Satellitenabschuss: Russische Provokation gefährdet ISS und Satelliten

Am 15. November hat Russland bei einem kurz zuvor angekündigten Raketenstart einen Satelliten abgeschossen. Es wird geschätzt, dass bei der Zerstörung des 1.750 kg schweren Satelliten rund 1.500 größere Trümmerstücke entstanden, deren genaue Orbits derzeit noch unbekannt sind. Die Region möglicher Trümmerstücke passierte auch den Orbit der Internationalen Raumstation ISS und löste dort eine Notfallevakuierung aus.
Bei dem abgeschossenen Satelliten handelte es sich um einen alten sowjetischen Spionagesatelliten vom Typ Tselina-D. Er wurde 1982 mit der Bezeichnung Cosmos 1408 gestartet und war seit Jahrzehnten außer Funktion. Zuletzt befand er sich noch in einem 465 bis 490 km hohen Orbit. Der letzte Satellitenabschuss fand 2019 durch Indien statt, wie auch Golem berichtet .
Die amerikanische Firma für Luft- und Weltraumbeobachtung Numerica war in der Lage, erste Bilder vom Flug der Trümmerstücke im Orbit zu machen.(öffnet im neuen Fenster) Es ist die vierte Demonstration des gezielten Abschusses eines Satelliten mit einem Waffensystem, nachdem China, die USA und zuletzt Indien ebenso Satelliten des eigenen Landes abgeschossen hatten.
"Unfassbar verantwortungslos"
Die Abfangrakete wurde von dem militärisch genutzten Plesetsk-Kosmodrom aus gestartet. Dabei wurde ordnungsgemäß der Start einer Rakete angemeldet,(öffnet im neuen Fenster) um vor der möglichen Gefährdung der Luft- und Seefahrt durch herabfallende Raketenstufen und Trümmer zu warnen. Die Raumfahrt wurde nicht gewarnt, obwohl den Verantwortlichen die Gefährdung der ISS-Besatzung bewusst gewesen sein muss.
Der deutsche Raumfahrtkoordinator Thomas Jarzombek sagte zu dem Vorgang gegenüber Golem.de: "Das ist unfassbar verantwortungslos und macht die friedliche Nutzung des Weltraums viel, viel schwerer. Dass Russland dabei auch das Leben der eigenen Kosmonauten aufs Spiel setzt, zeigt den Zynismus dieser Aktion."
Trümmer gefährden auch Starlink
Wie die Nasa berichtet,(öffnet im neuen Fenster) mussten sich alle Personen an Bord der Raumstation zunächst in den angedockten Raumschiffen aufhalten. Anschließend wurden sie aufgefordert, die Schotten zu den äußeren Modulen der Station zu schließen, damit im Fall eines Treffers nicht die gesamte Luft der Raumstation verloren geht. Die zentralen Module und der Durchgang zwischen dem russischen und amerikanischen Teil der Station blieben offen.
Da ein Teil der Trümmer auch immer in Orbits mit größerem maximalen Erdabstand gelangt, sind auch viele kommerzielle Satelliten in sonnensynchronen Orbits in 550 bis 600 km Höhe potenziell gefährdet. Darunter sind viele Erdbeobachtungssatelliten wie etwa die der Firma Planet sowie die Starlink-Konstellation. Wegen der relativ großen Höhe des russischen Satelliten vor dem Abschuss wird ein großer Teil der Trümmer noch über Jahre im Orbit verbleiben und die letzten erst in Jahrzehnten in der Atmosphäre verglühen.
Politische Spannungen und Gefährdung von Erdorbits
Der Abschuss fand vor dem Hintergrund außenpolitischer Spannungen zwischen Russland und den EU-Staaten statt. Bei einem zeitgleich stattfindenden Treffen der Außenminister von Deutschland, Frankreich und der Ukraine gaben diese eine Erklärung ab,(öffnet im neuen Fenster) , laut der sie russische Truppenbewegungen als eine Gefährdung der ukrainischen Souveränität sehen und im Fall von deren Verletzung schwerwiegende Folgen androhen.
Das Außenministerium der USA verurteilte den Abschuss als unverantwortlich(öffnet im neuen Fenster) und die russische Ablehnung von Waffen im Weltall als heuchlerisch. Die USA demonstrierten erstmals im Jahr 2008 den Abschuss eines defekten Satelliten mit der Begründung, eine Gefährdung der Bevölkerung durch den Treibstoff an Bord des bald abstürzenden Satelliten zu vermeiden.
Die russische Weltraumagentur Roskosmos(öffnet im neuen Fenster) äußerte sich nicht zum Abschuss des Satelliten, hob aber die jahrzehntelange gute Zusammenarbeit mit internationalen Partnern hervor und betonte, dass nur die gemeinsamen Anstrengungen aller Weltraummächte eine sichere Koexistenz im Weltall sichern könnten. Das russische automatische Warnsystem ASPOS OKP werde die Situation weiter beobachten, um Gefährdungen der Raumstation und der Crew auszuschließen.
Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass(öffnet im neuen Fenster) soll sich am 16. November der Generaldirektor von Roscosmos, Dmitry Rogozin, mit Nasa-Vertretern getroffen haben, um die Situation des Weltraummülls zu diskutieren. Das Treffen sei schon zuvor geplant gewesen, werde nun aber verlängert.
Sowjetische Antisatellitenwaffen wurden schon 1960 entwickelt
Das für den Abschuss wahrscheinlich verwendete Nudol-Antisatellitensystem(öffnet im neuen Fenster) absolvierte vor 6 Jahren erstmals einen erfolgreichen Testflug. Das Prinzip ist im Grunde einfach: Eine Rakete wird gestartet und die oberste Raketenstufe zur Kollision mit dem Satelliten gebracht. Für einen Abschuss muss die Rakete keinen Orbit erreichen, sondern nur die notwendige Flughöhe. Die hohe Kollisionsgeschwindigkeit garantiert die vollständige Zerstörung des Satelliten. Die Steuerung mit Hilfe eines Radars und schnell agierender Raketendüsen muss aber sehr präzise sein.
Satelliten werden seit dem Vietnamkrieg zur Aufklärung und Kommunikation vom Militär benutzt und stellen damit militärische Ziele in der Kriegsführung dar. Die Sowjetunion arbeitete deshalb bereits seit 1960 an einem "Istrebitel Sputnikov", einem Satellitenzerstörer, und soll schon 1968 erstmals einen Satelliten im Orbit zerstört haben, wie Anatoly Zak, Experte für russische Raumfahrt, für Popular Mechanics(öffnet im neuen Fenster) berichtet.
Weitere Tests fanden 1983 geographisch über Bayern statt,(öffnet im neuen Fenster) wurden aber nach heftigen Protesten und Diskussionen über Weltraumkriegsführung(öffnet im neuen Fenster) wegen der Eskalationsgefahr im Kalten Krieg wieder eingestellt.
Die verbleibenden Trümmer beim Abschuss von Satelliten stellen eine Gefährdung aller Aktivitäten außerhalb sehr niedriger Erdorbits dar, in denen Trümmer durch die Luftreibung in kurzer Zeit abstürzen. Im Allgemeinen wird angenommen, dass Satelliten und Trümmer oberhalb von 600 km Flughöhe mehr als 25 Jahre im Orbit verbleiben.
Die Raumfahrt wird bereits durch die Trümmer der zunehmenden Zahl von demonstrierten Satellitenabschüssen gefährdet. Es ist anzunehmen, dass eine offene Kriegsführung im Weltall die Orbits oberhalb von etwa 350-400 km über längere Zeit schwer benutzbar machen würde.



