Ein schlechtes Gewissen gegenüber den Kunden
Auch Julia hat für Unister an der Schnittstelle zwischen Kundenproblemen und Unternehmensrealität gearbeitet. In Berlin betreute sie bis Ende 2015 im Callcenter von Unister unter anderem die Kunden der Websites Fluege.de, Flug24.de und Airline-Direct.de. Eine Stelle, bei der sie laut Unister "für zufriedene Kunden sorgen" soll. "Dass die Kunden einfach abgezockt werden, wurde allen relativ schnell klar", sagt sie. Sie erinnere sich dort an niemanden, der auf Dauer im Callcenter für Unister habe arbeiten wollen. Um ihr schlechtes Gewissen gegenüber den Kunden zu beruhigen, rebellierten offenbar auch hier viele Mitarbeiter heimlich: "Die meisten Mitarbeiter haben den Kunden keine Servicepakete angeboten. Es war peinlich, den Leuten am Telefon so einen Blödsinn zu erzählen", sagt Julia. Auch andere Gebühren, die beim Anruf im Kundenservice anfallen sollten, hätten viele einfach nicht eingezogen. "Wenn Kunden stornieren wollten und vorab kein Servicepaket abgeschlossen hatten, hätte allein die Antwort, ob der Flug refundable ist oder nicht, 15 Euro gekostet." 15 Euro für ein Ja oder Nein - hinzu kamen dann noch die Stornogebühren von Unister und die der Airline.
Auf Anfrage bestätigt ein Sprecher von Unister, dass Gebühren im Servicebereich erhoben würden. Es sei branchenüblich, dass für guten Service Geld verlangt werde. Dass eigene Mitarbeiter den Anweisungen des Unternehmens zuwidergehandelt hätten, lasse eher Rückschlüsse darauf zu, dass diese sich falsch verhalten hätten. Unister habe hohe Verbraucherschutzstandards, die auch eingehalten würden.
Julia erzählt, es sei auffällig häufig vorgekommen, dass Kreditkarten der Kunden aus unerfindlichen Gründen nicht belastet werden konnten. "Die Leute riefen an und sagten, ihre Bank hätte kein Problem festgestellt, mit ihrer Karte sei alles in Ordnung." Julia und ihre Kollegen boten dann am Telefon an, die Karte erneut zu belasten, allerdings sei dann eine Gebühr von zehn Euro angefallen. "Danach ist oft das Gleiche wieder passiert und die Kunden mussten wieder Gebühren zahlen", sagt Julia. Wenn die Vorgesetzten merkten, dass sie diese Gebühren nicht eingezogen hatten, hätten sie so getan, als hätten sie es vergessen.
Niedrige Einstiegspreise, hohe Abschlusskosten
Die Berichte der ehemaligen Mitarbeiter ähneln einander. Kunden, die online nicht zurechtkamen oder sich beschweren wollten, meldeten sich bei der Hotline und landeten auch bei Nina. Die damals 26-Jährige arbeitete 2012 ein Jahr im Leipziger Stammsitz von Unister. Wollten Kunden über Fluege.de buchen, nannte sie ihnen vom Callcenter aus immer erst einen sehr günstigen Preis: Ein Flug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca und zurück kostete zum Beispiel 119 Euro. "Am Ende der Buchung war der Betrag dann aber oft um ein Drittel oder sogar um das Doppelte teurer", sagt die ehemalige Servicemitarbeiterin.
Die hohen Service- oder Kreditkartengebühren, aber auch aufgeschwatzte Abo-Zusatzversicherungen, seien nicht transparent mitgeteilt worden. Manche riefen nach der getätigten Buchung wütend wieder an und beschwerten sich über den viel höheren Preis. Doch Vertrag war dann schon längst Vertrag. "Andere haben die schleichende Preiserhöhung einfach nicht bemerkt", sagt Nina. Unister gibt an, dass dies nicht den eigenen Standards entspreche, die Serviceentgelte seien für die Kunden transparent ausgewiesen.
Unter schlechten Bedingungen litten nicht nur die Kunden, wie zahlreiche erfolgreiche Klagen der Verbraucherzentralen zeigen, sondern auch die Mitarbeiter. Auch auf dem Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu schreiben Nutzer fast ausschließlich schlecht über Unister als Arbeitgeber. Immer hätten 40 bis 50 Kunden in der Warteschlange gehangen, sagt Nina vom Leipziger Standort. "Bei jedem Gespräch lief nebenher der Timer." Wenn ein Telefonat länger dauerte, habe man sich sofort rechtfertigen müssen. Keine Zeit für Problemlösungen, kein Leitfaden, um Kunden korrekt zu informieren.
Im Gegenteil: "Alles war komplett intransparent und schwammig. Mir wurde nie erklärt, wie sich die unterschiedlichen und willkürlich wirkenden Servicegebühren zusammensetzen. Ich habe den Kunden gar nicht wirklich helfen können." Das sind Vorgänge, die auch Julia aus dem Berliner Callcenter von 2015 bestätigt. Unister möchte sich zu internen Arbeitsabläufen nicht äußern. Aber selbstverständlich würden die Mitarbeiter ordentlich geschult, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Unister betreibe deshalb auch ein eigenes Callcenter und nutze nicht ausschließlich Drittanbieter, wie es durchaus üblich sei in der Branche.
Rechtsverstöße wurden einfach ausgesessen
Viele Kunden aber verbinden mit dem Namen Unister bis heute nicht Service, sondern Ärger und verlorenes Geld. Auch aktuell warten zahlreiche Kunden auf bezahlte Reise-Gutscheine, die Unister einfach nicht einlöst. Die Verbraucherzentralen und auch die Wettbewerbszentrale gehen seit Jahren gegen Rechtsverletzungen von Unister vor. "Dabei muss man wirklich sehr hartnäckig sein", sagt Kerstin Hoppe, Referentin im Team Rechtsdurchsetzung des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. "Unsere Gerichtsverfahren wurden durch mehrfache Umfirmierungen des Unternehmens erheblich erschwert." Immer wieder habe erst geklärt werden müssen, wer der jeweilige Rechtsnachfolger gewesen sei. Rechtskräftige Urteile habe das Unternehmen teilweise nur sehr zögerlich umgesetzt. In diesen Fällen habe Unister nur durch weitere Ordnungsgeldverfahren zum Einlenken bewegt werden können.
Umfirmierungen, also unter anderem das Gründen immer neuer Untergesellschaften, scheint bei Unister System gehabt zu haben. Unister wehrt sich gegen den Vorwurf und versucht vor dem sächsischen Oberlandesgericht diese Behauptung zu verbieten. Vor dem Leipziger Landgericht war das Unternehmen damit zuvor gescheitert. Das entstandene Gestrüpp aus Tochterfirmen und -gesellschaften aber ist offenbar so groß geworden, dass sich nach dem Tod des Hauptgeschäftsführers der Unister Holding GmbH, Thomas Wagner, keiner mehr zutraute, das Chaos zu überblicken, geschweige denn zu entzerren. Den verbliebenen Geschäftsführern blieb offensichtlich nichts anderes übrig, als Insolvenz anzumelden. Zu groß das Chaos, zu hoch die Schulden, zu sehr hatte Wagner offenbar die alleinige Kontrolle behalten wollen. Ein Sprecher des Insolvenzverwalters Lucas Flöther sagt, es sei in diesem Fall sehr schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. "Buchhaltung kann man das nicht wirklich nennen."
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