Schaltsekunde im Sommer: Frankfurt kontrolliert die Erdrotation
Frankfurt als Nabel der Welt: Ein Institut, das kaum einer kennt, überwacht von hier aus die Drehung der Erdkugel. 2015 beeinflussen die Mitarbeiter von der Villa Mumm aus sogar die Zeit.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: eine klassizistische Villa mit Marmorsäulen, Deckenfresken und Kronleuchtern - und in all dieser Pracht stehen Großrechner, hängen Bildschirme mit Grafiken und Zahlenkolonnen an der Wand, stehen Geräte auf dem Dach, die mit Satelliten im All kommunizieren.
Als die Familie Mumm von Schwarzenstein 1903 in die 70-Zimmer-Villa zog, hätte sich die Champagner-Dynastie wohl kaum träumen lassen, dass 100 Jahre später von hier aus die Drehung der Erde überwacht wird. In der Villa Mumm sitzt der International Earth Rotation and Reference Systems Service, kurz IERS. Das Zentralbüro für die Erdrotationsüberwachung ist seit dem Jahr 2000 Untermieter beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG).
200 Mitarbeiter kümmern sich beim BKG um Geodaten für Navigationssysteme oder Landkarten. Dazu kommen 70 Kollegen in Leipzig und 25 im Observatorium Wettzell im Bayerischen Wald. Nur drei Wissenschaftler und zwei Ingenieure arbeiten für den Erdrotationsdienst IERS, der von den internationalen Organisationen für Geodäsie (Vermessungswesen) und Astronomie (Sternenkunde) gemeinsam betrieben wird.
Satelliten geben Daten weiter
Ins Weltall schauen und auf der Erde messen - das ist im Kern, was IERS-Direktorin Daniela Thaller (37) und ihr Team tun. Sie werten die Signale aus, die 25 Beobachtungsstationen in Deutschland von den Satelliten im All empfangen, fügen sie mit internationalen Daten zusammen und ziehen daraus Rückschlüsse über die Bewegung der Erde.
Die Erdkugel rotiert nämlich nicht völlig gleichmäßig um ihre Achse. Sie wird nicht nur immer langsamer, erklärt Thaller, sie schwingt auch und eiert. Ausgelöst wird das zum Beispiel durch die Anziehungskraft des Mondes oder durch Hoch- und Tiefdruckgebiete beim Wetter. Dadurch braucht die Erde nicht immer exakt 24 Stunden, um sich einmal um sich selbst zu drehen.
Durch diese Abweichung driften zwei Zeiten immer mehr auseinander: Die immer gleich schnell tickende Zeit der Atomuhren und die am Stand der Sonne gemessene astronomische Zeit. Alle paar Jahre muss das wieder in Übereinstimmung gebracht werden. "Sonst würde in ein paar Millionen Jahren die Sonne nicht mehr morgens, sondern mittags aufgehen", erklärt Thaller. Daher wird alle paar Jahre der Tag um eine sogenannte Schaltsekunde verlängert.
Schaltsekunde in der Nacht zum 1. Juli 2015
Festgelegt wird das von der Pariser Sternwarte, aber wann eine solche Schaltsekunde nötig ist - dazu leistet das IERS in Frankfurt einen entscheidenden Beitrag. 2015 ist wieder ein solches Jahr: In der Nacht zum 1. Juli wird die Zeit von 01:59:59 bis 02:00:00 Uhr deutscher Zeit zwei Sekunden dauern.
Wie das IERS-Team die Rotation misst, ist für Laien kaum verständlich. Zu sehen ist ohnehin nichts außer Computern. Im Prinzip, erklärt Thaller, richte man zwei Teleskope auf den selben Punkt im All, dann sehe man anhand der empfangenen Radiosignale, wie schnell sich die Erde darunter weggedreht hat.
Die Büros der IERS-Mitarbeiter sind nicht so spektakulär wie das vom Präsidenten des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie. Wäre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland Frankfurt Hauptstadt geworden, dann säße in der Bibliothek heute ein anderer Präsident: Die Villa Mumm wäre Sitz des Bundespräsidenten geworden. Doch nun wird hier die Zeit zurechtgerückt.
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Ich finde den Artikel sehr interessant. Von mir aus auch gerne mehr davon und weniger...
In anderen Darstellungen als in der Wiki kann man den Fall der Zeitdilatation besser...
muss ich da jetzt schaltsekunden mit berechnen, wenn ichs genau haben will? Sind im...
Tja, und hier wird die Erdrotation "überprüft" und dann davon abhängig eine "AKTION...
Oder wie das Schild 'Amt für Mondfragen' an der Baracke auf dem Mond, dessentwegen ein...