Spieleentwickler: "Habe eine Idee und brauche zwei Millionen Euro"

Der Autor Michael Hengst hat bei einer Reihe von Publishern und Studios gearbeitet, derzeit ist er als selbstständiger Spieleentwickler tätig und berät große und kleine Entwicklerteams. Am Anfang seiner Karriere hat er als Chefredakteur der Zeitschrift Power Play erste Erfahrungen in der Branche gesammelt.
"Was ist die beste Methode, eine grandiose Spielidee vorzustellen?" werde ich immer wieder gefragt. "Sollte man das Projekt bei einer Crowdfunding-Plattform wie Kickstarter oder Indiegogo unterbringen?" Aber das ist die falsche Frage. Ich stelle dann die richtige: "Was ist an dem Projekt, der Idee oder dem Team denn so grandios, dass irgendjemand Geld investieren sollte?" Die Antworten sind oft erschütternd. "Unser Spiel basiert auf einer hausgemachten Technologie, die fünf Frames die Sekunde schneller ist als die der Cryengine" oder "Unser Spiel ist wie World of Warcraft, nur mit mehr Features" . In solchen Momenten zweifle ich an der Spieleindustrie.
Nach rund 35 Jahren der erfolgreichen Kommerzialisierung sollte man meinen, der Grad der Professionalität fiele etwas höher aus. Kurioserweise werden aber - und das auf allen Seiten - viele Fehler ständig wiederholt. Sogar der handgekritzelte Zettel "Ich habe da mal eine Idee und brauche zwei Millionen Euro" als ernst gemeinter Pitch bei einem Publisher ist keine urbane Legende, sondern Realität.
Aber wie sieht denn nun ein guter Pitch aus? Und sollte das Projekt fanfinanziert werden oder doch lieber von einem Publisher? Muss es ein fertiges Spiel sein? Reicht die Idee?
Ideen haben die Halbwertzeit eines zypriotischen Sparkontos
Ich fange mit der letzten Frage an, denn sie ist am leichtesten zu beantworten: nein. Ideen haben die Halbwertzeit eines zypriotischen Sparkontos. Ich persönlich habe drei (Spiele-) Ideen beim morgendlichen Duschen und sie schon wieder vergessen, wenn ich zum Kaffeeautomaten gehe. Was anderes ist es, wenn diese Ideen auch sinnvoll zu Papier gebracht werden. Die Betonung liegt auf "sinnvoll", denn die Anforderungen an einen Spielepitch sind sehr hoch - und hier teilt sich schon zum ersten Mal die Spreu vom Weizen.
Da wäre zum einen das sogenannte "Vision Summary", eine Zusammenfassung von maximal zehn Seiten, in der auf einen Blick wichtige Fragen beantwortet werden sollten: Was ist das Tolle an dem Spiel? Wer ist das Team? Wie lange wird die Entwicklung voraussichtlich dauern? Wie viel soll die Entwicklung kosten? Welche Besonderheiten gibt es? Welche Plattform? Wie soll mit dem Titel Geld verdient werden? Wie sieht der Wettbewerb aus? Auch wenn es sich dabei "nur" um eine Zusammenfassung handelt, schleichen sich hier oft Fehler ein, von Rechtschreibfehlern über Formfehler wie fehlende Kopf- und Fußzeilen, bis hin zu Formatfehlern (nur verhältnismäßig wenige Leute können ein ODT-Dokument ohne Probleme lesen).
Dann sollte eine Vorkonzeption erstellt werden. Diese kann durchaus umfangreicher sein, zum Beispiel 50 bis 60 Seiten, und sollte detaillierter beschreiben, wie die Kern-Features des Spiels aussehen, wie sich das Spiel am Anfang spielt, was der Spieler in der Mitte macht und wie das Endgame aus der Sicht des Protagonisten aussieht. Mockups, Scribbles, Artwork, ein eventuell vorhandener Prototyp dürfen hier ebenso wenig fehlen wie eine Beschreibung des Qualitätszieles (und wie man gedenkt, dorthin zu kommen). Eine ausführliche Beschreibung der Technik gehört hinein, auch der potenzielle Einsatz von Middleware und ein etwaiges Datenbank-Backend.
Free-to-Play und das Geschäftsmodell
Wenn es ein F2P-Spiel wird: Wie soll mit dem Spiel Geld verdient werden? Ein schlichter Satz, "Wir planen den Einsatz von Premiumfeatures, die man mit Echtgeld erwerben kann" , reicht nicht aus! Zu guter Letzt eine Planung: Zeitplanung, Budget und Team sowie eine Risikoeinschätzung und eine Aufstellung von möglichen Problemen. Hier scheitern viele Entwickler, da sich die Kreativen mit so profanen Sachen wie einer Budgetplanung noch nie auseinandergesetzt haben. Hier werden gerne so "unwichtige" Posten wie Lohnnebenkosten vergessen. Mein Tipp: Holt euch Hilfe! Auch wenn es die in der Regel nicht kostenlos gibt.
Geld von einem Publisher zu bekommen, der dann das Spiel vermarktet, PR macht und es in die notwendigen Vertriebskanäle schleust, ist auch mit einer soliden Idee und allen entsprechenden Dokumenten nicht einfach. Dabei ist es erst einmal unerheblich, ob ihr ein F2P-Spiel, einen Box-Klassiker, ein mobiles Spiel oder einen Konsolenknaller machen wollt. Der grundlegende Prozess ist der gleiche - oder zumindest sollte er es sein, dennoch gibt es hier schon eine hohe Fehlerquote.
Wenn der Entwickler schon erfolgreich Spiele gemacht hat, seit Jahren etabliert ist, die richtigen Leute kennt und Geld verdient hat, ist es etwas einfacher, an einen Publisher zu kommen - aber eben nur etwas. Neulinge scheitern in aller Regel an einfachen Formalien, zum Beispiel so einfachen Grundlagen wie der Frage, wer bei einem Publisher für den Ankauf neuer Projekte zuständig ist. Hört sich simpel an? Ist es aber nicht.
Wer ist denn für den Einkauf von neuen Spielen bei EA zuständig? Oder bei Bigpoint? Oder bei Nintendo? Wer jetzt schon mit den Schultern zuckt und seinen Pitch beim Pförtner abgibt oder Unterlagen an die info@mail der Webseite verschickt, sollte überlegen, ob er hier richtig ist. Auch wann, wie und welcher Publisher zu welcher Zeit angesprochen wird, will gelernt sein. Publisher ist nicht gleich Publisher und eine Massenmail mit den Pitch-Dokumenten an jeden Einkäufer, der nicht bei drei auf dem Baum ist, macht einen ebenso schlechten Eindruck wie mangelhafte Dokumente.
Vertraut euer Baby nicht Wildfremden an!
Das unkoordinierte Überschwemmen von Publishern mit ach so tollen Ideen ist einer der größten Fehler, die ein Entwickler machen kann. Schaut euch die Publisher vorher einmal richtig an. Ist der Publisher finanziell überhaupt stabil genug, euer Projekt zu finanzieren? Wie ist der Ruf der Firma in der Branche? Schon oft haben Entwickler bei einem Publisher unterschrieben, der bekannt dafür war, Entwickler zu verheizen oder wo der Vorstand zu cholerischen Ausbrüchen neigte und beim kleinsten Problem den Entwickler mit Klagen überzog - und die Rechnungen nicht mehr zahlte.
Wie geht der Publisher mit Entwicklern um? Wie ist die Betreuung durch das Producing? Was passiert bei Problemen? Ist der Publisher an einer langfristigen Partnerschaft interessiert? Mit allem Respekt: Das Projekt ist ja noch ein Baby. Warum dann das Kind einem Wildfremden anvertrauen?
Produktpolitik des Publishers
Die nächste Frage im Raum: Warum kauft ein Publisher überhaupt Spiele ein? Dafür kann es, je nach Professionalität des Publishers, mehrere Gründe geben: zum Beispiel der spontane Einkauf. Wer schon einen fertigen Titel hat, ist ihn meistens vorher schon nicht losgeworden, oder der alte Publisher hat das Spiel abgesägt (aus verschiedenen Gründen). Das weiß auch der neue Publisher und kauft euch das Spiel - aber dazu muss es fertig sein - besonders billig ab. Besser, zumindest preislich, ist der zwanghafte Einkauf: Das Produktportfolio weist Lücken auf, Quartalszahlen stehen bevor, die Vertriebsmannschaft dreht Däumchen - der Publisher muss noch dringend einige Titel dazukaufen, um zum Beispiel die Aktionäre glücklich zu machen. Leider steht auch dahinter keine echte Planung und der Titel leidet drunter, denn die Unterstützung des Publishers wird nur marginal sein.
Interessant wird für alle Beteiligten der strategisch orientierte Einkauf. Hier geht es darum, beispielsweise ein Genre zu besetzen, Marktanteile zu gewinnen, vorher nicht bediente Plattformen zu belegen oder eine IP zu erweitern beziehungsweise wiederzubeleben. Es kann natürlich sein, dass eure eigentliche Idee zu Grabe getragen wird und ihr eine Auftragsarbeit macht. Aber das ist ein Hebel, bei dem ein Entwickler ansetzen kann: Publisher A hat ein Rollenspiel und könnte eine zweite Serie vertragen. Oder er hat einen Titel X auf der einen Plattform, aber nicht auf einer anderen.
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist Ubisoft, das mit Nachhaltigkeit und Planung seine Marken weiter ausbaut. Ob Silent Hunter Online oder Might & Magic X: Legacy: beides Spiele, die von kleineren, aber erfahrenen Entwicklern vorangetrieben werden. Die Frage, die ich mir als Entwickler stellen würde: Wie sieht denn die Strategie etwa von Ubisoft auf mobilen Endgeräten aus? Würde ein solides Konzept für ein Might & Magic auf iPad gut ankommen? Möglich.
Nicht drängeln!
Zurück zur Idee des Entwicklers. Nehmen wir mal an, ihr habt es geschafft und auf einer Messe oder durch einen Bekannten in der Branche einen der Entscheidungsträger der Firma Y getroffen. Zum Beispiel den Einkäufer, den Scout oder sogar den Chef persönlich. Eure Dokumente sind in makellosem Zustand, erstes Interesse wurde auf der Messe bekundet. Das bedeutet erstmal... rein gar nichts. Bei einem normalen Publisher gehen in der Regel 40 Pitches oder auch deutlich mehr im Monat ein. Wenn der Entwickler dem Publisher die Unterlagen durch das Zustandekommen eines persönlichen Kontaktes geschickt hat, ist es schon ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Initiativ-Einreichung liegt erst mal auf dem Stapel mit den anderen tollen Ideen. Was nun garantiert bei der Entscheidungsfindung nicht hilft, ist die tägliche E-Mail-Anfrage bei der Kontaktperson nach dem Stand der Dinge.
Je nach Publisher bekommt ihr nach einigen Wochen oder erst Monaten eine formelle Absage, bei guten Publishern auch noch mit einer soliden Begründung, warum der Titel nicht genommen wurde. Oder ihr hört nie wieder etwas von ihm - das passiert öfter, ist aber in der Regel nicht böse gemeint.
Profis und begeisterte Amateure
Wie kommt eine Entscheidung zustande? Beim Publisher gibt es in der Regel ein mehr oder minder professionelles Auswahlverfahren. Im besten Fall sind darin Producer oder Produktmanager, Marketingleute, Techniker, Finanzabteilung und Geschäftsleitung involviert. Jeder schaut über die Unterlagen und schreibt seine Meinung und Kommentare in ein standardisiertes Formular - heraus kommt dann eine positive oder negative Bewertung und der nächste Schritt wird eingeleitet. Ich persönlich habe es aber auch schon erlebt, dass begeisterte, aber mit wenig Produktionsverständnis ausgestattete Vorstände eigenmächtig Verträge mit Entwicklern gemacht haben - mit fatalen Folgen für alle Beteiligten und das Projekt.
Auf der anderen Seite gab es aber auch Entwickler, die schon einen Vertrag in den Händen hielten, sich reich und berühmt fühlten und einen Kredit für ein Auto aufgenommen haben - und dann wurde der Vertrag nicht gegengezeichnet, weil es Unstimmigkeiten in der Planung gab. Wie auch immer: Eine Rückmeldung kann schon mal dauern. Selbst bei ernsthaftem Interesse und einem positiven Feedback sollten Entwickler schon bis zu sechs Monaten einplanen, die es bis zur Vertragsunterzeichnung zu überbrücken gilt. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg und nicht alle Hürden sind überwunden.
Denkt nur nicht, dass das schon alles war!
Nehmen wir an, der Entwickler hat die Idee erfolgreich beim Publisher eingereicht - jetzt kommt im Regelfall die verbale und optische Präsentation der Idee und des Teams beim Publisher, gefolgt von einem Gegenbesuch. Wenn der Entwickler seine Idee präsentiert, geschieht dies im besten Fall vor eben diesem kleinen Gremium aus den verschiedenen Abteilungen - siehe oben. Dabei werden natürlich eine Menge Fragen gestellt. Wer bei Antworten zögert, ausweicht, nur ungenau mit "das planen wir noch" antwortet, oder gar mauert, kann eigentlich schon nach Hause gehen.
Normalerweise ist das Gremium höflich und hört sich alles bis zum Ende des geplanten Meetings an. Mein persönlicher Geduldsfaden ist nach jahrelangen Erfahrungen da etwas kürzer: Ich habe Präsentationen schon nach zehn Minuten abgebrochen und das Team nach Hause geschickt. Wer Fragen nach der grundlegenden Spielmechanik nicht solide beantworten kann, auf Fragen, die sich auf die eingereichten Dokumentationen beziehen, kaum eingeht oder beschriebene Features nicht erklären kann, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und verschwendet Zeit.
Hört sich hart an? Ist es auch. Wenn auch längst nicht so hart, wie das Feedback bei einer Crowd-Finanzierung ausfallen kann! Aber bleiben wir noch einen Moment beim Publisher. Nehmen wir weiter an, das Gremium hat genickt: Team, Idee und Dokumentationen machen einen guten Eindruck. Dann kommt der Gegenbesuch: Entweder kommt ein Producer oder ein Team von Spezialisten, die sich den Entwickler genau anschauen.
Exit-Strategie für den Entwickler
Wer bei der Dokumentation gemogelt hat, wird spätestens hier auffliegen: Das Team schaut sich alles genau an, unterhält sich mit einzelnen Mitarbeitern, prüft Unterlagen und stellt unangenehme Fragen. Wer hier zickt, nicht die Hosen runterlässt oder mauschelt, verliert. Denn in aller Regel - wenn der Publisher professionell ist - wird er erst eine Pre-Produktion haben wollen. In diesem Zeitraum wird nicht nur die Idee auf Umsetzbarkeit, sondern auch der Entwickler selbst geprüft. Wie ist die Zusammenarbeit? Werden Termine eingehalten? Wie werden Probleme angegangen?
Das Gleiche gilt natürlich auch umgekehrt: In der "Projektprobezeit" kann sich der Entwickler den Publisher genauer anschauen. Leider verzichten Entwickler oft auf ausgeklügelte Vertragspassagen für den Fall einer Beendigung während oder nach dieser Phase. So trauen sich vor allem deutschsprachige Entwickler nicht, eine sogenannte "Killfee" oder ein "Cooldown"-Payment einzubauen.
Viele Entwickler sehen nicht, dass ja das eigentliche Projektbudget bei einem Publisher deutlich höher ist als das angegebene Entwicklungsbudget. Immerhin muss der Publisher Marketing übernehmen, PR in den verschiedenen Ländern anleiern und übernimmt meistens noch die Lokalisierung und die QA und hat natürlich auch noch eine Verwaltung, die es zu bezahlen gilt. Alles Kosten, die prozentual auf das Spiel umgelegt werden müssen und die eigentlichen Kosten in die Höhe treiben. Fallen dann Projekte durch Terminverschiebungen, Streichungen oder Mängel aus, kommt es ganz schnell zum bei Publishern verhassten "Cleopatra"-Effekt. Die Kosten werden auf immer weniger Projekte - oder am Ende nur noch eines - umgelegt. Bis zur völligen wirtschaftlichen Sinnlosigkeit.
Ein Problem, das es bei Crowd-finanzierten Projekten auf den ersten Blick nicht gibt: Der Wasserkopf eines Publishers muss hier nicht refinanziert werden. Allerdings ist die Vorstellung der Idee auf einer beliebten Crowdfunding-Plattform anspruchsvoller und anstrengender und auch gefährlicher als ein Pitch bei einem Publisher.
Ja, die Chance, ein Spiel finanziert zu bekommen, das einer Kernzielgruppe von 30.000 Fans gefällt, ist real. Aber schon die Logistik ist anspruchsvoll: Zur Not reicht ein vertrauenswürdiger US-Kumpel mit Bankkonto und Kreditkarte - aber was, wenn der mit dem eingesammelten Geld durchbrennt? Eine bessere Signalwirkung hat die Gründung einer US-Firma. Das ist natürlich wieder mit Aufwand und mit Ausgaben verbunden.
Ein öffentlicher Pitch hat es in sich
Hat man diese Hürde genommen, steht die nächste an: Was ist mit dem Fiskus? Irgendwie müssen die Gelder aus den USA ja zum Entwickler nach Deutschland kommen. Hält Herr Schäuble die Hand auf? Wie hoch sind die Steuern? Welche Steuern? Wie hoch sind die laufenden Kosten für das Unternehmen in den USA und die logistischen Leistungen? Ist der Cut von Kickstarter und Amazon berücksichtig? Alles Fragen, die vorher geklärt werden sollten - auch hier bedeutet das erst einmal: Investition von Geld und Zeit. Steuerberater und Anwälte wollen schließlich auch leben.
Zudem sind die Anforderungen an einen öffentlichen Pitch gewaltig: Euer Konzept sollte mit Videomaterial und möglichst guten Szenen aus dem Spiel oder wenigstens einer Tech-Demo bestehen. Was bietet ihr an Goodies für verschiedende Backertypen? Ist die Produktion dieser Sachen geklärt? Sind die Kosten sauber berechnet? Wie sieht der Plan bei einer "Übererfüllung" des aufgerufenen Volumens aus? Reflektiert der Featureumfang die verschiedenen Finanzierungsabschnitte? Was macht der Entwickler, wenn er plötzlich fünfmal so viel Geld einnimmt wie vorgesehen?
Crowdfuning mit Tausenden von Publishern
Wer sich für die Crowdfinanzierung entscheidet, wird von den Tausenden Fans ständig unter die Lupe genommen - und nicht nur von einem Gremium aus fünf Leuten bei einem Publisher. Jede Aktion, jedes Posting, jedes Argument, jede Kritik, jede Anregung wird von Fans gesehen und bewertet - und einmal losgetreten, gibt es kein Zurück. An Kritik und Risiken mangelt es nicht: Beispiel Tim Schäfer, der nun in der Schusslinie steht, weil das Spiel trotz saftiger Finanzierung nicht rechtzeitig und im geplanten Umfang fertig wird. Oder Richard Garriott, dem teilweise vorgeworfen wird, er könnte doch locker das Projekt aus dem Privatvermögen bestreiten - nur, wer kennt Richards private finanzielle Situation wirklich genau? Hat er Millionen auf dem Konto? Wenn ja, was würden wir an seiner Stelle tun? Das gesamte persönliche Vermögen möglicherweise in den Sand setzen? Oder nur einen Teil riskieren?
Insgesamt finde ich diese Diskussion, ob ein angeblicher Millionär selbst in die Tasche greifen sollte, etwas unfair. Unberechtigt finde ich auch die Kritik, die "bekannten alten Herren" nähmen den wahrlich bedürftigen Indies das Geld weg. Für mich als Backer sollte es zunächst einmal unerheblich sein, wer das Spiel macht: Der Pitch muss überzeugen. Was allerdings stimmt: Die Stars von vorgestern bekommen erheblich mehr Presse als der unbekannte Entwickler von nebenan.
Zurück zum Pitch: Läuft die Kampagne und die ersten Backer zahlen ein, kann sich der Entwickler keinesfalls entspannt zurücklehnen. Im Gegenteil: Die Meute will Futter. Regelmäßige und vor allem gehaltvolle Updates über den Stand der Entwicklung sind zwingend erforderlich. Eine Sisyphos-Aufgabe, die natürlich bei der Entwicklungsplanung mitberücksichtigt werden sollte. Mindestens einmal pro Woche sollte ausführlich berichtet werden. Chris Hülsbeck beispielsweise wurde schon angemeckert, weil er so wenig über den Fortschritt seines Projektes berichtet.
Plan B?
So interessant und vielversprechend das Konzept des Crowdfundings auch ist und so viele Beispiele für eine erfolgreiche Finanzierung es auch gibt: Die Gefahr des Scheiterns ist real. Und was dann? Plan B? Wenn schon Fans das Projekt nicht wollten, braucht der Entwickler bei einem Publisher mit der Idee gar nicht mehr aufzulaufen. Wenn Projekt A schon nicht finanziert wurde, wird die Fangemeinde eventuell Projekt B auch nicht anfassen - das ist doch eine Idee von dem Entwickler, der schon mal auf Kickstarter versagt hat. Was wenn, wie bei Tim Schäfer, die Finanzierung steht, aber das Endprodukt den Erwartungen nicht gerecht wird? Durch die öffentliche Präsenz ist die Gefahr extrem hoch, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt.
Es geht natürlich auch anders. Crowdfinanzierung auf eigene Kappe - so wie es Chris Roberts gemacht hat. Weniger Aufwand ist dies zwar nicht, aber der öffentliche Druck ist vielleicht nicht so hoch. Und Selfpublishing? Auch eine Möglichkeit, aber - noch einmal - es gibt keine Garantie für den Erfolg.
In aller Regel wird der Aufwand unterschätzt, die Chancen werden überschätzt. Das soll nicht heißen, dass man als Entwickler aufgeben soll. Im Gegenteil. Unsere Branche lebt vom Wandel, von frischen Ideen und Experimenten. Von wagemutigen Entwicklern, die entgegen allen Widerständen erfolgreich sind.
So, gibt es nun ein Patentrezept für einen perfekten Pitch? Klare Antwort: nein! Was aber jedem klar sein sollte: Ein solider Pitch besteht aus einer aussagekräftigen Präsentation, Dokumenten und in vielen Fällen sogar schon einem spielbaren Prototyp. Der Aufwand, der arbeitsmäßig und finanziell dahintersteckt, wird in der Regel - gerade vom Nachwuchs - gehörig unterschätzt. Die Chance, den Pitch erfolgreich bei einem Publisher oder bei Fans unterzubringen, ist im Grunde minimal. Die Öffentlichkeit sieht nur die Erfolge - der Friedhof der Fehlversuche ist ebenso riesig wie unsichtbar.
Die sechs wichtigsten Tipps für erfolgreiche Entwickler:
Erstens: Holt professionelle Hilfe! Stellt eure Idee in einer Trockenrunde vor. Lasst Dokumente und Planungen prüfen - Stichworte: Korrekturlesen, Steuerprüfung, Budgetplanung, Risikoanalyse usw.
Zweitens: Lernt aus Fehlern! Kritik einzustecken ist nicht einfach. Aber nur wer aus Fehlern lernt, kommt weiter. Schaut euch an, warum zum Beispiel Kickstarter-Kampagnen nicht funktioniert haben!
Drittens: Lernt aus Erfolgen! Schaut euch erfolgreiche Projekte an und überlegt, warum diese erfolgreich sind.
Viertens: Seid ehrlich den Fans und/oder dem Publisher gegenüber! Schlampige Planungen und vorsätzliche Falschaussagen im Pitch sprechen sich herum.
Fünftens: Bildet ein Netzwerk! Kollegen aus der Branche sind gerne mal bereit, helfend unter die Arme zu greifen und vermitteln Kontakte.
Sechstens: Schaut euch Beispiele erfolgreicher und weniger erfolgreicher Pitches an!
Weiterführende Links
Crowdfunding ohne Kickstarter(öffnet im neuen Fenster)
Finanzierungsmöglichkeiten von Projekten von Jason Della Rocca(öffnet im neuen Fenster)
37 völlig versemmelte Kickstarterprojekte(öffnet im neuen Fenster)
Sometimes Kickstarter Projects Don't make it(öffnet im neuen Fenster)
How to pitch your game(öffnet im neuen Fenster)
From zero to pitch(öffnet im neuen Fenster)
Checkliste für Entwickler(öffnet im neuen Fenster)
BioShock Pitch Document: A Brief Analysis(öffnet im neuen Fenster)



