Tetris bei Apple TV+: Eine Vertriebsstory als Spionage-Thriller

Bei Apple TV+ wird mit Tetris die Geschichte eines Ost-West-Konflikts der besonderen Art erzählt – zeitweise sogar als Spionage-Thriller. Das ist mitreißend und mitunter hanebüchen.

Eine Rezension von Peter Osteried veröffentlicht am
Nikita Efremov spielt den Tetris-Entwickler Alexey Pajitnov.
Nikita Efremov spielt den Tetris-Entwickler Alexey Pajitnov. (Bild: Apple)

Tetris war von 1993 bis 2020 das erfolgreichste Videospiel aller Zeiten – erst danach wurde es von Minecraft überholt. Bis dahin wurden aber Hunderte Millionen Exemplare für die verschiedensten Plattformen verkauft. Dass das Spiel seinen Ursprung in der Sowjetunion hatte und zur Mitte der 1980er Jahre auf einem klobigen russischen Computer entwickelt wurde, wissen aber wahrscheinlich nicht alle.

Der Film Tetris (seit Freitag auf Apple TV+) erzählt davon – aber auch, wie es zum Wettstreit darum kam, wer das Spiel überhaupt in den Rest der Welt bringen durfte.

Auf der Jagd nach Tetris

Henk Rogers (Taron Egerton) ist 1988 auf einer Spielmesse in Las Vegas, als er zum ersten Mal Tetris zu sehen bekommt. Er greift sofort zu und sichert sich die Arcade- und Videospielrechte für Japan. Doch wie sich herausstellt, ist er einem dubiosen Deal aufgesessen. Denn die Rechte, die man ihm verkaufte, wurden überhaupt nie veräußert.

Henk reist schließlich nach Moskau, um dort direkt mit der ELORG zu verhandeln, einer sowjetischen Behörde, die sich um den Verkauf von Computerspielrechten kümmert. Hier ist Henk hinter etwas Besonderem her: Er will die Handheld-Rechte, da Tetris für ihn das perfekte Spiel für den Game Boy von Nintendo ist. Aber er ist nicht der einzige Interessent.

Wenn Hollywood auf die Wahrheit trifft

Die Rechte für Tetris an Land zu ziehen, erweist sich für Henk als gefährlicher als gedacht – zumindest im Film. Denn der Film ist reichlich aufgeplustert. Oder anders gesagt: Die Realität wird dann verbogen, wenn sie der Fiktion im Weg steht. Das sagte auch Henk Rogers selbst, der zusammen mit dem Tetris-Entwickler Alexey Pajitnov im Vorfeld das Skript in Augenschein nehmen durfte.

"Es ist ein Hollywood-Drehbuch. Ein Film. Es geht nicht um die wahre Geschichte. Viel von dem, was man im Film sieht, ist nie passiert", sagte Rogers. Jedoch hätten die Filmemacher eine Menge Fragen darüber gestellt, wie es damals war. "Sie versuchten ihr Bestes, unsere Anmerkungen zur Authentizität umzusetzen. Aber wenn es um kreative Entscheidungen wie die, eine Autoverfolgungsjagd und dergleichen einzubauen, ging, kommt das alles von den Filmemachern. Darauf hatten wir dann keinen Einfluss mehr."

Das sind denn auch die Szenen, die den Film in Thriller-Gefilde schicken. Etwa wenn Henk und seine Begleiter gerade noch so aus Moskau herauskommen, während sie verfolgt werden. Hanebüchen? Vielleicht. Aber auch sehr unterhaltsam, da der Film dann wie ein Spionage-Thriller anmutet. Es ist erstaunlich, wie viel Spannung aus einer Geschichte um den Vertrieb eines Games herausgezogen werden kann.

Nächster Level

Sehr schön ist, wie der Film in verschiedene Levels unterteilt ist, immer eingeleitet von einer auf alt getrimmten Grafik, die an die Games der späten 1980er Jahre erinnert. Dazu passend wird jeder Ortswechsel auch mit einer so gestalteten Panoramaaufnahme des Ortes eingeleitet.

Überhaupt ist der Film sehr verspielt. Bei der Autoverfolgungsjagd denkt man zunächst, es handle sich um einen Bildfehler, als eines der Autos etwas verpixelt wird. Es ist aber ein Kunstgriff und die Macher vermengen hier die Hyperrealität des Films mit einer Game-Realität.

Kontrast zweier Systeme

Der Film befasst sich auch mit der politischen Situation von damals. Er zeigt die Sowjetunion in ihrer Schlussphase, als der Zersetzungsprozess schon begann – mit Korruption in den eigenen Reihen und dem Versuch einiger, möglichst viel für sich selbst herauszuholen. Viel Humor wird daraus bezogen, Henk dabei zu zeigen, was er in Moskau alles nicht machen kann.

Als er zu Hause anrufen will, sucht er vergebens ein internationales Münztelefon. Im Hotel, so seine Dolmetscherin, könnte es ein Telefon geben, aber ein bisschen Wartezeit werde damit schon verbunden sein – irgendwas zwischen acht Stunden und einer Woche.

Amüsant ist das Zusammentreffen knallharter Kapitalisten, die mit Tetris das große Geld machen wollen, mit kommunistischen Beamten, die im Auftrag des Staates das Spiel versilbern sollen – dass der Schöpfer daran irgendetwas verdient, ist nicht angedacht. Auch der Staat gerät schnell ins Hintertreffen, wenn seine Bediensteten nur an sich selbst denken.

Der Film endet mit einer hübschen Montage. Auf der einen Seite der weltweite Erfolg des Game Boys, auf der anderen der sich beschleunigende Zerfall des Ostblocks. Ein guter Schlusspunkt für einen Film, der weniger auf der Nostalgiewelle reitet, sondern als schräge, natürlich gänzlich übertriebene Version einer wahren Geschichte daherkommt – und damit sehr gut unterhält.

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