Smart Home: Ein bisschen Glitzer macht Matter noch nicht zum Erfolg

"Ich hätte mir auch ein höheres Tempo gewünscht. Aber es geht jetzt in die richtige Richtung," sagt Christian Thess, Managing Director Bosch Smart Home. Diese Aussage am Ifa-Stand von Bosch fasst stellvertretend das aktuelle Stimmungsbild vieler Hersteller und wohl auch der Kundschaft in Bezug auf Matter (g+) zusammen.
Im Herbst 2022 startete das von Apple, Amazon, Google und Samsung angeschobene Kommunikationsprotokoll, um Einrichtung und Bedienung von Smart-Home-Geräten zu vereinheitlichen. Ob Licht, Heizung, Verschattung oder Raumklima, welche Geräte welcher Hersteller man dafür nimmt und unter welcher Bedienoberfläche man sie bündelt: Mit Matter soll das keine Rolle mehr spielen.
Nach zwei Jahren ist das Ergebnis noch so lückenhaft, fehlen so viele Geräte und Funktionen, dass erste Firmen ihre enttäuschten Erwartungen nicht mehr verbergen. Gleichzeitig scheinen die gröbsten technischen Anlaufschwierigkeiten behoben. Die Verbreitung von Matter-tauglicher Technik nimmt zu. Daher hält die Branche dem Standard weiter die Treue, betrachtet ihn als Hoffnungsträger, die Heimvernetzung für das Massenpublikum verständlich und übersichtlich zu gestalten.
Welche Sehnsüchte Matter weckt
Zunächst nochmal ein kurzer Crashkurs, wozu Matter gedacht ist: Eine zentrale, herstellerübergreifende, lokale Steuerung - diese drei Sehnsüchte von Smart-Home-Fans verspricht Matter zu erfüllen. Als Infrastruktur braucht man nur eine Hardware-Vermittlungszentrale ("Matter-Controller") und eine App des gleichen Herstellers.
Eine solche Kombination bieten derzeit Apple, Amazon, Google, Samsung, Homey und Home Assistant. Eine Art Migrationsfunktion ("Multi-Admin") soll das Teilen von Geräten zwischen zwei und mehr Plattformen erleichtern. Das ist praktisch für hybride Haushalte, die etwa Siri und Alexa parallel nutzen.
Zubehörprodukte wie Lampen, Sensoren, Schalter und mehr lernt man über einen QR-Code an. Eine Verbindung zur Cloud des Zubehörherstellers ist dafür nicht nötig. Das bietet außer besserer Datenhoheit eine gewisse Zukunftssicherheit, falls der Hersteller mal nicht mehr existiert.
Stattdessen koppelt und bedient man die Geräte über eine lokale, IP-basierte Verbindung. Mit dem bewährten Wi-Fi und dem Newcomer Thread funkt Matter direkt. Andere Funkprotokolle wie Zigbee, DECT oder etwas Herstellereigenes "übersetzt" ein (W)LAN-Gateway ("Matter-Bridge") ins Netzwerk. Dadurch hat man beim Übertragungsweg große Freiheit.




Mit zwei Sehnsüchten räumen wir der Einfachheit halber mal schnell auf: Die Migrationsfunktion Multi-Admin funktioniert laut unserer Praxiserfahrungen noch hakelig. Längst nicht alle Geräte werden durchgereicht und wenn doch, dann unkonfiguriert wie bei einer Ersteinrichtung. Das bietet keine Arbeitserleichterung.
Und mit der Cloud-Freiheit ist das so eine Sache. Sprachbefehle, Automatiken und das Nutzermanagement dürfen Matter-Plattformen unverändert an ihre Webserver knüpfen. Streikt die Internetverbindung, führen etwa Amazon Alexa und Google Home unverändert keine sensorbasierten Wenn-Dann-Regeln aus.
Beides ist verkraftbar, wenn man ohnehin nur eine statt mehrerer Plattformen verwendet und wenn diese unabhängig von Matter einen Offline-Betrieb bietet. Das gilt etwa für Apple Home und Home Assistant.
Was bleibt ist die Frage, ob ein Matter-Netzwerk wirklich als zentrale, niederschwellige Instanz taugt, um alle gewünschten Zubehörkombinationen der Smart-Home-Welt zu steuern. Die kurze Antwort lautet "jein", die längere wie folgt.
Es gibt noch wenige Anreize, auf Matter zu setzen
Der Ifa-Rundgang zeigte: Zwei Jahre nach dem Matter-Start kommen von genügend Marken kompatible Produkte (g+) . Aber: Echten Mehrwert bringt das wenigen.
Fleißig Matter-Geräte produzieren bevorzugt Firmen, die Lücken im Plattformsupport schließen wollen. Am häufigsten genannt: Apple Home. Der Freigabeprozess der Homekit-Schnittstelle ist vielen Firmen zu aufwendig. Mit einem Matter-Zertifikat gibt es den Zugang zu Apples Plattform automatisch dazu.
Mit einem Matter-Zwischenstecker will etwa Shelly die "kleine, aber laute Apple-Zielgruppe" ihrer Kundschaft bedienen, heißt es. Die Matter-Version des Plug S Gen3 erscheint wohl bis Jahresende. Auch das Online-Versandhaus Pearl stellte am Rande der Ifa zwei ausdrücklich zu Apple kompatible Matter-Steckdosen vor.
Ebenfalls erstmals oder im größeren Stil mit Apple Home kompatibel sind Govee, Switchbot und TP-Link. Govee zeigte etwa neue Weihnachts- und Gaming-Beleuchtung. Saugroboter, die für Matter vorbereitet sind, brachten Switchbot (K10+ Pro Combo) und TP-Link (RV30 Max) mit.
AVM hatte das durch eine Beta-Firmware um Matter aufgerüstete Zigbee-DECT-Gateway dabei. Es reicht etwa Stecker und Thermostate aus der Fritz-Reihe ohne Bastellösung an Apple durch. Aqara zeigte neue Sensoren und Lampen, die zwar auch Homekit-kompatibel sind, mittels Matter aber nun offiziell Home Assistant unterstützen.
Mit den weitaus populäreren Plattformen wie Amazon Alexa oder Google Home verstehen sich die genannten Marken seit langem. Matter macht ihre Kompatibilitätslisten und die von Samsung Smart Things kaum länger. Die Apple-Kundschaft hat deutlich mehr davon.




Außer einer gewachsenen Markenauswahl profitiert sie davon, mit Matter-Controllern als Thread Border Router die Hersteller-Bridge etwa des am Rande der Ifa gezeigten Thermostats von Tado vollständig ersetzen zu können. Das spart Geld und Platz. Tado akzeptiert dafür momentan nur Apple-Hardware, keine Schaltzentralen anderer Matter-Plattformen. Laut Tado unterstützen etwa Amazon und Google derzeit noch nicht die benötigte IP-Technik NAT64.
Bosch kündigte unter der Produktreihe "+M" ein Heizkörperthermostat, einen Kontaktsensor und Zwischenstecker an, die dank Thread und einem Matter-Controller keine Bosch-Schaltzentrale brauchen. Noch ist unklar, welcher Thread Border Router dafür infrage kommt. Über Apple als erste Wahl wären wir nicht überrascht.
Matter kennt viele Ausnahmen und macht die Planung komplex
Dass immer mehr Geräte kompatibel sind, ist gut. Doch: Viele andere sind es nicht. Selbst aktive Hersteller haben ihre Sortimente erst teilweise umgestellt.
Für die Geräterecherche wühlt man sich durch Hersteller-Webseiten. Ein praxistaugliches Zentralverzeichnis fehlt. Die Liste der für Matter zuständigen Zertifizierungsorganisation Connectivity Standards Alliance (CSA) nennt geprüfte Produkte, nicht, ob sie erhältlich sind. Bislang ist die beste Anlaufstelle www.matter-smarthome.de des Journalisten Frank-Oliver Grün.
Die CSA arbeitet an einer offiziellen Alternative. "Uns ist bewusst, dass eine konsumentenorientierte Lösung wichtig wäre," sagt CSA-President und -CEO Tobin Richardson auf der Ifa. Doch eine schnelle Lösung wird das nicht. Es gibt mit den Matter-Mitstreitern viel Klein-Klein zu klären.
Selbst die Initiatoren Amazon, Apple, Google und Samsung treiben den Standard mit mäßigem Elan voran. Sie setzen die im halbjährlichen Turnus aktualisierten Spezifikationen selektiv und behäbig um.
Verbreitet sind nur mit Matter 1.0 eingeführte Basics wie Lampen, Stecker und Sensoren. Aktuell ist aber die Matter-Version 1.3 vom Mai 2024 , die Vorgaben fürs Energiemanagement hinzufügte. Bisher wurde aber nicht mal Version 1.2 von Oktober 2023 vollständig umgesetzt . Die darin enthaltenen Haushaltsgeräte sind in keiner Bedienoberfläche verfügbar.
Apple hatte für iOS 18 den Support von Saugrobotern angekündigt, aber beim Release am 16. September kein Wort darüber verloren. TP-Link rechnet damit bei Amazon und Google ab Ende Oktober. Bosch machte sich auf der Ifa Hoffnungen, dass nun endlich bald Kühlschränke und Klimaanlagen eine Matter-Heimat finden, zeigte zertifizierte Geräte, auf denen im ersten Quartal 2025 ein Firmware-Update den Standard nachrüstet.




Dass ihre Geräte auf den Plattformen nicht oder ungleich umfangreich unterstützt werden, kommunizieren die Zubehörhersteller abweichend. Bosch Smart Home weist in den Produktinfos darauf hin, dass Unterschiede bestehen können, sieht aber keinen Bedarf für sperrige Vergleichstabellen, betonte Marketingchef Udo Hartmann. Ausführliche Funktionsübersichten, wie sie etwa Eve Systems bietet, sind die Ausnahme. So oder so bleibt die Planung eines Matter-Setups komplex.
Thread auf der Kippe: Praktisch, erklärungsbedürftig, unfertig
Eine weitere Baustelle: Thread. Das Funkprotokoll funktioniert losgelöst von Matter, wird aber von Google und Apple eng damit verknüpft. Bosch, Tado und Aqara kündigten zur Ifa wichtige Systemergänzungen auf Thread-Basis an. Gleichzeitig legen mit Nanoleaf und - der nicht auf der Messe präsenten - Marke Netatmo zwei Thread-Pioniere ihre Produktpläne für diesen Funkstandard auf Eis.
Gehypt wird Thread wegen eines geringen Energieverbrauchs, einer Mesh-Funktion und weil es in verbreiteten Smart Speakern steckt. Wie erwähnt, bauen es Tado und Bosch daher in neue Zubehörprodukte ein. "Die Kundschaft erhält die Wahl, ob sie die Produkte mit einem Matter-System oder mit unserem Controller nutzt," erklärt Christian Thess von Bosch Smart Home. Für das Zusammenspiel mit einer Bosch-Schaltzentrale behalten die "+M"-Neuzugänge einen Zigbee-Chip.
Zweigleisig fährt auch Aqara bei neuen Leuchtmitteln mit Zigbee und Thread. "Thread und Matter sind prima, wenn Grundfunktionen reichen. Mit unserem Zigbee-System sprechen wir Enthusiasten an, denen Extras wichtig sind," sagt Cathy You von Aqara.
Die Nanoleaf-Kundschaft überzeugte Thread nicht. Der Hersteller bringt neue Leuchtmittel vorerst nicht mehr damit, sondern ausschließlich mit Matter-over-Wi-Fi. Annika Beck, Marketing Director EMEA bei Nanoleaf, spricht von einer kommerziellen "Enttäuschung." Man braucht einen Thread Border Router? Welchen denn? Diese Fragen schreckten Kaufinteressierte ab. "Bei Wi-Fi wissen alle - das habe ich," sagte Beck.




Hinzu kommt: die Matter-Controller großer Anbieter vermaschen ihre Netze noch nicht - zum Nachteil von Multi-Admin-User. Nur die Hardware jeweils einer Plattform stopft bisher Funklöcher. Die frisch vorgestellte Thread-Version 1.4 schlägt endlich die Brücke. Aber es dauert, bis das in der Firmware ankommt.
Weil außer Thread auch Matter unfertig ist, zieht sich Netatmo komplett zurück. Die Arbeit am zur Ifa 2022 gezeigten Bewegungs- und Kontaktsensor mit Thread hat der Hersteller eingestellt, will warten, bis beide Standards voranschreiten, erklärte er auf Nachfrage.
Das Ergebnis: Für ein stabiles Matter-Netzwerk mit allen Planungsfreiheiten setzt man vorerst lieber auf Wi-Fi und Bridges.
Matter kommt voran - aber in behäbigem Tempo
Trotz aller Problemzonen: Ein Scheitern des Standards zieht niemand in Betracht. Die Überzeugung der Hersteller, dass es irgendwann schon werden wird, ist ungebrochen. Das Interesse bei Smart-Home-Fans scheint ausreichend geweckt. "Wir glauben an Matter. Die Nachfrage der Kundschaft ist groß," sagt Cathy You, Business Development and Strategy Lead bei Aqara.
Der Feinschliff an den Spezifikationen geht munter weiter. Für das anstehende Oktober-Update 1.4 stellt CSA-Technikchef Christopher Lapré im Ifa-Gespräch neue Geräte und Funktionen für das Energiemanagement in Aussicht, etwa Wärmepumpen und Preisabrufe. Ferner könnten Smart Speaker Statusalarme ausgeben, etwa für das Programmende von Geschirrspülern.
Definitiv nicht fertig wird laut Lapré das lang erwartete Profil für Sicherheitskameras. Die beteiligten Firmen ringen darum, wie sich das Offline-Gebot von Matter mit Cloud-Geschäftsmodellen vereinbaren lässt, munkelt man.
Dass die kommenden Matter-Neuerungen schneller als bisher in der Praxis anwendbar sind, ist unwahrscheinlich. Das ist nicht nur einem behutsamen Vortasten der Hersteller geschuldet, sondern auch dem aufwendigen Zertifizierungsprocedere der CSA. Die Features werden in vielen manuellen Schritten geprüft. Das dauert. Laut Christopher Lapré arbeitet die Organisation an einer stärkeren Automatisierung. Das könnte mehr Tempo bringen.
Eine andere Zertifizierungshürde bleibt dennoch bestehen. Für jedes Update auf eine neue Matter-Version brauchen Hersteller erneut ein Siegel. Das erhöhe die Entwicklungszeit und -kosten deutlich, betont Peter Egglseder, Shellys Technikchef für die DACH-Region. "Matter war einer der Gründe, warum wir mit der dritten Zwischenstecker-Generation so lange gewartet haben."
Inwiefern Shelly die Mehrkosten auf den Verkaufspreis packt, wird noch geprüft. Sollte die Matter-Premiere der Marke gut ankommen, überlege man, weitere Produkte nicht direkt, sondern über eine Bridge Matter-fähig zu machen. Dann braucht nur letztere ein CSA-Zertifikat, nicht alle verknüpften Komponenten. Eine extra Komponente kaufen und aufstellen zu müssen, wäre für die Kundschaft unelegant, würde aber immerhin die Wartezeit auf Matter verkürzen.
Fazit
Namen wie Apple, Amazon und Google überziehen die Vision eines universellen Smart-Home-Standards mit dem schillernden Glitzern der großen Tech-Welt. Die bisherigen Ergebnisse sind ernüchternd. Matter kommt voran, aber nur behäbig und chaotisch. Die Ifa 2024 verdeutlichte das.
Selbst sehr aktive Hersteller schaffen es nur Stück für Stück, ihr Sortiment auf Matter umzustellen. Es bleiben viele Produktausnahmen, die noch nicht Matter-fähig sind. Auf welchem Übertragungsweg man taugliche Komponenten koppelt, welche Schaltzentralen-Infrastruktur man dafür braucht und in welcher der Matter-Apps alles harmoniert, ist erklärungsbedürftig. Das erfordert Kaufinteressierten viel Rechercheaufwand ab.
Die Anreize, sich mit Matter zu beschäftigen, sind noch gering und am ehesten bei Apple Home gegeben. Dort lockt die vergrößerte Auswahl an Anbietern und das platzsparende Ersetzen von Bridges durch einen Thread-fähigen Matter-Controller. Doch Neuerungen wie etwa das Managen smarter Haushaltsgeräte kommen bei dieser Plattform genauso langsam an wie bei den anderen großen Alternativen.
Es gibt keine Anzeichen für ein flotteres Entwicklungstempo - aber auch immerhin keine dafür, dass Stillstand droht. Wer sich jetzt Matter-Technik zulegt, wird noch viel Geduld brauchen, bis der maximal mögliche Nutzen zur Geltung kommt. Der Kauf ist aber auch kein Risiko. Denn auch ohne Matter funktionieren die Produkte so, wie sie es bislang getan haben.



