weise remote arbeitend Geld verdienen oder den Schulunterricht im Cyberspace absolvieren. Obwohl wir Technik aus der Zukunft sehen, ist die Kultur dieser fiktiven Sci-Fi-Welt von Retro-Vibes geprägt. So viel zu Steven Spielbergs Kino-Adaption des Erfolgsromans Ready Player One aus dem Jahr 2018.

The Electric State (Filmtrailer)
The Electric State (Filmtrailer) (01:57)

Hier soll es aber natürlich um einen anderen Film gehen. Infolge eines heftigen Konflikts wurden in den meisten Städten frei denkende Androiden, die zuvor noch einen Großteil der Arbeiterklasse ausgemacht haben, verboten. Viele Leute hassen Roboter regelrecht. Im Krieg Mensch gegen Maschine gab es bereits unzählige Tote.

Unsere menschliche Hauptfigur muss, trotz anfänglicher Vorbehalte, gemeinsam mit einem kleinen Roboter eine lange Reise bewältigen. Dabei werden sie von einer Droiden-Jäger-Sondereinheit verfolgt. Sie entwickeln dabei Empathie füreinander, doch zum Schluss bricht eine riesige Schlacht aus und unser Protagonist muss großes persönliches Opfer bringen, um alle anderen zu retten. Das jedenfalls hat uns The Creator(öffnet im neuen Fenster) 2023 im Kino gezeigt.

Leidenschaftslos zusammengezimmert

Beide Filme gemeinsam ergeben The Electric State, seit heute Teil des Netflix-Katalogs. Der böse Tech-CEO wird hier von Stanley Tucci anstatt Ben Mendelsohn gespielt und muss in viel spärlicher gestalteten Sets umherwandern als beim großen Vorbild. Die klobigen Neurocaster-Headsets wirken im Vergleich zum echten Ready Player One auch nur wie verdächtig leichte Requisiten.

Anstatt des schüchternen Androidenkinds aus The Creator begleiten wir diesmal die Roboterversion eines fiktiven Cartoon-Helden, der aus der Ferne von einem kleinen Jungen gesteuert wird. Wo der Held von Creator Lebenszeichen seiner verstorben geglaubten Frau hinterherrennt, sucht Michelle (Millie Bobby Brown) in The Electric State ihren totgeglaubten Bruder. Und so weiter.

Es handelt sich bei The Electric State mal wieder um jene Art von Netflix-Produktion, die so viel stumpf kopiert, dass es im Grunde schon dreist ist. Zwar ist es heutzutage nur schwer vermeidbar und wäre auch gar nicht automatisch schlimm, wenn sich Geschichten ähneln, alte Stoffe referenziert oder als inspirierendes Vorbild genommen werden. Überschneidungen mit The Creator könnten zudem wirklich Zufall sein, ziehen wir den Zeitraum der Dreharbeiten von The Electric State in Betracht. Parallelen zu Ready Player One fallen hingegen viel deutlicher störend auf.

The Electric State wurde für Netflix so leidenschaftslos zusammengezimmert, dass selbst ohne Vorwissen über die besseren Alternativen keine Freude aufkommt. Wäre dieser trostlose Abklatsch eine Klausur, würden wir als Lehrer mit Rotstift neben der Note anmerken: "Unmotiviert von den Nebenleuten abgeschrieben."

Trotz schöner Vorlage lieber woanders geklaut

Dabei haben die Regisseure Anthony und Joe Russo sowie ihre üblichen Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely noch eine offizielle, eigene Vorlage. The Electric State basiert auf dem gleichnamigen Kunstbuch von Simon Stålenhag ( Tales from the Loop(öffnet im neuen Fenster) ), das von einem melancholischen Roadtrip durch dystopische Landschaften erzählt. Und diesen auf jeder Seite aufwendig bebildert(öffnet im neuen Fenster) .

Die meisten dieser Motive finden sich im Film zwar durchaus wieder, hinterlassen jedoch eher den Eindruck 3D-gerenderter Ladebildschirme, während die Hauptfiguren gefühlt von einem Ort zum anderen teleportiert werden. Die Ausblicke sind nie so detailreich und vernebelt atmosphärisch eingefangen wie auf den gedruckten Seiten. Sie dürfen nie als Szenenbild erkundet werden, ihre Stimmung länger wirken lassen. Wie eine richtige Reise durch eine interessante Welt fühlt sich die Adaption damit nie an. Was die wirklich schöne Bilderbuchvorlage faszinierend macht(öffnet im neuen Fenster) , kommt hier nicht mehr(öffnet im neuen Fenster) rüber.

Am ehesten noch erkennen wir die Designs der Roboter aus dem Buch wieder. Die meisten von ihnen haben riesige Köpfe, grinsen breit, erinnern an niedliche Zeichentrickfiguren, noch mehr aber an Freizeitpark-Maskottchen. Was nicht von ungefähr kommt, tatsächlich erschuf nämlich der echte Walt Disney, laut Vorgeschichte der Filmwelt, die intelligenten Droiden für sein Disneyland.

Dort funktionierten sie so gut, dass sie schon bald in Serie gingen und jeden Job übernahmen, auf den Menschen keine Lust mehr hatten. Im Film zählen dazu komischerweise gar nicht mal so unbeliebte Berufe wie Eisverkäufer oder Koch. Jedenfalls ging all das erst mal gut. Bis zu dem Punkt, an dem den KI-Sklaven auffiel, dass ihnen kein Lohn gezahlt wurde und man auch sonst zu schlecht mit ihnen umging. Was folgte, war ein Aufstand, der sich schließlich zu einem schrecklichen Krieg entwickelte.

Bill Clinton schickt Roboter in die Wüste

Dank VR-Headsets des Konzerns Sentre Technologies lernten die Menschen, aus der Sicherheit ihrer Häuser heraus als ferngesteuerte Drohnensoldaten zu kämpfen. Und gewannen. Ein Friedensvertrag, ausgehandelt von einem gewissen Mr. Peanut und keinem Geringeren als US-Präsident Bill Clinton, verbannte die letzten verbliebenen KI-Roboter ins Exil einer Wüstenlandschaft im Südwesten der USA. Jeder Roboter, der dieses Areal verlässt, wird ohne Nachfrage zum Abschuss freigegeben.

Seine Vorgeschichte setzt uns The Electric State als ausgedehnte Introsequenz im Stile einer Minidokumentation vor, die wirklich alles halbwegs Interessante über die dystopisch anmutende Filmwelt vorwegnimmt. Zum Selbstentdecken bleibt also nichts mehr und den restlichen Film über schauen wir langweiligen Charakteren dabei zu, wie sie einen ereignisarmen Trip von A nach B unternehmen.

Manchmal reden sie mit Robotern. Dann fahren oder laufen sie ohne irgendwelchen Erkenntnisgewinn weiter. Dann werden sie zwischendurch mal kurz angegriffen, aber keine der wenigen Actionszenen war es wert, die viel nachdenklicher stimmende, durchweg einsame Reise der Protagonistin und ihres mechanischen Begleiters Skip aus dem originalen Artbook dafür zu opfern. Da wir die noch erkennbaren Restmotive des Buchs im Film ja bereits als kurze Ladebildschirme bezeichnet haben, wäre in diesem Vergleich alles neu Hinzugefügte auf Bildschirmschoner-Niveau. Es läuft in Bewegung auf dem Bildschirm ab, erfüllt aber sonst keinen weiteren Zweck. Ein kurzer Fanfilm zeigte vor zwei Jahren(öffnet im neuen Fenster) , wie es stimmiger hätte gemacht werden können.

Wenn Mr. Peanut schon als Highlight gilt

Bill Clinton hat es erahnen lassen, wir sehen hier eine alternative Version der 90er-Jahre, in der die Technik viel weiter vorangeschritten ist als in unserer Wirklichkeit. Wer deswegen auf Retro-Spaß gehofft hat, wird enttäuscht.

Die vermenschlichte Erdnuss Mr. Peanut ist die einzige Roboterfigur, die wir einer real existierenden Vorlage unserer Popkultur oder generell den 1990ern zuordnen konnten. Außer Walt Disney und dem 42. Präsidenten der Vereinigten Staaten ganz zu Filmbeginn halten sich Referenzen auf bekannte Personen, Marken oder ikonische 90er-Dinge fast komplett im Rahmen vereinzelter One-Liner oder Werbetafeln irgendwo im Hintergrund. Zumindest in diesem Bereich weicht The Electric State mal nicht zu weit von seinem bebilderten Originalbuch ab.

Am ehesten bietet noch der Soundtrack des Films hier und da 90er-Revival-Qualitäten, obwohl die meisten alten Titel bloß kurz angespielt werden. Das sind zum Beispiel Songs wie Mary Jane's Last Dance(öffnet im neuen Fenster) und Good Vibrations(öffnet im neuen Fenster) . Der einzige wirklich passende Hit aus der Zeit fehlt hier übrigens. Es wäre natürlich Alles nur geklaut von den Prinzen(öffnet im neuen Fenster) .

Silvestri zieht gegen sich selbst den Kürzeren

Mit seiner neu komponierten Filmmusik kann The Electric State ebenso wenig ans letzte Jahrzehnt vor dem Millenniumswechsel anknüpfen. Wann immer sein orchestraler Soundtrack sich deutlich in den Vordergrund spielen müsste, um irgendwie Stimmung oder Emotionen zu erzeugen, passiert das einfach nicht. Selbst der legendäre Komponist Alan Silvestri (Zurück in die Zukunft) hat sich bei dieser Zusammenarbeit mit den Russo-Brüdern wohl entspannt zurückgelehnt und ständig seine Einsätze verpennt. Ein gigantischer Unterschied im Vergleich zu den wuchtigen Klängen und einprägsamen Melodien, die er für das Regie-Duo noch als musikalisches Theme für deren Avengers-Filme entwickelte. Ausgerechnet bei Ready Player One war es ebenfalls Silvestri, der sich dort im Prinzip selbst vormachte, wie es doch viel besser geht.

Im Werbevideo bei Youtube(öffnet im neuen Fenster) präsentiert uns Netflix zwar das Lagerhaus von Chris Pratts Charakter Keats, im Film werden von dessen gesammelten 90er-Schätzen aber hauptsächlich singende Plastikfische als Wanddekor prominent hervorgehoben. Ein paar Teddybären sehen wir noch gut im Hintergrund. Der Rest erscheint wie kaum erkennbares Gerümpel in Regalen, die allzu schnell in einer Actionszene zertrümmert werden. Und auch vorher schon nur ein schlechter Witz gegen alles gewesen wären, was echte Sammler an Kultobjekten in einer solchen Szene wahrscheinlich untergebracht hätten, damit sie wirklich Spaß macht. Die halbherzige Zusammenstellung passt zum durchschnittlichen Gesamtniveau des restlichen Films, in dem besonders Keats als Figur reichlich lieblos geschrieben, ja irgendwie völlig überflüssig ist. Kein Wunder, das Electric-State-Buch kam schließlich auch schon gut ohne ihn aus.

Lichtstimmung ohne passende Lichtquellen

Nicht mal beim Licht hat man sich offenbar Mühe gegeben. An jedem Ort, ob drinnen oder draußen, wirkt alles merkwürdig gleichmäßig aufgehellt und künstlich beleuchtet, obwohl zumeist nur ein paar kleine Funzeln an Wänden und auf Schränken sichtbar sind, die gedimmte, sehr gerichtet strahlende Lichtkegel um sich herum abgeben.

Abgesehen von der sterilen Firmenzentrale Sentre Technologies haben wir beim Zuschauen an jeder Location des Films sehr bewusst eine ablenkend große Diskrepanz zwischen Lichtstimmung und Lichtquellen wahrgenommen. Der restliche Look ist nur als uninspiriert zu bezeichnen.

Auch können wir keine klare Zielgruppe des Ganzen ausmachen. Für Erwachsene ist der Film zu öde, die Handlung bietet nichts Reizvolles. Jüngeren könnten die ganzen Roboter mit ihren albern riesigen Köpfen im Prinzip schon Spaß machen – aber die dröge Farbgestaltung und altbackenen Retro-Puppengesichter sind alles andere als geschmacklich zugeschnitten auf Kinder von heute. Eine bizarre Mischung für so ein Großprojekt, das sich doch wahrscheinlich eigentlich als cooler Familienfilm für die breite Masse positionieren möchte.

Wenigstens wurden vermutlich alle Beteiligten gut bezahlt

Hat sich Netflix derartig mittelmäßige, unattraktive Ware tatsächlich 320 Millionen US-Dollar kosten lassen, wie vielerorts(öffnet im neuen Fenster) online zu lesen(öffnet im neuen Fenster) ist? Offizielle Angaben zum Budget gibt es nicht.

Andere Filmkritiken und News darüber konnten wir immer wieder nur auf eine einzige Ursprungsquelle(öffnet im neuen Fenster) zurückführen, die sich hinter ihrer Paywall vage auf Insider-Informationen bezieht. Ganz sicher können wir vom bloßen Gucken her dennoch sagen, sehr teuer war dieser Film garantiert.

Eine Vielzahl aus Kino-Blockbustern und Hit-Serien bekannter Darsteller, auch wenn die meisten von ihnen eher kleine Sprechrollen ausfüllen, haben den in Hollywood allseits beliebten Russo-Brüdern bestimmt nicht nur aus Freundschaft einen Gefallen getan, sondern sich ihr Auftreten vom Streamingriesen Netflix wahrscheinlich gut bezahlen lassen.

Viel Geld, gute Effekte, aber keine Filmmagie

Die hervorragende Animationsqualität der zahlreichen und zum Teil riesengroßen Roboterfiguren, seien sie noch so uninspiriert gestaltet, ist technisch gesehen stark gemacht; das dürfte ebenfalls nicht billig gewesen sein. Eine ausgedehnte Produktionsdauer mit mehreren Nachdrehs sowie das anfängliche Wettbieten mehrerer großer Studios um das Projekt lassen auf hohe Gesamtkosten schließen.

Anthony und Joe Russo gehören als Duo, neben den Hollywood-Legenden James Cameron und Steven Spielberg, zu den Top 3 der kommerziell erfolgreichsten Kinoregisseure aller Zeiten – dank ihrer zwei Captain-America-Fortsetzungen sowie den von Marvel-Fans vergötterten Avengers-Teilen Infinity War und Endgame. Die beiden Letzteren kombiniert spielten bis heute weltweit eine Gesamtsumme von zirka 4,85 Milliarden US-Dollar ein.

Als große Filmmagier jedoch würde die Brüder wohl kaum jemand bezeichnen. Vielleicht war dies nun ihr Versuch, daran etwas zu ändern. Trotz Fehlschlägen wie The Gray Man(öffnet im neuen Fenster) (ebenfalls Netflix) und Cherry(öffnet im neuen Fenster) (mit Spider-Man Tom Holland) endlich wirklich wie ein Steven Spielberg wahrgenommen zu werden – indem sie mit Ready Player One einen Spielberg-Film kopieren. Sie haben uns so aber nur umso mehr gezeigt, dass sie abseits des Marvel-Kosmos kreativ und filmkünstlerisch nichts Überzeugendes anzubieten haben.

So betrachtet erbringt The Electric State zumindest den Beweis, dass wahre Filmmagie nicht bloß ein billiger Trick ist. Denn man kann sie nicht einfach mit viel Geld kopieren.

The Electric State ist am 14. März 2025 bei Netflix erschienen.


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