Strom statt Erdgas: Was die Wärmewende in der Industrie aufhält

Ein nicht unerheblicher Teil des Energieverbrauchs der Industrie wird dadurch verursacht, dass für viele Prozesse Wärme benötigt wird. Bisher ist der wichtigste Energieträger, um diese Wärme bereitzustellen, fossiles Erdgas. Wegen des Ukrainekrieges ist die Versorgungslage mit Erdgas allerdings kritisch, und mittelfristig müssen die fossil betriebenen Anlagen wegen der geplanten Klimaneutralität sowieso weichen.
Industriewärme ist für etwa ein Viertel des Erdgasverbrauchs in Deutschland verantwortlich. Die naheliegendste Alternative hierzu ist, die entsprechenden Anlagen künftig elektrisch mit Ökostrom zu beheizen. Der Thinktank Agora Industrie hat kürzlich zu solchen Power-to-Heat-Anlagen eine Onlineveranstaltung durchgeführt(öffnet im neuen Fenster) und Vorabinfos aus einer Studie zum Thema, an der die Organisation zurzeit arbeitet, präsentiert.
Agora hat sich hierbei vor allem zwei Technologien angesehen: industrielle Wärmepumpen, die bei Temperaturen bis 200 Grad Celsius nutzbar sind, und Elektrodenkessel, mit denen Temperaturen bis 500 Grad Celsius erreicht werden können. Damit lassen sich zwar nicht alle Industriewärme-Anwendungen abdecken, aber die Technologien sind im Prinzip verfügbar und können schon in den nächsten Jahren in größerem Stil eingesetzt werden.
Elektrodenkessel könnten bei Stromnetz-Stabilisierung helfen
Neben der Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien sehen die Fachleute von Agora eine weitere Möglichkeit, wie derartige Technologien zur Energiewende beitragen können: Wenn man die Anlagen entsprechend flexibel betreibt, können sie einen Ausgleich für die fluktuierende Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie bereitstellen.
Das könnte etwa so aussehen, dass ein Unternehmen, das bisher seine Wärme mit Hilfe eines Gaskraftwerks erzeugt, diese künftig mit einem Elektrodenkessel bereitstellt, wenn viel Strom im Stromnetz vorhanden ist. Ist der Strom hingegen knapp, könnte weiter das Gaskraftwerk einspringen. Langfristig könnte von Gas auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden.
Bei der Flexibilisierung gibt es zwischen den zwei betrachteten Technologien - Wärmepumpen und Elektrodenkesseln - jedoch neben der erreichbaren Temperatur wichtige Unterschiede. Wärmepumpen sind zwar sehr effizient, aber auch teuer. Die hohen Investitionskosten sorgen dafür, dass sie sich nur lohnen, wenn sie möglichst oft laufen.
Bei Elektrodenkesseln ist es anders: Sie erreichen deutlich weniger Effizienz, sind aber von den Investitionskosten her eher günstig. Daher lohnt es sich gegebenenfalls auch, sie zu installieren, wenn sie nur für eher kurze Zeiträume in Betrieb sind. Sprich: Für Flexibilisierung eignen sie sich vermutlich besser.
Eine Hürde bei der Einführung entsprechender Strom-Technologien sind laut Agora politische Rahmenbedingungen, die falsche Anreize setzen. Der Emissionshandel der EU sieht vor, dass Industriebetriebe für ihren Kohlendioxidausstoß Emissionszertifikate kaufen müssen. Allerdings erhalten viele Industriebetriebe diese größtenteils kostenlos, da sie sich im internationalen Wettbewerb befinden. Wenn ein Unternehmen von einer erdgasbetriebenen Wärmequelle auf elektrische Wärme umstellt, fallen auch die kostenlosen Emissionszertifikate weg.
Fehlanreize im Emissionshandel und bei Stromnetzentgelten
Die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate könnte man anders regeln. Würde ein Unternehmen diese kostenlosen Zertifikate unabhängig von der verwendeten Technologie erhalten, hätte das Unternehmen, das auf klimaschonende Technologien setzt, die Möglichkeit, sie zu verkaufen. Auf EU-Ebene wird gerade über eine große Reform des Emissionshandels diskutiert - die Voraussetzungen könnten sich hier also bald ändern.
Auch die in Deutschland geltenden Stromnetzentgelte sind laut Agora in vielen Fällen nicht gerade hilfreich für die Einführung klimafreundlicher Elektrifizierungstechnologien. In Industriebetrieben wird Erdgas oft in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen genutzt, die Strom und Wärme erzeugen, und das wird in vielfacher Weise begünstigt.
Auch in Sachen Flexibilisierung sind die bestehenden Netzentgelte ein Hindernis. So haben Unternehmen Vorteile, wenn sie einen möglichst stetigen, hohen Stromverbrauch haben. "Umso ungleichmäßiger ich den Strom beziehe, desto größer sind die Netzentgelte, die ich zu bezahlen habe" , erläutert Paul Münnich von Agora Industrie. "Das ist natürlich ein ganz zentrales Hemmnis für zusätzliche lastseitige Flexibilisierung."
Netzentgeltreform schon lange angekündigt
Münnich plädiert für eine schnelle Reform der Netzentgelte, um die Anreize besser auf die Energiewende auszurichten. "Die Reform stand schon im Koalitionsvertrag der letzten Bundesregierung, im neuen Koalitionsvertrag steht sie auch wieder drin" , sagt Münnich. "Es ist wichtig, dass das jetzt politische Priorität wird, um unser Stromsystem zu stützen und Elektrifizierung zu ermöglichen."
Neben einer Reform der Netzentgelte und des EU-Emissionshandels schlägt Agora Industrie vor, entsprechende Technologien zeitlich befristet über ein Sonderförderprogramm zu unterstützen. Langfristig soll dann statt Förderung eine Regulierung stehen, die bei Investitionen in entsprechende Neuanlagen eine Vermeidung von fossilen Energieträgern vorsieht.
Wichtig für die entsprechenden Technologien sind laut Agora auch Stromanschlüsse für den erhöhten Strombedarf. Hier sieht der Think Tank auch langsame Genehmigungsprozesse als Problem - eine digitale Plattform für die Genehmigung von Stromanschlüssen könnte hier Agora zufolge helfen.
Unternehmen haben Angst, kein Gas mehr zu bekommen
In einer anschließenden Diskussion kamen auch Vertreter aus der Industrie zu Wort. Felix Seebach von der Firma BASF erklärte, dass man dort bislang vor allem Projekte mit Wärmepumpen plane. BASF hatte vor wenigen Tagen angekündigt, gemeinsam mit MAN eine Großwärmepumpe in seinem Werk in Ludwigshafen zu planen , hierfür wird zunächst eine Machbarkeitsstudie erstellt. Eine weitere Wärmepumpe will BASF gemeinsam mit Siemens in Betrieb nehmen, hierfür fehlt es laut Seebach noch an einer Förderzusage.
Christian Hüttl, der bei Siemens Energy für den Bereich Wärmepumpen zuständig ist, erklärte, dass man vermehrt Anfragen aus der Industrie bekomme. Dabei gehe es zuletzt auch viel um Versorgungssicherheit: "Da haben die Unternehmen die Angst, tatsächlich im Winter kein Gas mehr zu bekommen."
Bereitstellung von Standardlösungen schwierig
Eine Schwierigkeit für Siemens ist laut Hüttl, dass die Anforderungen der Industrie sich nur schwer standardisieren lassen. "Woran wir ein Stück weit aus Wärmepumpenlieferantensicht zu knabbern haben ist, dass die Industrie sehr individuell unterwegs ist" , erläutert Hüttl. "Das heißt, kein Anwendungsfall gleicht dem anderen."
Siemens ist dabei laut Hüttl mit Branchenverbänden der Papierbranche im Gespräch und hofft, hier zumindest für einen Anwendungsfall "eine Art Blaupause der Standardpapierfabrik zu definieren, für die wir dann auch liefern können" .



