Rohstoffabbau in Südamerika: Der Schatz im Lithiumsee

Vor gut 100 Jahren brachte die Erfindung zweier deutscher Chemiker einen blühenden Wirtschaftszweig im Norden Chiles praktisch über Nacht zum Erliegen. Das Haber-Bosch-Verfahren(öffnet im neuen Fenster) machte die dortige Salpeterproduktion überflüssig, wovon noch heute verlassene Geisterstädte zeugen(öffnet im neuen Fenster) . Der Boom der Elektromobilität macht die Wüstenregion im Länderdreieck Chile, Bolivien und Argentinien aber wieder zu einem wichtigen Rohstofflieferanten.
Doch aus politischen - weniger technischen oder ökologischen - Gründen droht vor allem die Produktion in Bolivien ausgebremst zu werden. Und damit auch der Hochlauf der E-Mobilität, wie zuletzt eine Studie der Deutschen Rohstoffagentur konstatierte .
Die Situation in Bolivien erscheint paradox: Das Land verfügt mit 21 Millionen Tonnen zwar über die weltweit größten Vorräte an Lithium, hat es jedoch in den vergangenen Jahren nicht geschafft, trotz Investitionen in Höhe von rund 900 Millionen US-Dollar eine Produktion im industriellen Maßstab aufzubauen. Dabei könnte das Land mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen Südamerikas(öffnet im neuen Fenster) die Einnahmen gut gebrauchen. Doch politische Streitigkeiten um die Verteilung der möglichen Gewinne und hohe Auflagen für ausländische Firmen könnten sogar verhindern, dass noch in diesem Jahrzehnt ein nennenswerter Abbau erfolgt.
Dabei gibt es schon seit mehr als zehn Jahren Bestrebungen, die Vorkommen im Salzsee (Salar) von Uyuni speziell für die Produktion von Autobatterien zu nutzen. Mit daran beteiligt war Micha Zauner, der damals an der TU Bergakademie Freiberg Mineralogie und Geologie studierte. In einem Projekt unter der Leitung des inzwischen emeritierten Chemieprofessors Wolfgang Voigt entwickelte die TU von 2009 an ein Konzept, das eine eher handwerkliche Gewinnung des Lithiumsalzes mit Hilfe von Verdunstungskegeln vorsah.
Zwei deutsche Projekte machten sich Hoffnungen
"Ziel war, dass die komplette Materialbeschaffung in Bolivien stattfindet, über dort verfügbare Ressourcen, die man im Elektro- oder Metallhandel kaufen kann, zu einem Maximalpreis von 100 US-Dollar für einen Kegel" , erläutert Zauner im Gespräch mit Golem.de. Die Sole sollte auf die Spitze des Kegels gepumpt werden, daran hinunterlaufen und nach der Verdunstung weiter verarbeitet werden. "Wir sind überzeugt" , sagte Voigt damals dem Spiegel(öffnet im neuen Fenster) , "dass wir uns durchsetzen werden."
Dazu sollte es nicht kommen. Stattdessen machte sich zwischenzeitlich ein Unternehmen aus Deutschland Hoffnungen, die Lithiumgewinnung in Bolivien zu forcieren. Im Jahr 2018 unterzeichneten ACI Systems(öffnet im neuen Fenster) aus dem baden-württembergischen Zimmern o.R. und das bolivianische Staatsunternehmen Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB)(öffnet im neuen Fenster) dazu schon einen Kooperationsvertrag. Doch die politischen Unruhen nach der gescheiterten Wiederwahl des damaligen Staatspräsidenten Evo Morales brachten das Projekt zum Erliegen. Morales' Nachfolger Luis Arce schrieb die Pilotprojekte zur Lithiumgewinnung im Juli 2021 komplett neu aus .
Aus europäischer Perspektive erscheinen die jahrelangen Verzögerungen wenig nachvollziehbar. Doch in den Überlegungen bolivianischer Politiker spielt die Frage, ob im weit entfernten Norden möglicherweise weniger Elektroautos als geplant auf den Markt kommen können, eine untergeordnete Rolle. Ihnen geht es vor allem darum, die traditionellen Muster bei der Rohstoffgewinnung in ihrem Land zu durchbrechen. Schon seit der spanischen Kolonialzeit gingen die Gewinne aus dem Abbau von Metallen wie Silber aus den Minen von Potosí(öffnet im neuen Fenster) und Zinn aus der Region Oruro(öffnet im neuen Fenster) vor allem ins Ausland, während die indigene Bevölkerung ausgebeutet wurde.
Würde die Regierung den Eindruck erwecken, dass vom Lithium-Boom vor allem ausländische Konzerne profitieren, könnte das zu starken Protesten in der Bevölkerung führen. Hinzu kommt ein weiteres nationales Trauma: Im sogenannten Salpeterkrieg gegen Chile(öffnet im neuen Fenster) hat Bolivien nicht nur den Zugriff auf die Guano-Vorkommen verloren, die damals eine wichtige Rolle bei der Düngemittel- und Sprengstoffproduktion spielten, sondern auch den Zugang zum Meer.

















Ebenfalls spielen ökologische Aspekte inzwischen eine größere Rolle. Umweltschützer befürchten, dass durch das Abpumpen der Sole der Grundwasserspiegel sinkt. Auf der anderen Seite brauchen die Bolivianer das externe Kapital und Know-how, um überhaupt das Lithium gewinnen und exportieren zu können.
Einen Ausweg scheint die Regierung durch ein neuartiges Verfahren gefunden zu haben, die sogenannte Direkte Lithium-Extraktion (DLE)(öffnet im neuen Fenster) .
Keine riesigen Verdunstungsbecken erforderlich
Im Gegensatz zum bislang üblichen Verfahren, bei dem die Salzlauge in riesigen Becken verdunstet, soll die DLE weniger Frischwasser verbrauchen und einen deutlich geringeren Eingriff in die Natur darstellen.
Anstatt der großen Eindampfungsbecken benötige man nur noch Bohrlöcher, erläutert Zauner. "In einem Bohrloch extrahiert man, das ist das Produktionsbohrloch, da wird die Salzsole abgepumpt" , sagt der Geologe. In der eigentlichen Anlage gebe es dann verschiedene Aufbereitungsschritte: "Über verschiedene Ionentauscher wird dort das Lithium extrahiert, und die restliche Flüssigkeit wird in einem Injektionsbohrloch an anderer Stelle wieder in den Leiter injiziert. Aber einfach nur abgereichert um das Wertelement Lithium." Dieses Verfahren werde gerade im großen Maßstab getestet. "Es gibt schon Pilotversuche. Wenn das funktioniert, dann ist der Eingriff nicht mehr so groß, weil man nur noch eine endliche Anzahl von Bohrungen hat und keine großen Becken mehr," sagt Zauner.
Die meisten Bewerber kommen aus China
Für Bolivien hat das Verfahren noch einen weiteren Vorteil. Im Gegensatz zur chilenischen Atacama-Wüste gibt es am Salar von Uyuni durchaus Regenfälle. Diese können den Verdunstungsprozess verzögern. Es ist daher nachvollziehbar, dass die bolivianische Regierung nur solche Bewerber zum Bieterverfahren zulassen wollte, die die DLE beherrschen.
Von den sechs zugelassenen Firmen (öffnet im neuen Fenster) stammen vier aus China: CATL, Citic Guaong/Crigg, Xinjiang TBEA und Fusion Enertech. Hinzu kommen noch Lilac Solutions aus den USA und Uranium One aus Russland, eine Tochterfirma von Rosatom. Obwohl die Entscheidung eigentlich im Juli 2022 fallen sollte, verlängerte die Regierung das Verfahren überraschend um ein halbes Jahr bis Dezember.
Die Hintergründe sind unklar. Anfang September kündigte Präsident Arce zumindest an(öffnet im neuen Fenster) , die entsprechenden Verträge "in einigen Monaten" zu unterzeichnen.
Doch wie lange wird es dauern, bis Bolivien tatsächlich Lithium in größerem Maßstab produzieren wird?
Jahrelange Vorlaufzeiten für Lithiumproduktion erforderlich
Angesichts der Tatsache, dass die direkte Lithium-Extraktion bislang noch nicht in großem Maßstab eingesetzt wird und solche Projekte einen langen Vorlauf benötigen, rechnen Marktbeobachter von Fastmarkets und Bloomberg NEF(öffnet im neuen Fenster) nicht vor dem Jahr 2032 mit einer nennenswerten Produktion.
Darüber hinaus zweifeln Experten an, dass sämtliche sechs Bewerber tatsächlich Erfahrung mit der DLE vorweisen können. So sagte Juan Carlos Zuleta(öffnet im neuen Fenster) , zwischenzeitlich CEO von YLB, dem Wirtschaftsdienst Bloomberg, dass im Grunde nur Lilac Solutions aus den USA die Anforderungen erfülle. Die anderen Bewerber könnten weder die entsprechenden Erfahrungen nachweisen, noch verfügten sie über die Technik, um sie sofort einsetzen zu können.
Nach Ansicht Zuletas hat die bolivianische Regierung aus Naivität oder aus politischen Gründen geglaubt, die DLE sei eine Art Zauberstab, die die industrielle Produktion von Lithiumcarbonat (öffnet im neuen Fenster) über Nacht ermöglichen könne.
Unattraktive Konditionen
Darüber hinaus waren die Anforderungen für die Anbieter alles andere als attraktiv. So sind mit dem Zuschlag für das Pilotprojekt keinerlei Abbaulizenzen verbunden. Zudem müssen sich die Firmen verpflichten, ihre Versuchsergebnisse mit YLB zu teilen. Ebenfalls mussten sie für die Bewerbung die Details der von ihnen entwickelten Verfahren offenlegen. Die bolivianische Regierung will offenbar die vollständige Kontrolle über den Lithium-Abbau behalten.
Das sind keine besonders guten Konditionen, um mehrere hundert Millionen Euro in ein solches Projekt zu investieren. Denn mit solchen Ausgaben können auch Lieferverpflichtungen für Batterie- oder Autohersteller verbunden sein. Fallen dann die Lieferungen aus, kann das durch den Ausfall der Autoproduktion einen hohen Schaden bedeuten.
Die Tatsache, dass sich dennoch gleich vier chinesische Firmen um den Auftrag beworben haben, macht deutlich, welche strategische Bedeutung China den Lithium-Vorkommen in Bolivien beimisst. Zudem zeigen die chinesischen Investitionen in Afrika und Südamerika, wie schnell solche Projekte umgesetzt werden können. Diese Einschätzung teilt auch Zauner. "Wenn die Rahmenbedingungen da sind, kann es sehr schnell gehen" , sagt der Geologe.
So seien die dortigen Lagerstätten bereits gut erkundet und es seien dort viele Versuche gemacht worden. Die Voraussetzung sei, "dass niemand querschießt und keine politische Änderung stattfindet." Technisch sei es machbar, eine solche Anlage in weniger als zwei Jahren hochzufahren, sagte Zauner und fügte hinzu: "Aber realistisch ist es natürlich nicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass alles stabil bleibt und alles in die richtige Richtung läuft."
Diese Einschätzung teilt auch Wolfgang Schmutz, Geschäftsführer von ACI Systems.
ACI wollte Wünsche der Bolivianer erfüllen
Sein Unternehmen wollte ursprünglich die sogenannte Restsole aus der Gewinnung von Kaliumchlorid nutzen, um daraus Lithiumhydroxid (öffnet im neuen Fenster) herzustellen. Darüber hinaus wollte das Unternehmen alle Wünsche der Regierung erfüllen. Dazu zählten laut Schmutz die Ausbildung von Mitarbeitern, der Know-how-Transfer sowie der Umwelt- und Klimaschutz. So wollte ACI eine Solaranlage mit 30 Megawatt Leistung aufbauen. Durch die Nutzung der Restsole hätte die Anlage sogar sauberes Wasser produzieren können, das an die Bevölkerung und Landwirtschaft hätte abgegeben werden können.
An dem neuen Bewerberverfahren hat sich ACI Systems jedoch nicht beteiligt. Dennoch hat Schmutz mit dem Kapitel Bolivien noch nicht ganz abgeschlossen, sondern das Projekt vorläufig nur "geparkt" , wie er im Gespräch mit Golem.de erläuterte. Auch mit der neuen Regierung unter Arce hat Schmutz schon Gespräche geführt. Doch nach seiner Einschätzung gestaltet sich eine Entscheidungsfindung sehr schwierig und langwierig.
Es herrsche eine gewisse Lähmung vor, da nicht immer identische Interessen und Ziele verfolgt würden. ACI habe Ende 2021 sogar eine Delegation von zehn Bürgermeistern und Repräsentanten aus der Region um den Salar de Uyuni empfangen. Denn dem Unternehmen war vorgeworfen worden, die lokale Bevölkerung zu wenig einbezogen zu haben. Vorläufig verfolgt Schmutz das Projekt jedoch nicht aktiv weiter. "Es hat keinen Zweck, ständig gegen eine Gummiwand zu laufen" , sagt er.
Können die Chinesen sich durchsetzen?
Kann es also den Chinesen gelingen, die bolivianische Gummiwand zu durchbrechen? Immerhin dürfte ein Konzern wie CATL, der als weltgrößter Produzent von Elektroautoakkus gilt, ganz andere finanzielle und personelle Ressourcen als ein mittelständisches Familienunternehmen haben. Unklar ist zudem, welche Versprechen China möglicherweise den Bolivianern macht, um die Infrastruktur in der Andenregion auszubauen.
Gerade Bolivien hat im Vergleich zu den Nachbarstaaten Chile und Argentinien einen großen Nachholbedarf. Der Norden Chiles ist hingegen sehr gut erschlossen, was unter anderem am Kupferbergwerk Chuquicamata liegt(öffnet im neuen Fenster) - einem der größten der Welt. Zudem gibt es dort Überseehäfen, von denen aus das Lithium verschifft werden könnte.
Für Schmutz wäre eine solche Entwicklung gefährlich: "Wenn wir in Europa die Produkte herstellen wollen, dann brauchen wir Zugang zum Rohstoff, zumindest in einem Anteil von 30 Prozent." Schon jetzt kontrolliere China direkt oder indirekt 70 bis 75 Prozent des weltweit verfügbaren Lithiums. Mit dem Ziel: "Die wollen uns nicht Lithium verkaufen, nicht Batterien verkaufen, die wollen uns Autos verkaufen."
Es ist daher kein Zufall, dass deutsche Firmen sich verstärkt für Boliviens Nachbarländer Chile und Argentinien interessieren.
Chile und Argentinien als Standort attraktiver
So ist Zauner für die in Dresden ansässige Firma Deutsche E-Metalle(öffnet im neuen Fenster) seit einiger Zeit im Norden Argentiniens aktiv. Dort hat Deutsche E-Metalle mit zwei argentinischen Partnern das Joint Venture Lithium Mining Corporation gegründet. Dieses hat sich laut Zauner inzwischen die Konzessionen für eine Lithium-Gewinnung in der Andenprovinz Catamarca gesichert. Das Lizenzgebiet habe eine Ausdehnung von 306.000 Hektar, was der 1,2-fachen Fläche eines vergleichsweise kleinen Bundeslandes im Südwesten Deutschlands (öffnet im neuen Fenster) entspricht. Auch ACI verfolgt nach Angaben von Schmutz inzwischen Projekte außerhalb Boliviens.
In der Branche hat sich laut Zauner eine gewisse Goldgräberstimmung breitgemacht. Denn der Preis für eine Tonne Lithiumcarbonat ist innerhalb eines Jahres von etwa 15.000 US-Dollar auf fast 80.000 US-Dollar gestiegen. Da das Angebot wohl auf absehbare Zeit nicht die Nachfrage decken kann, dürften die Preise weiterhin hoch bleiben.
Zahlreiche Projekte im Norden Argentiniens
Nach Angaben des Wall Street Journals (Paywall)(öffnet im neuen Fenster) hat die argentinische Regierung unter anderem mit langfristigen Steuervereinbarungen und gelockerten Devisenkontrollen bereits mehrere ausländische Investoren angelockt. Dazu zählten der anglo-australische Bergbaukonzern Rio Tinto, der chinesische Batteriehersteller Ganfeng Lithium Co. und das französische Bergbau- und Metallurgie-Unternehmen Eramet.
Ganfeng hat im Juli 2022 für fast eine Milliarde US-Dollar das Unternehmen Lithea Inc. übernommen(öffnet im neuen Fenster) . Darüber hinaus sind die Chinesen schon mit einem fast 50-prozentigen Anteil an einem weiteren Projekt beteiligt(öffnet im neuen Fenster) . Bei einer Investitionssumme von 741 Millionen US-Dollar soll dieses Projekt 40.000 Tonnen Lithiumcarbonat pro Jahr liefern und das klassische Verfahren mit Verdunstungsbecken nutzen.
Das WSJ zitiert einen Analysten des Londoner Beratungsunternehmens IHS Markit, wonach Argentinien bis 2031 die Zahl seiner Lithiumminen von 2 auf 19 steigern könnte. Die jährliche Produktion könnte bis zum Ende des Jahrzehnts auf 230.000 Tonnen steigen, was nach Angaben der Regierung etwa sechsmal so viel wie aktuell wäre.
Neue chilenische Verfassung abgelehnt
Auch Chile ist für Investoren weiterhin attraktiv. So hat die Bevölkerung Anfang September 2022 den Entwurf einer neuen Verfassung abgelehnt, der nach Einschätzung des WSJ(öffnet im neuen Fenster) den Bergbau "schwieriger, unsicherer und teurer" gemacht hätte. Denn die Verfassung hätte den indigenen Gruppen im Norden Chiles mehr Autonomie über ihr angestammtes Land gewährt und deren Zustimmung für neue Projekte erforderlich gemacht.
Ebenso wie in Argentinien dürften daher auch in Chile in den kommenden Jahren noch weitere Lithiumminen in Betrieb gehen. Anders als Bolivien dürften die beiden Länder daher schneller vom aktuellen Lithiumboom profitieren. Wie lange dieser noch anhält, ist angesichts der intensiven Forschung in der Akkutechnik kaum vorherzusagen. Sollte Lithium beispielsweise künftig in großem Stil durch Natrium ersetzt werden, könnte es bald die nächsten Geisterstädte in der südamerikanischen Wüste geben.



