TAFTA/TTIP: Experte warnt vor "Patent-Trollen" durch Handelsabkommen
Zwar ist Acta gestoppt worden, doch das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA könnte die Verbraucherrechte durch die Hintertür ebenfalls aushebeln. Die Unternehmen würden über das Gesetz gestellt, befürchten Experten.

Für den britischen Technikjournalisten Glyn Moody gehören die Texte von Handelsabkommen zur langweiligsten Lektüre, die er sich vorstellen kann. Dennoch sei es sehr wichtig, die geplanten Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und den USA genau anzuschauen, sagte Moody am Donnerstag auf einer Diskussionsveranstaltung der Expertenplattform Collaboratory in Berlin. Mit dem neuen Abkommen TAFTA/TTIP bestehe die Gefahr, dass die Rechte von Verbrauchern und staatliche Regelungen durch die Hintertür ausgehebelt würden. Möglich werde dies durch die Übernahme des Schiedsverfahrens ISDS (Investor-state dispute settlement) in das Abkommen, mit dem Unternehmen die Möglichkeit erhalten, Staaten im Fall von nichttarifären Handelsbeschränkungen zu verklagen.
Ursprünglich sei ISDS dafür gedacht gewesen, Unternehmen vor willkürlichen Entscheidungen in "Bananenrepubliken" zu schützen. Doch das hat sich nach Darstellung Moodys längst geändert. So verklagt der US-Pharmakonzern Eli Lilly im Zusammenhang mit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA inzwischen den Staat Kanada, weil dort Patente nicht anerkannt werden. Der Konzern verlange eine Kompensation in Millionenhöhe für den Ausfall von Profiten, die das Unternehmen bereits einkalkuliert habe, erläuterte Moody. Daher sei auch denkbar, dass ein US-Softwarekonzern wie Microsoft die Bundesrepublik auf zehn Milliarden Euro Entschädigung verklage, wenn Softwarepatente, wie jüngst vom Bundestag angeregt, explizit für unzulässig erklärt werden sollten. "Mit ISDS werden die Unternehmen reicher und die Allgemeinheit ärmer. Auf jeder Ebene", sagte Moody und warnte vor den Auswirkungen von TAFTA/TTIP: "Unternehmen werden über das Gesetz gestellt, sie können zu 'Patent-Trollen' des weltweiten Handelssystems werden und Regierungen erpressen." ISDS sei "komplett unnötig", zumal die Entscheidungen in einem Gremium von nur drei Juristen gefällt würden.
Um in der Öffentlichkeit über den Vertrag diskutieren zu können, sollten die Verhandlungen nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden, forderte Moody. Im US-Miltärgeheimdienst NSA gebe es jedoch einen "überraschenden Verbündeten". Da durch dessen Spionageaktivitäten längst alle EU-Unterlagen der US-Regierung und sogar den US-Unternehmen vorlägen, sei TAFTA/TTIP ohnehin kein Geheimnis mehr. Auch Russland und China hätten sich sicherlich schon die Unterlagen beschafft. Anders als EU-Handelskommissar Karel de Gucht dies für nötig halte, sollten die Verhandlungen daher öffentlich geführt werden.
Bitkom: Datenschutz gehört ins Abkommen
Kritik am geplanten Inhalt des Abkommens kam auch vom deutschen Internet-Branchenverband Bitkom. Zwar begrüßte dessen Vertreter Joachim Bühler prinzipiell die Vereinbarung, da der US-Markt sehr wichtig für die europäische und deutsche IT-Industrie sei. Er monierte jedoch, dass digitale Themen in dem Abkommen bislang nicht vorgesehen seien. "TTIP ist nicht gemacht für die digitale Agenda und das digitale Zeitalter", sagte Bühler. So sei auch Datenschutz "definitiv ein Thema für den Handel" und ein wichtiges Thema für viele Startups in Berlin oder im Silicon Valley. Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, auch über die Freiheit des Internets zu diskutieren. "Wenn die IT die nächste industrielle Revolution ausmacht, dann ändert sich alles", sagte Bühler. Dann müsse dies auch mit den wichtigen Leuten wie US-Präsident Barack Obama diskutiert werden. Auch wenn die Widerstände groß seien.
Die ersten Gespräche über das Handelsabkommen wurden überschattet von den Enthüllungen Edward Snowdens zu den Spähattacken der NSA auf Einrichtungen der EU. Zudem verzögern sich die Verhandlungen derzeit durch den US-Haushaltsstreit und die Schließung von Regierungsstellen. Eine zweite Gesprächsrunde in dieser Woche wurde abgesagt. Dies hat nach Ansicht von Stormy-Annika Mildner von der Stiftung Wissenschaft und Politik jedoch keine zeitlichen Auswirkungen auf den Abschluss des Abkommens. Die geplante Verhandlungsdauer von drei Jahren sei schon "sehr ambitioniert" gewesen. Da machten zwei, drei Wochen Zwangspause nicht viel aus.
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