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Resiliente Kommunikation: Wie Redundanz bei Katastrophen Leben rettet

Dezentrale Netze, Mesh-Technologien und redundante Warnsysteme sind in Krisen kein Luxus, sondern überlebenswichtig.
/ Fabian Deitelhoff
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Infrastruktur kann auf vielfältige Weise ausfallen. In Puerto Rico legte Hurrikan Maria 2017 neben Strommasten 88 Prozent der Mobilfunkmasten um. (Bild: ICARDO ARDUENGO/AFP via Getty Images)
Infrastruktur kann auf vielfältige Weise ausfallen. In Puerto Rico legte Hurrikan Maria 2017 neben Strommasten 88 Prozent der Mobilfunkmasten um. Bild: ICARDO ARDUENGO/AFP via Getty Images
Inhalt
  1. Resiliente Kommunikation: Wie Redundanz bei Katastrophen Leben rettet
  2. Mehrere Wege führen zum Ziel der Redundanz
  3. Mesh-Netze: Kommunikation ohne Infrastruktur
  4. Warum Redundanz und Dezentralisierung Leben retten
  5. Zusammenfassung: Das sind die aktuellen Empfehlungen

Natur- und menschengemachte Katastrophen zerstören nicht nur Gebäude, Straßen und Stromleitungen. Oft bricht auch die Kommunikation zusammen. Während des Wintersturms in Texas 2021 fielen zum Beispiel Stromversorgung und Mobilfunknetz aus(öffnet im neuen Fenster) . Der Ausfall zentraler Infrastrukturen bedeutet, dass Menschen keine Warnungen erhalten, Rettungskräfte sich nicht koordinieren können und chaotische Zustände entstehen.

Die Kommunikationsinfrastruktur hat sich in den letzten Jahrzehnten stark konzentriert. Eine Handvoll von Unternehmen kontrolliert den Großteil der kabelgebundenen und zellularen Internet-Infrastruktur, das Hosting von Anwendungen erfolgt über wenige Cloudanbieter.

Noch problematischer ist, dass nur wenige Städte kritische Knotenpunkte für landesweite Glasfaserverbindungen sind und zentrale Internetknoten Angriffsziele darstellen. Dieser Zentralismus führt zu Single Points of Failure: Wenn ein Knoten ausfällt, bricht die gesamte Kommunikation zusammen.

In dem Paper The Case for Decentralized Fallback Networks warnen die Autoren vom MIT Computer Science and Artificial Intelligence Lab, dass diese Zentralisierung die Internet-Infrastruktur "anfälliger als früher für Cyberangriffe, Naturkatastrophen und Fehlkonfigurationen" mache. Sie fordern dezentrale Fallback-Netze, die auch bei Störungen weiter elementare Dienste bereitstellen können (PDF)(öffnet im neuen Fenster) .

Die Praxis zeigt, dass diese Warnungen berechtigt sind. Hurrikan Maria zerstörte 2017 auf Puerto Rico 88 Prozent der Mobilfunkmasten, auf den Amerikanischen Jungferninseln waren es 69 Prozent(öffnet im neuen Fenster) .

Das Camp Fire 2018 in Kalifornien zerstörte 17 Mobilfunkmasten, zwei Drittel der Haushalte erhielten deshalb keine Evakuierungswarnung(öffnet im neuen Fenster) . Beim Marshall-Feuer in Boulder County 2021 führten fehlende IPAWS-Implementation und versagende Sirenen dazu, dass Hunderte Bewohner keine Evakuierungsnachricht erhielten(öffnet im neuen Fenster) .

Ein gefährliches Informationsvakuum

Laut einer Studie von Human-I-T, einem Unternehmen, das sich für einen gerechteren Zugang zu Technik einsetzt, zerstörte Hurrikan Sandy im Jahr 2012 "ein Viertel aller Mobilfunkmasten an der US-Ostküste" und die Hurrikane Maria und Irma in der Karibik sogar 90 Prozent der Mobilfunkstandorte(öffnet im neuen Fenster) . Ohne Redundanz entsteht ein Informationsvakuum, das Leben gefährdet.

Auch beim Hurrikan Katrina (2005) verursachte der Ausfall zahlreicher Kommunikationssysteme enorme Schäden. Untersuchungen zeigten, dass Generatoren für Funkmasten nicht nachgetankt werden konnten, lokale Funknetze wegen fehlender Interoperabilität versagten, Satellitenradios durch unkontrollierten Verkehr überlastet wurden, Überlandleitungen durch Überschwemmungen ausfielen und Mobilfunkmasten ihren Dienst einstellten, als Batterien und Generatoren versagten(öffnet im neuen Fenster) .

Ein Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags anlässlich der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 dokumentierte(öffnet im neuen Fenster) , dass damals Telefon- und Mobilfunknetze sowie der digitale Behördenfunk BOS großflächig ausfielen, weil die Wasserfluten Telekom-Datenleitungen zerstörten. Nur analoger Sprechfunk funktionierte noch, war aber überlastet.

Kommunikation auf Papier und über Boten

Die Landesregierung gab an, dass der BOS-Funk am Nachmittag des 14. und in der Nacht zum 15. Juli 2021 vielerorts versagt habe, weil Basisstationen nicht ausreichend krisensicher gewesen seien. Bürgermeister und Wehrführer aus dem Ahrtal bestätigten, dass Mobilfunk, Digitalfunk und Festnetz bereits am Nachmittag zusammengebrochen seien und die Kommunikation teilweise nur noch auf Papier über Boten möglich gewesen sei. Das erschwerte die Koordination der Rettungskräfte. Die Nichtnutzung von Rundfunk und Fernsehen als Warnkanal war ebenfalls ein großer Kritikpunkt.

Eine Analyse der Initiative AG Kritis ergab(öffnet im neuen Fenster) , dass der großflächige Ausfall des BOS-Netzes im Ahrtal auf drei Faktoren zurückging:

1. Die Stromversorgung der Funk-Basisstationen hielt nur 4 bis 6 Stunden,

2. in Rheinland-Pfalz dezentral gelagerte Netzersatzanlagen trafen zu spät ein und

3. das Hochwasser riss Übertragungsleitungen weg.

Wo noch Strom vorhanden war, konnten Basisstationen nur kleine Gebiete versorgen und waren nicht mehr mit den Leitstellen verbunden. Die AG Kritis empfiehlt unter anderem analogen Funk als Notfallmodus, mobile Basisstationen, Satellitenfunk, Amateurfunk und andere Redundanzen.

Kommunikationsausfälle führen nicht nur zu verzögerten Warnungen und Koordinationsproblemen, sondern auch zu Panik und letztlich vermeidbaren Todesfällen. Deshalb sind Kommunikationssysteme für den Notfall zwingend so zu konzipieren, dass sie bei Störungen resilient bleiben.


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