Schifffahrt: Warum Atomschiffe wiederkommen könnten

Vor 60 Jahren, im Juni 1964, lief in Kiel das atomgetriebene Schiff Otto Hahn vom Stapel. Es sollte der Start in eine neue Ära in der zivilen Schifffahrt werden. Doch die endete nach wenigen Jahren sang- und klanglos. Der Atomantrieb blieb weitgehend den Kriegsmarinen vorbehalten.
Kürzlich überraschte Rolf Habben Jansen, Chef der deutschen Reederei Hapag-Lloyd in einem Interview des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (Paywall)(öffnet im neuen Fenster) mit der Aussage, dass das Unternehmen - immerhin eine der größten Containerreedereien der Welt - darüber nachdenke, Schiffe mit Atomantrieb in Dienst zu stellen.
"Nuklearenergie kann im gesamten künftigen Energiemix für die Containerschifffahrt möglicherweise eine Rolle spielen" , sagte Hapag-Lloyd-Sprecher Niels Haupt auf Nachfrage von Golem.de.
Die Hamburger Reederei ist nicht die einzige, die so etwas plant. Der Anstoß kommt aus Asien: Dort hatten sich mehrere Reedereien mit der Klassifikationsgesellschaft Korean Register of Shipping und dem staatlichen Forschungslabor Korea Atomic Energy Research Institute darauf verständigt, zu erforschen, ob sich kleine, modulare Atomreaktoren als Antrieb für Schiffe eignen.
Die staatliche chinesische Werft China State Shipbuilding Corporation (CSSC) stellte Ende vergangenen Jahres Pläne für ein atomgetriebenes Containerschiff mit einer Kapazität für 24.000 Standardcontainer (Twenty-foot Equivalent Unit, TEU) vor. Das entspricht etwa der Kapazität der derzeit größten Containerfrachter, den Ultra Large Container Ships (ULCS).
Auch in Europa wird darüber nachgedacht. Der norwegische Schifffahrtskonzern Ulstein stellte im Jahr 2022 das Konzept für das Atomschiff Thor vor. Das knapp 150 Meter lange Mehrzweckschiff soll unter anderem als Versorger für Kreuzfahrtschiffe sowie für Forschungs- und Rettungseinsätze eingesetzt werden.
Zum Einsatz soll ein Flüssigsalzreaktor (Molten Salt Reactor, MSR) kommen. Bei dem Reaktortyp ist ein Gemisch aus flüssigem Salz und Thorium gleichzeitig Kühlmittel und Reaktorbrennstoff. Ein solcher MSR kann nicht wie ein Druck- oder Siedewasserreaktor explodieren. In der Erdkruste ist Thorium doppelt bis dreimal so häufig wie Uran und wird unter anderem in Norwegen abgebaut. Die größten bekannten Thorium-Vorkommen gibt es in Indien, Brasilien, Australien und den USA.
Als Kühlmittel wird ein flüssiges Salz genutzt. Zudem kann auf einige Baukomponenten verzichtet werden, die ein mit Wasser gekühlter Reaktor benötigt. Dadurch wird der Reaktor kompakter. Schließlich soll ein MSR weniger strahlenden Abfall produzieren, da das Salz nach der Verwendung zu neuem Brennstoff aufbereitet werden kann. Die Rückstände haben deutlich kürzere Halbwertszeiten als Uran, werden also schneller abgebaut. Die Reaktoren werden in einer Fabrik gebaut und vor Ort montiert. Zudem sind sie modular aufgebaut und skalierbar.
Solche Reaktoren sollen der Atomkraft zu einer Renaissance verhelfen. In den USA setzt das von Bill Gates gegründete Unternehmen Terrapower auf diese Technik. Dessen erstes Kraftwerk soll im Jahr 2030 ans Netz gehen.
Der Grund für das Interesse an Atomkraft sind die Schadstoffemissionen der Schiffe.
Schifffahrt soll sauberer werden
Etwa 90 Prozent des Welthandels werden auf dem Seeweg abgewickelt. Der Schiffsverkehr macht rund 2,6 Prozent der Kohlendioxidemissionen aus. Hinzu kommen weitere Schadstoffe, die Schiffe ausstoßen, darunter Schwefeloxide, Stickoxide, Rußpartikel und Feinstaub. Bis 2050 müssen sie klimaneutral sein.
Im ersten Schritt fahren die Schiffe langsamer: Ende der Nullerjahre fuhren die großen Containerfrachter noch mit 25 Knoten, etwa 46 km/h, über die Weltmeere. Heute sind es zwei bis drei Knoten weniger. "Schon drei Knoten weniger sorgen für 20 Prozent weniger Ausstoß!" , sagte Habben Jansen dem Spiegel. Grund, die Geschwindigkeit zu reduzieren, dürfte aber weniger das Umweltbewusstsein der Reedereien sein, sondern die gestiegenen Treibstoffkosten.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten (g+) , wie weniger Emission zu erreichen ist - durch Verwendung von Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG), Ammoniak oder synthetische Kraftstoffe .
Erforscht werden auch Möglichkeiten, wieder den Wind als Antrieb zu nutzen . Hapag-Lloyd will Containerfrachter mit Segeln bauen .
Geringere "Kosten, kein aufwendiges Bunkern mehr an den Häfen der Welt, null CO2-Emissionen, geringe notwendige Raumkapazität auf dem Schiff, Betrieb eines Nuklearbehälters über circa zwei Jahrzehnte" , zählt Haupt mögliche Vorteile eines Nuklearantriebs gegenüber alternativen Treibstoffen wie Ammoniak auf.
Ein weiterer Vorteil wäre, dass Schiffe mit einem Atomantrieb wieder schneller fahren könnten. Das würde die Fahrzeiten verkürzen und den Reedereien ein wirtschaftliches Plus bringen.
Robert McDonald, leitender Ingenieur an der norwegischen Kernforschungseinrichtung Institute for Energy Technology (IFE), sieht einen weiteren Benefit: "Derzeit ist jede Reise, jede Aufgabe vom Treibstoff abhängig; man hat ein begrenztes Zeitfenster, das man einhalten muss" , sagte er dem von dem Schweizer Technikkonzern ABB herausgegebenen Online-Magazin Destination Zukunft(öffnet im neuen Fenster) . "Wenn man jedoch so gut wie nie tanken oder Wartungsarbeiten durchführen muss - und Reaktoranlagen haben wesentlich weniger bewegliche Teile und erfordern sehr wenig Wartung -, dann kann man die Energiebeschränkungen im Grunde ganz vergessen und einfach loslegen." Das könnte den Seeverkehrsbetrieb entscheiden ändern.
Schon heute sind eine Menge atombetriebener Schiffe auf den Weltmeeren unterwegs.
Atomschiffe sind nicht neu
Nach Angaben der Lobbyorganisation World Nuclear Association (WNA)(öffnet im neuen Fenster) fahren rund 160 atomar angetriebene Schiffe über die Weltmeere. Der überwiegende Teil ist militärisch.
Das erste Atomschiff war das U-Boot USS Nautilus, das 1954 in Dienst gestellt wurde und 1958 unter dem Nordpol hindurch tauchte. U-Boote machen auch heute noch den größten Teil der atomar angetriebenen Wasserfahrzeuge aus. Die US-Marine setzt ausschließlich solche U-Boote ein. Das gilt ebenso für die US-Flugzeugträger.
Neben den USA betreiben Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Indien militärische Atomschiffe. Australien will Atom-U-Boote von den USA kaufen.
Zivile Atomschiffe hingegen gibt es nur wenige. Die einzigen, die sich derzeit im Einsatz befinden, sind sieben russische Eisbrecher. Aktuell ist es die LK-60Ja-Klasse(öffnet im neuen Fenster) , von der bereits vier Schiffe im Einsatz sind. Ein weiteres soll noch in diesem Jahr folgen. Geplant sind drei weitere sowie eine neue, noch größere Klasse.
Handelsschiffe gab es insgesamt fünf, darunter die Otto Hahn, die über einen Druckwasserreaktor verfügte.
Das Schiff wurde 1968 in Dienst gestellt und war zunächst als Forschungsschiff im Auftrag der Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS) in Geesthacht - heute das Helmholtz-Zentrum Hereon - unterwegs. 1977 übergab die GKSS das Schiff an die Hamburger Reederei Hapag Lloyd zur Bereederung und Befrachtung.
Weitere atombetriebene Frachtschiffe wurden in den USA, in Japan und in der damaligen Sowjetunion gebaut. Der letzte Atomfrachter, die eisgehende Sevmorput (Sowjetunion/Russland), wurde 1988 in Dienst gestellt. 2007 wurde das Schiff stillgelegt und 2016 reaktiviert. In diesem Jahr soll es außer Dienst gestellt werden.
Erfolgreich waren sie meist nicht.
Atomschiffe dürfen nicht jeden Hafen anlaufen
Die japanische Mutsu fuhr nie mit Fracht und wurde später zu einem Dieselschiff umgebaut. 1974 wurde beim Hochfahren des Reaktors eine Fehlkonstruktion festgestellt. Nach deren Behebung fand man weitere Mängel. 1995 wurde sie mit einem Dieselantrieb ausgestattet. Der US-Tanker American Explorer wurde schon während des Baus auf konventionellen Antrieb umgestellt.
Auch die Otto Hahn wurde umgerüstet. Zwei Jahre nach der Übernahme ließ Hapag-Lloyd den Atomantrieb ausbauen. Bis 1982 fuhr das dann dieselbetriebene Schiff noch für die Hamburger Reederei. Anschließend wurde es mehrfach verkauft und schließlich 2009 zum Abwracken gebracht.
Dass die Otto Hahn kein Erfolg war, lag vor allem am beschränkten Aktionsradius. "Wegen des nuklearen Antriebs durfte sie damals zahlreiche ausländische Häfen nicht anlaufen" , sagt Hapag-Lloyd-Sprecher Haupt. Eigentlich sollte das Schiff Erz aus Norwegen transportieren. Daraus wurde aber nichts, weil es keine Anlaufgenehmigung erhielt.
Das könnte auch heute noch passieren. Wie das Branchenmagazin The Maritime Executive(öffnet im neuen Fenster) berichtet, verbieten viele Hafenstädte Schiffen mit Atomantrieb das Einlaufen. Die Durchfahrt durch den Suezkanal, die für die Schiffsrouten von Asien nach Europa essenziell ist, erlauben die ägyptischen Behörden in Ausnahmefällen.
Ähnlich ist es beim Panamakanal, durch den die lange und gefährliche Umrundung des Kap Hoorn auf dem Weg zwischen Atlantik und Pazifik vermieden werden kann. Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb Russland eine Flotte atomarer Eisbrecher betreibt: Die sollen den Seeweg im Norden, die Nordostpassage von Europa nach Asien befahrbar machen.
Jan Tiedemann vom Branchendienst Alphaliner glaubt nicht, dass ein Durchfahrtverbot durch die beiden Kanäle eine Auswirkung hätte. "Das sollte die Reeder aber nicht hindern, ihre Pläne umzusetzen" , sagte er dem Hamburger Abendblatt(öffnet im neuen Fenster) . "Die Schiffe müssten dann zwar außen herumfahren. Der Zeitverlust wäre aber zu verschmerzen, da atombetriebene Schiffe sehr viel schneller fahren können."
So bald dürfte das ohnehin nicht der Fall sein. Bei Hapag-Lloyd sei man im "Stadium des 'darüber sollten wir mal grundsätzlich nachdenken'" , sagt Haupt. "Es gibt unsererseits für dieses Jahrzehnt keine Pläne, uns damit intensiver zu beschäftigen."



