Und was wird aus der Esskultur?
Worin liegt der Reiz, komplette, bis ins letzte Komma zu berechnende Kontrolle über die tägliche Nahrungszufuhr zu erhalten? Ein wichtiger Punkt ist die Zeitersparnis. Essen ist einfach kein Thema mehr, das im Alltag vorkommen muss. Lachmann formuliert das so: "Für die Pflicht ist gesorgt, der Rest ist Kür." Was er meint, ist die Trennung von Ernährung, die dem Überleben dient, und von Nahrung, die den Genuss befriedigt.
Was aber wird aus dem sozialen und dem emotionalen Aspekt von Essen, wenn wir es als Pulver-Shot betrachten - so beiläufig wie das Aufdrehen des Wasserhahns beim Händewaschen? Die Verabredung zum Essen ist in den meisten Kulturen ein soziales Ritual. Gemeinsames Essen kann Genuss, Lust und Glück bedeuten und Erinnerungen, die verbinden. Die Zubereitung oder das Essen selbst produziert mitunter Geschichten, die manchmal noch Jahre später unter Freunden und in der Familie erzählt werden.
Dazu kommt die schiere Freude an Geschmäckern und Texturen, die Essen bedeuten kann. Der Biss in einen knackigen Apfel, das Zermalmen würziger Kartoffelchips, das Auf-der-Zunge-Zergehen eines zarten Stücks Roastbeef, das zartschmelzende Vergnügen einer Kugel Vanilleeis auf einer Parkbank im Sommer.
Keine Gefahr, enttäuscht zu werden
Der Gedanke an Essen als Ernährung macht die ganze Welt des Genusses auf. Doch mit dieser Welt und der mit ihr verbundenen Chance auf das emotionale Hoch, das Essen bieten kann, geht auch das Risiko eines Tiefs einher. Essen, das nicht schmeckt. Essen, das dick macht. Essen, das uns schadet, weil nicht drin ist, was draufsteht. Tierische Produkte, die unter unwürdigen Bedingungen erzeugt wurden. Essen, das uns stresst, weil wir es mit Menschen teilen müssen, mit denen wir lieber nicht an einem Tisch säßen. Essen, das wir einkaufen müssen, in langen Schlangen stehend, und dessen schier endloses Angebot hierzulande uns tagtäglich Entscheidungen abzwingt.
Essen kann Stress und Kontrollverlust bedeuten und beides will Lachmann nicht haben. Dass er dafür auch die genussvollen Höhen wegtrimmt, nimmt er in Kauf.
"Ich war nie ein Hobbykoch", sagt er im Gespräch, das auf seinen Vorschlag hin in einer Weinbar in Berlin-Kreuzberg stattfindet. Hat er der Lebensmittelwelt außerhalb des weißen Pulvers doch nicht so ganz abgeschworen? Er wiegelt ab: "Es gibt oft dieses Missverständnis, dass Soylent ein Zwang sei. Ich kann noch essen oder einen Wein trinken. Der Punkt ist: Ich muss es nicht und das ist ein Vorteil."
Das Weihnachtsessen muss nicht ausfallen
Er zeigt sein Abendessen: ein paar Gramm Pulver in einer blauen Plastikflasche, die er später mit Wasser auffüllen wird. Ausgehen und den sozialen Aspekt des Essens habe er aber nicht aus seinem Leben gestrichen. Das Weihnachtsessen mit seinen Eltern finde beispielsweise noch immer statt. "Praktisch alle Menschen in meinem Umfeld, mit denen ich mehr zu tun habe, finden Soylent für sich eher doof, lassen mich aber mein Ding machen", sagt er.
Seine Familie fand seine neue Ernährung anfangs schräg, hat sich aber inzwischen daran gewöhnt. Lachmann will niemanden überzeugen, es ihm gleichzutun. "Ich missioniere nicht", sagt er immer wieder. Die Meinung mancher Soylent-Befürworter und des Begründers der Pulver-Bewegung Rhinehart teilt er nicht. Sie glauben, Soylent könne ein Mittel gegen den Welthunger sein und Umweltschäden reduzieren, weil es beispielsweise die CO2-Emissionen der Massentierhaltung überflüssig mache.
Lachmann ist vom Weltrettungsgedanken nicht beseelt. Ihm genügt, seinen eigenen Körper zum Experimentierfeld zu machen. Er weiß jeden Tag auf die Minute genau, wann er Hunger hat, wie er ihn stillt und wie lange beides dauert. 14 Uhr, 18 Uhr und 22 Uhr ist es so weit. Dann rührt er sich seine Pulvermischung an, die als Sieger aus seiner Excel-Tabelle hervorging - am Tag 380 Gramm. Seine Mischung ist ein Fertigprodukt aus den Niederlanden namens Joylent.
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