Studie: Chatkontrolle ist kaum wirksam, verstößt gegen Grundrechte

Der wissenschaftliche Dienst im Europaparlament kritisiert die geplante Chatkontrolle deutlich. Politiker fordern, den Vorschlag zurückzuziehen.

Artikel veröffentlicht am , /dpa
Die EU plant die Überwachung von Messengernachrichten.
Die EU plant die Überwachung von Messengernachrichten. (Bild: Pete Linforth/Pixabay)

Die Pläne der EU-Kommission, eine Chatkontrolle im Kampf gegen Bilder missbrauchter Kinder im Internet einzuführen, sind einer Studie zufolge wenig wirksam und verletzen die Grundrechte von Internetnutzern.

Demnach dürfte zwar die Anzahl gemeldeter Fälle von Missbrauchsdarstellungen deutlich nach oben gehen, allerdings dürfte zugleich die Genauigkeit der Treffer deutlich ab- und die Belastung der Ermittlungsbehörden dadurch zunehmen. Die 140-seitige Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes im Europaparlament, die der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Brüssel vorliegt, soll an diesem Donnerstag im Innenausschuss des Parlaments präsentiert werden.

"Nur selten legen Expertisen des Europäischen Parlaments ein so vernichtendes Urteil zu Gesetzesvorhaben der EU-Kommission vor", sagte der FDP-Abgeordnete Moritz Körner der dpa. "Die EU-Kommission wäre richtig beraten, ihren Vorschlag sofort zurückzuziehen."

Chatkontrolle: Wirksamkeit steht infrage

Kritisiert wird vor allem, dass die Pläne zur Chatkontrolle nicht nur vorsehen, bereits bekannte Darstellungen aufzuspüren, die über Online-Messenger verschickt werden. Zusätzlich umfassen sie auch das Aufspüren neuer Abbildungen sowie des sogenannten Groomings, bei dem Erwachsene mit Missbrauchsabsicht Kontakt zu Minderjährigen suchen.

Ein Grund sei unter anderem, dass die Technologien zur Erkennung neuer Inhalte sowie von Grooming unpräzise seien. "Die Mehrheit der befragten Experten geht davon aus, dass dies zu einer Zunahme der gemeldeten Inhalte und einer Abnahme der Genauigkeit führen wird." Dies werde sich erheblich auf die Belastung der Ermittlungsbehörden auswirken. Die Wissenschaftler verweisen auch darauf, dass einige Täter auf das Darknet ausweichen könnten.

Zudem wird betont, dass der Vorschlag unter anderem gegen das Verbot der pauschalen Vorratsdatenspeicherung verstoßen würde. Dieser Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta könne nicht gerechtfertigt werden. Verschlüsselte Kommunikation werde durch die Pläne grundsätzlich in Frage gestellt. Die geplante Einrichtung eines EU-Zentrums im Kampf gegen Kindesmissbrauch bewerten die Autoren der Erhebung dagegen grundsätzlich positiv.

Insgesamt widerspricht die Studie der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die ihren Vorschlag bisher vehement verteidigt und vor allem die Schutzmaßnahmen hervorhebt. Nach Einschätzung der Wissenschaftler sind diese jedoch kaum wirksam: "Es kann der Schluss gezogen werden, dass die Gesamtwirksamkeit der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften begrenzt sein dürfte." Die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen seien unzureichend.

"Der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments bestätigt nun schwarz auf weiß, wovor ich und zahlreiche Menschenrechtler, Strafverfolger, Rechtsexperten und der Kinderschutzbund schon seit langem warnen: Die geplante verdachtslose, flächendeckende Nachrichten- und Chatkontrolle zerstört das digitale Briefgeheimnis und ist grundrechtswidrig", betonte der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piraten). Die Flut an meist falschen Verdachtsmeldungen würden effektive Ermittlungen erschweren, Minderjährige massenhaft kriminalisieren und die eigentlichen Missbrauchstäter und Produzenten solchen Materials vornehmlich nicht treffen.

Vor dem Wissenschaftlichen Dienst des EU-Parlaments hatten bereits Europas oberste Datenschützer ein vernichtendes Urteil über die Vorschläge gefällt. Dabei ging es vor allem um schwerwiegende Bedenken mit Blick auf die Privatsphäre und die personenbezogenen Daten Einzelner.

Auch ein interner Prüfbericht der EU-Kommission hatte bereits frühzeitig "erhebliche Bedenken" zu der geplanten Gesetzgebung geäußert. Auch dort wurde bereits infrage gestellt, ob die Maßnahme geeignet und verhältnismäßig ist.

Nachtrag vom 13. April 2023, 12:25 Uhr

Statement von Patrick Breyer ergänzt.

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