Supernerds: Angst schüren gegen den Überwachungswahn

Als Angela Richter beginnt, in ihrer Keynote auf der diesjährigen Owncloud Contributor Conference zu erklären, was die Regisseurin und ihr Team während des Stücks Supernerds alles mit den Daten des Publikums angestellt haben, erntet sie jede Menge Lacher. Denn das, was etwa das Deutschlandradio(öffnet im neuen Fenster) als einen "monströsen Überwachungsabend" bezeichnet, belustigt die anwesenden Owncloud-Hacker.
Und auch Richter, eine der Hausregisseure des Schauspiels Köln, hat sichtlich Spaß daran, ihre Arbeit Revue passieren zu lassen. Schließlich sollte das Stück vor allem auch unterhalten. Doch den Großteil des "mehrheitlich grauhaarigen" und "bourgeoisen" Publikums habe die Teilnahme an dem "Experiment" wohl eher verängstigt, da die Anwesenden die Auswirkungen digitaler Überwachung erstmals sehr persönlich und direkt zu spüren bekommen haben dürften.
Bereitwillig Daten herausgegeben
Um eben diese diffuse Angst im Publikum zu erzeugen, hat dieses seine Rolle sehr gut gespielt - wohl ohne auch nur überhaupt eine leise Ahnung davon zu haben. Tickets für die Veranstaltung bekamen Käufer nur gegen eine vorherige "Akkreditierung", bei der sie ihren Namen, Wohn- und E-Mail-Adresse oder auch Handynummer angeben mussten.
Ebenso war es möglich, sich für ein Spiel auf der zum Stück gehörenden Webseite(öffnet im neuen Fenster) zu registrieren. Aber auch einige Ticketkäufer sind wohl eher unfreiwillig Teil eines Spiel noch vor der eigentlichen Aufführung geworden. Sie erhielten konspirativ erscheinende Postkarten, SMS, E-Mails und sogar Anrufe von einem gewissen Jake.
Diese Nachrichten enthielten Hinweise auf Reisen nach Russland oder China und Gespräche mit Oppositionellen. Ebenso waren sie in einem sehr freundlichen Ton gehalten, der auf eine enge persönlichen Verbindung schließen ließ. Die Kontaktperson war dabei der Aktivist Jacob Applebaum, der ebenfalls zu der Inszenierung beigetragen hat. Dass es sich dabei lediglich um ein Spiel handelte, ist später aufgelöst worden.
Keine juristischen Schwierigkeiten
Rechtlich sei dies alles für die Theatermacher kein Problem gewesen, das Publikum habe dem eingewilligt. Ob den Zuschauern das jedoch tatsächlich bewusst gewesen sei, ist sehr fraglich. Die FAZ kritisierte(öffnet im neuen Fenster) Richter dafür als "Komplizin" der Überwacher, da sie lediglich reproduziere, was sie zu attackieren vorgebe. Doch Richter wunderte sich in ihrem Vortrag über die harschen Worte.
Schließlich fehlten diese insbesondere häufig in der FAZ, wenn es um die Überwachung durch die NSA oder das Datenhorten durch riesige Unternehmen gehe. Außerdem habe das Projekt Supernerds eine für Theaterproduktionen außergewöhnlich hohe Medienöffentlichkeit bekommen. Damit ist vermutlich wiederum ein Zugang für diejenigen geschaffen worden, die sich ansonsten eher wenig mit digitaler Überwachung befassen.
Banale Spiele erzeugen Angst beim Publikum
Dies gilt zumindest für das Theaterpublikum, das die Vorstellungen besucht hat, wie Richter bestätigt. Denn auch im Theater gingen die Spiele weiter. So klingelten etwa mit einer entsprechenden Ankündigung von der Bühne die Telefone all derjenigen Besucher, die auf der linken oder eben auf der rechten Seite des Rheins leben. Auch die positive Kreditwürdigkeit, wie sie eine Bank wahrscheinlich treffen würde, wurde durch ein Klingeln angezeigt.
Mit Hilfe der zur Verfügung stehenden und freiwillig abgegebenen Daten sind derartige Taschenspielertricks natürlich einfach umsetzbar. Um die Telefone klingeln zu lassen, reicht es, die Personen schlicht anzurufen, immerhin ist ihnen zu Beginn der Vorstellung gesagt worden, sie sollten ihre Telefone nicht ausschalten. Viele kamen auch dieser Anweisung dankend nach.
Darüber hinaus ließen sich etwa Teile des multimedialen Projekts über einen Second Screen auf dem Smartphone verfolgen. Dafür hat das Theater ein völlig offenes WLAN im Zuschauerraum bereit gestellt. Über die verbundenen Geräte hätten sich dann leicht weitere Daten sammeln lassen.
Banalitäten des Grauens
Richter beschreibt diese Vorgehensweise nachvollziehbarerweise als "banal" . Die Daten hätte das Team auch noch auf viel einschneidendere Weise auswerten können. So habe es Überlegungen gegeben, die Telefone derjenigen Zuschauer klingeln zu lassen, die in den vergangenen Tagen Pornos konsumiert haben. Davon rieten die beratenden Juristen zwar ab, in den Generalproben hätten dennoch an diesem Punkt im Stück wahllos etwa zwei Drittel der Geräte geklingelt.
Trotz der vermeintlich einfach zu durchschauenden Methoden und der eher wenig tiefgreifenden Datenauswertung durch die Theatermacher, sei ein großer Teil des Publikums von der Aufführung schockiert gewesen. Offenbar haben die Zuschauer ihre persönliche Verwundbarkeit durch die Preisgabe von Daten erst durch diesen direkten Kontakt begriffen.
Auf Nachfrage erklärte Richter, dass sich dieser Eindruck bei einigen noch lange nach der Vorstellung festgesetzt habe. Monate später werde sie bei anderen Veranstaltungen auf die vorgeführten Gefahren angesprochen. Oft werde Richter dabei nach Verteidigungs- und Schutzmaßnahmen gefragt, welche die Nutzer nun umsetzen könnten. Als Antwort verweist Richter dabei auf die Angebote von Vereinen wie dem CCC, die bei derartigen Fragen wohl gern weiterhelfen.
Die gesamte Vorgehensweise des Projekts zeigt, wie mit der gefühlten Ahnungslosigkeit und Ohnmacht weiter Teile der Gesellschaft gegenüber der digitalen Überwachung umgegangen werden könnte. Wesentlich einfacher als langwierige Erklärungsversuche ist es offenbar, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, in dem praktische "Angriffe" auf die Privatsphäre von Interessierten durchgeführt werden. Das führt, wie Richter eindrucksvoll gezeigt hat, zum Einlenken und Nachdenken der "Betroffenen".
Eine praktische Anleitung dazu bietet ein Mitschnitt von Supernerds. Dieser läuft kommenden Samstag, dem 5. September, um 21.50 Uhr auf 3Sat.



