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Stop Killing Games: So sollen Computerspiele ohne Piraterie gerettet werden

Publisher wie Ubisoft können Games jederzeit abschalten - und tun das auch. Gamer und Piraten fordern neue Gesetze. Aber ist eine Recht auf Games wirklich realistisch?
/ Daniel Ziegener
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Publisher können Spiele einfach abstellen. (Bild: Ashutosh Dave)
Publisher können Spiele einfach abstellen. Bild: Ashutosh Dave / Unsplash

Plötzlich war The Crew einfach weg. Mit wenigen Monaten Vorwarnung hat Ubisoft das Rennspiel im April 2024 einfach abgeschaltet. Dass Publisher und Entwickler ihre Spiele einfach so verschwinden lassen, kommt immer wieder vor. Mit dem Aufruf Stop Killing Games wollen Gamer das verhindern . Die internationale Kampagne rund um den Youtuber Ross Scott(öffnet im neuen Fenster) wurde im April 2024 gestartet und es geht längst nicht mehr nur um The Crew, sondern ums Prinzip.

Wenn es nach Stop Killing Games geht, sollen Spieleentwickler dazu verpflichtet werden, ihre Spiele länger anzubieten und nach der Abschaltung sogar quelloffen an die Community zu übergeben, damit sie von ihr weiterbetrieben werden können. Ein großes Unterfangen - oder doch nur ein unrealistischer Wunschgedanke?

The Crew brachte das Fass zum Überlaufen

Auslöser für die Kampagne war zwar The Crew, dass Spiele ganz oder teilweise abgeschaltet werden, ist aber kein Einzelfall. So stellte beispielsweise Sony 2018 den Mehrspielermodus von Gran Turismo 6 nach gerade einmal fünf Jahren ein. Auch der Download von Zusatzinhalten war damit nicht mehr möglich.

Ebenfalls Ende 2018 drehte Epic Games seinem Moba Paragon nach vier Jahren den Saft ab. Für das VR-Spiel Space Junkies war schon nach drei Jahren Schluss. Das Zombiespiel The Days Before gaben die Entwickler sogar nach nur vier Tagen auf.

Im Vergleich zu diesen Beispielen ist The Crew recht alt geworden. Ende März 2024 war es vorbei mit Raserei in einer miniaturisierten Version der USA. Das Rennspiel wurde also nicht ganz alt, währte aber immerhin fast zehn Jahre.

"The Crew war der Tropfen an Herstellerwillkür, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat" , sagt Patrick Breyer, der noch für die Piratenpartei im EU-Parlament sitzt. Er hat sich dem Anliegen auf europäischer Ebene angenommen. Schließlich sitzt Ubisoft, das Unternehmen im Mittelpunkt der Kampagne, in Frankreich.

Ist die Lösung, Spielehersteller zu Open Source zu verpflichten?

Noch haben Stop Killing Games mit Patrick Breyer eine Stimme in Europäischen Parlament, aber das wird sich in wenigen Wochen ändern. Nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei der vergangenen Europawahl konnte dieser seinen Sitz nicht verteidigen. Ob das Anliegen von Stop-Killing-Games-Initiator Ross eine politische Lobby behält, ist damit ungewiss.

Scott kann sich als Ziel der Initiative vorstellen, "dass der Publisher oder Entwickler den gesamten Quellcode oder die Serversoftware der Community überlässt, damit diese sie betreiben kann." Sie "bitten lediglich um die Möglichkeit, das Spiel in irgendeiner Form ohne weitere Anforderungen seitens des Publishers weiterzuführen."

Ein Beispiel: Bis Blizzard im Jahr 2019 offizielle Classic-Server startete, war die Urversion von World of Warcraft nur über Fan- bzw. Piraten-Server verfügbar - jenachdem, wie man die inoffiziellen Instanzen interpretieren will.

Der Branchenverband sieht in der Community keine Lösung

Der Branchenverband Game sieht darin keine Lösung. Es gehe "nicht nur darum, einen Server irgendwie am Laufen zu halten, sondern auch um die Verantwortung für den Betrieb" , sagt Geschäftsführer Felix Falk.

So gelten etwa die Regeln des Digital Services Act (DSA) zur Moderation von Inhalten auch für Onlinespiele(öffnet im neuen Fenster) . Das "übernehmen die Unternehmen und schaffen damit Sicherheit für die Spielenden. Bei einem Community-Server sind all diese Fragen aber ungeklärt, ebenso wie die Haftung."

Dennoch gibt es auch Präzedenzfälle für die Forderungen von Stop Killing Games. Erst Anfang des Jahres erlaubte NC Soft Fans ganz offiziell den Betrieb eigener Server für das bereits 2012 eingetellten City of Heroes . Und sogar Ubisoft selbst war schon Vorbild: 2015 schalteten diese die Server von World in Conflict ab , zwei Jahre später veröffentlichten sie den zum Betrieb eigener Mehrspielerserver nötigen Quellcode auf Github(öffnet im neuen Fenster) .

Verbraucherschutz oder Nischenphänomen?

Wie viele Spieler diese Forderung wirklich betrifft, ist unklar. The Crew selbst hatte auf dem PC in den Monaten vor der Abschaltung zumindest auf Steam selten mehr als ein paar hundert aktiver Spieler. Sie sind die Überbleibsel der mehr als 12 Millionen Käufer(öffnet im neuen Fenster) des Spiels. Für eine "verbraucherschutzrechtliche Betrachtung ist die tatsächliche Spielerzahl nicht entscheidend" , sagt Breyer.

Ubisofts Kritiker werfen dem Konzern vor, The Crew abgeschaltet zu haben, um Spieler zum Kauf des Sequels zu drängen. Und tatsächlich stieg die Spielerzahl von The Crew 2 auf Steam im Mai an - allerdings auch nur um wenige hundert(öffnet im neuen Fenster) . Teil 2 ist selbst schon sechs Jahre alt und weit davon entfernt, der angesagteste Titel in Ubisofts Portfolio zu sein.

Einen besonders großen Sturm der Entrüstung konnte die Kampagne in den zwei Monaten seit ihrem Start nicht lostreten, die Kritik kommt dennoch an. Beim Verbraucherzentrale Bundesverband sind seit April mehr als 850 Beschwerden zu The Crew eingegangen. Normalerweise liege die Zahl der Beschwerden über Ubisoft im einstelligen Bereich. Derzeit prüfen die Verbraucherschützer weitere Schritte.

Zehntausende Unterschriften gegen den Spielemord

In einigen Ländern hat Stop Killing Games nicht nur einen Aufruf zum Ausfüllen von Beschwerdeformularen aufgerufen. In Deutschland gibt es bislang keine Petition, wie etwa über das Online-Petitions-System, mit dem sich Themen auf die Agenda das Bundestages setzen lassen, in anderen Ländern aber schon.

In Kanada hat eine Petition hingegen bislang mehr als 6.800 Unterzeichner(öffnet im neuen Fenster) gefunden und liegt damit unter den meistgezeichneten Petitionen zwischen Sterbehilfe und der Forderung nach einer Vertrauensfrage im Parlament.

In Australien war eine ähnliche Petition mit 10.114 Unterzeichnern(öffnet im neuen Fenster) bereits erfolgreich. Die Forderungen wurden dem Repräsentantenhaus unterbreitet, eine Antwort des verantwortlichen Ministers steht allerdings noch aus. Dort fordern die Initiatoren der Petition das Parlament auf, Anbieter von Spielen "dazu zu verpflichten, diese Software nach dem Ende des Supportzeitraums des Produkts in einem funktionsfähigen Zustand zu belassen" .

Auch in Großbritannien lief eine Petition, die beim Stand von 27.341 Unterzeichnern(öffnet im neuen Fenster) aufgrund der anstehenden Neuwahlen im Juli verfrüht gestoppt wurde. So erhielt die Gruppe eine Antwort, auch wenn die notwendige Zahl von 100.000 Unterzeichnern nicht erreicht wurde. Die Regierung erkenne die Bedenken zwar an, verweist aber auf bestehende Verbraucherschutzgesetze.

Wer Spiele kauft, kauft das Recht auf einen Download

Als der digitale Vertrieb von Computerspielen zum Standard wurde, wehrten sich Gamer schon einmal - erfolglos. 20 Jahre nach dem Start von Valves Downloadplattform Steam werden heute 97 Prozent aller PC-Spiele digital heruntergeladen, die meisten davon über Steam.

Valve spricht in den Lizenzbedingungen von Steam(öffnet im neuen Fenster) selbst nicht von Käufen, sondern Abonnements. Es bestehe lediglich "ein Recht zur Nutzung der vertragsgegenständlichen Inhalte" , die Transaktion "begründet keinerlei Eigentumsrechte" an einem Spiel. "Wenn das Bezahlen eines Spiels kein Besitz ist, dann ist Piraterie kein Diebstahl" , kommentieren einige Nutzer unter Ubisofts Spielen auf Steam.

Physische Medien sind ohnehin schon lange auf dem Weg zu verschwinden und damit auch private Sammlungen oder der Gebrauchtmarkt. Und der nächste Schritt naht bereits mit dem Streaming. Microsoft setzt mit dem Game Pass schon heute auf ein All-Inclusive-Abonnement, bei dem man ohnehin nur dann Zugang zu den Spielen hat, solange das Abo bezahlt ist. Spieler drohen also tatsächlich, das letzte bisschen Kontrolle über ihre vermeintlich gekauften Titel zu verlieren.

Sind Spiele Kunst oder kann das weg?

Dem Medium Videospiel droht damit der Verlust seiner eigenen Geschichte. Trotz Emulatoren und Archiven sind laut einer Studie der ESA sind viele vor 2010 veröffentlichte Spiele davon bedroht, für immer zu verschwinden . "Die Erhaltung älterer Spiele gehört zu den großen Herausforderungen des Kulturmediums Games" , sagt auch der Branchenverband Game.

Und als solches Kulturgut sind die kommerziellen Softwareprodukte erhaltenswert. "Kultur wird oft verkauft oder vermarktet, das ist kein Widerspruch" , sagt Patrick Breyer. "Bei Computerspielen bildet sich eine Kultur auf der Grundlage eines kommerziellen Produkts, das ist eine Wandelung, die über das Produkt hinaus geht."

Der Branchenverband Game gehört zu den Unterstützern der Internationalen Computerspielesammlung . Ein solches Archiv könnte dazu beitragen, die Geschichte des interaktiven Mediums zu dokumentieren. Eine Lösung für Konsumenten, die ihr Lieblingsspiel auch über die Supportdauer des Entwicklers hinaus spielen wollen, ist das aber nicht.


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