Smart City: Der Bürger gestaltet mit

Wer nach Einbruch der Dunkelheit durch das Hamburger Hafengelände geht oder mit dem Fahrrad fährt, wundert sich: Die Hohe-Schaar-Straße ist dunkel. Nur dort, wo sich der Fußgänger oder Radler gerade befindet, beleuchtet die Straßenlaterne den Weg, und sie schaltet sich aus, wenn die Person den Lichtkreis verlässt. Dann leuchtet die nächste Leuchtdiode (LED) auf.




Smart Lighting nennt sich diese Straßenbeleuchtung. Sie ist Teil des 2015 begonnenen Projekts Smart Road, das in Europa einzigartig ist und an dem unter anderem der Hardwarehersteller Cisco beteiligt ist. Mit Hilfe von Technik soll die Stadt intelligent und damit effizienter werden. Ziel ist, mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen, wie Bevölkerungswachstum, Verkehrsstau und Umweltverschmutzung, aber auch der Digitalisierung, die die technische Entwicklung in vielen Bereichen beschleunigt und verändert. Aber es geht nicht nur um Technik: Die smarte Stadt bezieht auch ihre Bürger mehr ein als heute.
Sensoren überwachen die Stadt
Neben der intelligenten Beleuchtung gehört dazu auch noch das Verkehrsmanagement auf der Straße sowie die Überwachung der Kattwykbrücke und der Umwelt mit Sensoren. So sind an den Laternenpfählen weitere Sensoren angebracht, die Wetter- und Umweltdaten wie etwa die Luftverschmutzung erfassen. Kameras beobachten den Verkehr. Daten und Bilder laufen in einem Kontrollzentrum zusammen, das bei einer Störung, etwa einem Unfall, schnell Polizei oder Feuerwehr alarmieren kann. Datenschutz gehört dazu: Es werden keine personenbezogenen Daten gesammelt. Eine Software macht Gesichter und Nummernschilder unkenntlich.
Womöglich noch wichtiger - zumindest für die Hafenaufsichtsbehörde, die Hamburg Port Authority(öffnet im neuen Fenster) (HPA) - ist die Ausstattung der Kattwykbrücke(öffnet im neuen Fenster) mit Sensoren. Die Kattwykbrücke ist eine der längsten Hubbrücken Europas und bietet Autos und Zügen einen Übergang über die Süderelbe. Um Schiffen eine Durchfahrt zu gewähren, wird die Fahrbahn um 46 Meter hochgefahren.
Sensoren überwachen eine Brücke
Seit vergangenem Jahr erfassen Sensoren den Zustand der beweglichen Teile. So sollen Schäden erkannt werden, bevor sie die Brücke lahmlegen wie im Jahr 2008: Damals stand die Brücke nach einem Schaden im Lager einer Seiltrommel wochenlang still. Der Schaden betrug mehrere Millionen Euro. Die Sensoren sollen solche Probleme frühzeitig erkennen, so dass ein Teil ausgetauscht werden kann, bevor es zu einem Ausfall kommt.
Smart City nennt sich das, die Stadt soll intelligent werden: weniger Energie, besser fließender Verkehr, weniger Schadstoffemissionen, schnelle Kommunikation. Ziel ist, die Stadt effizienter zu machen - und damit attraktiver für die Bewohner.
Gründe, neue Konzepte für Städte zu entwickeln, gibt es genug.
Es wird voll in den Städten
Seit 2007 lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten(öffnet im neuen Fenster) . Bis 2050 sollen es 80 Prozent sein. Die städtische Bevölkerung wird zudem auch absolut wachsen: Nach Berechnungen der Vereinten Nationen(öffnet im neuen Fenster) leben derzeit etwa 7,3 Milliarden Menschen auf der Erde. Bis zum Jahr 2050 sollen es 9,7 Milliarden sein.
Schließlich werden die Menschen auch immer älter: 901 Millionen Menschen sind heute 60 Jahre und älter. Am ältesten sind die Europäer: Dort ist der Anteil der Senioren doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt, der bei 12 Prozent liegt. Der Anteil wächst um gut 3 Prozent im Jahr. Kinder, die heute geboren werden, haben eine Lebenserwartung von 70 Jahren. Kinder, die zwischen 2045 und 2050 geboren werden, schon eine von 77 Jahren.
Städte verpesten die Luft
Dieser demografische Wandel muss in die Stadtentwicklung ebenso einbezogen werden wie der Zuzug der Menschen vom Land oder aus anderen Kulturkreisen. Auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz ist ein wichtiges Thema: Schon heute machen Städte etwa zwei Prozent der Fläche der Erde aus. Aber sie sind für über 80 Prozent der Kohlenstoffdioxid-Emissionen verantwortlich.
Soll das Ziel, die globale Erwärmung auf zwei Grad einzuschränken, eingehalten werden, dann müssen diese auch verringert werden: durch eine bessere Energieversorgung etwa, durch eine effizientere Steuerung der Verkehrsströme oder durch eine intelligentere Nutzung der Infrastruktur, wie etwa am Beispiel der Smart Road.
Die Stadt versorgt sich selbst
Oder indem Transporte vermieden werden: Statt Salat und Gemüse mit dem Lastwagen vom Erzeuger auf dem Land in die Stadt zu transportieren, soll das Grünzeug gleich vor Ort angebaut werden - globale Transportketten entfallen. Dazu sollen innerstädtische Dachgewächshäuser oder Farmscraper errichtet werden - das sind Gewächshäuser, in denen auf mehreren Ebenen Pflanzen in Nährlösungen und unter LEDs gezogen werden.
Eine Herausforderung ist, dass Stadtentwicklung ein langsamer Prozess ist. Wenn heute etwa ein neues Stadtviertel geplant wird, dann dauert es Jahre, bis es fertig gebaut ist, und dann soll es möglichst Jahrzehnte lang Bestand haben. Dem entgegen steht die Digitalisierung, die praktisch alle Bereiche erfasst und dazu führt, dass Produktzyklen immer kürzer werden.
Das stellt Stadtplaner vor neue Herausforderungen.
Wer bestimmt?
"Diese Beschleunigung der Innovationszyklen ist eine ganz neue Herausforderung, die wir so noch gar nicht sehen, weil die Geschwindigkeit bisher einigermaßen handhabbar war" , sagt Steffen Braun im Gespräch mit Golem.de. Er leitet den Bereich Urban Systems Engineering(öffnet im neuen Fenster) am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation(öffnet im neuen Fenster) (IAO) in Stuttgart. "Wir haben seit wenigen Jahren den Punkt überschritten, wo der technische Fortschritt den Planungshorizont einer Stadt unterschreitet, und das ist eine ganz spannende Aufgabe."
Bei der Entwicklung spielt Technik eine wichtige Rolle - zumindest für den Moment, um Grundlagen für die Stadt von morgen zu schaffen. Dazu gehört auch der Aufbau einer Infrastruktur für die Vernetzung. Allerdings steht die Technik für Fraunhofer-Forscher Braun auch nicht im Vordergrund. "Für mich ist die Technik selbst kaum ein Thema mehr, sondern deren Passfähigkeit in den städtischen Kontext" , sagt er. "Beispielsweise müssen bei heutigen Quartiersentwicklungen neben der technischen Planung und Umsetzung, die vielleicht drei bis zehn Jahre dauert, gleichzeitig für die digitalen Infrastrukturen als neue Grundausstattung die richtigen Anwendungen und Apps entwickeln."
Reutlingen bekommt einen Fitness-Tracker
Dabei setzen auch die Forscher des Fraunhofer IAO Technik ein: Sie haben die Innenstadt von Reutlingen - Smart City ist nicht nur ein Thema für die Metropolen - mit Sensoren ausgestattet(öffnet im neuen Fenster) . Die funktionieren zusammen wie ein "Fitness-Tracker für eine Stadt" , der die unterschiedlichsten Parameter erfasst: Wie ist die Parksituation? Wie laut ist es, wie warm, wie viel Feinstaub ist bei welcher Verkehrslage in der Luft? Über Bluetooth-Scanning werden Bewegungsströme erfasst - anonymisiert wohlgemerkt.
Die Sensordaten werden in einer offenen Plattform zusammelaufen. Darauf sollen unterschiedliche Akteure einer Stadt zugreifen können. Sie sollen neue kommunale Dienstleistungen entwickeln und darüber anbieten. "Das ist eine Art von Inkubator, der nach neuen Lösungen sucht, wie die Stadt die großen Ziele der Nachhaltigkeit, Ressourcen-Effizienz oder Lebensqualität erreichen kann" , erklärt Braun.
Die Bürger sollen mitgestalten
Die nötigen Entscheidungen sollen aber nicht mehr, wie bisher, in den Büros der Stadtverwaltung getroffen werden. In der Smart City sollen die Bürger stärker als bisher miteinbezogen werden - und zwar von Anfang an. So sollen sie bei der Gestaltung etwa eines neuen Stadtteils mitmachen. In Hamburg halfen die Bürger beispielsweise in einem Projekt der Hafencity-Universität, neue Flüchtlingsunterkünfte zu planen - und erstaunten dabei die Behördenvertreter mit ihrem Einfallsreichtum.
"Smart City ist die Stadt, die es verstanden hat, das kreative Potenzial von allen zu nutzen oder sie zu stimulieren, sich als Mitgestalter zu verstehen, und sie hat die Themen, die mich und die nächste Generation betreffen, im Fokus" , resümiert Fraunhofer-Forscher Braun. "Enkelgerecht ist ein schönes Stichwort. Die 'echte' Smart City ist enkelgerecht: In ihr steht nicht die Technik im Vordergrund, sondern die Menschen, die Bürger, die dort leben in zehn, zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren."



