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Raketentechnik: Eine veraltete Rakete macht einen Schritt in die Zukunft

Die Vulcan ist nicht wiederverwendbar und dennoch zukunftsweisender als die Ariane 6, dank Jeff Bezos und Triebwerken von Blue Origin.
Aktualisiert am , veröffentlicht am / Frank Wunderlich-Pfeiffer
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Die neue Vulcan-Rakete beim Start. (Bild: ULA / Screenshot: Golem.de)
Die neue Vulcan-Rakete beim Start. Bild: ULA / Screenshot: Golem.de

Die Vulcan-Rakete ist erfolgreich gestartet(öffnet im neuen Fenster) und hat den Peregrine-Mondlander der US-amerikanischen Firma Astrobotics nach 50 Minuten Flug auf seiner geplanten Flugbahn ausgesetzt. Eigentlich sollte die Vulcan-Rakete der United Launch Alliance (ULA) schon 2019 zum ersten Mal fliegen. Der Countdown verlief ohne Zwischenfälle und ULA-Chef Tory Bruno scherzte, dass die Bodenkontrolle so wenig sagte, dass er glaubte, seine Kopfhörer seien kaputt.

Die Mission der Rakete verlief nach Abtrennung der Feststoffbooster und der ersten Raketenstufe in drei Phasen. Zuerst erreichte die Centaur-V-Oberstufe einen Übergangsorbit. Der höchste Punkt von dessen Umlaufbahn wurde nach einer zweiten Zündung der Triebwerke auf rund 400.000 km erhöht und der Peregrine-Lander abgetrennt, der damit direkt in die Nähe des Mondes gelangen wird. Eine dritte Triebwerkszündung brachte die Stufe schließlich in einen heliozentrischen Orbit.

Peregrine ist eine Demonstrationsmission, die vor allem im Februar eine erfolgreiche Landung demonstrieren soll. An Bord sind sowohl ein 2 kg schwerer US-amerikanischer Mondrover namens Iris, der mit einer Kamera ausgestattet ist, als auch eine Gruppe von fünf kleinen mexikanischen Mondrovern mit einem Gewicht von je rund 60 Gramm, die mit einem Katapult auf der Mondoberfläche verteilt werden und koordiniertes Verhalten testen sollen. Hinzu kommen Instrumente zur Messung der Strahlenbelastung und der dünnen Mondatmosphäre.

Die beste Rakete der ULA ...

Die Aufmerksamkeit galt allerdings der Vulcan-Rakete selbst, die nun die Nachfolge der Atlas-V- und Delta-IV-Raketen antritt, die wegen der hohen Kosten der Delta IV und der Verwendung der russischen RD-180-Triebwerke in der Atlas V keine Zukunft mehr hatten. Die Vulcan war neben der japanischen H-3 und der europäische Ariane 6 eine der Raketen, die 2015 angekündigt wurden, um mit der Falcon 9 konkurrenzfähig zu bleiben. Daran sind sie alle gescheitert.

Die Vulcan-Rakete nutzt die methanbetriebenen BE-4-Triebwerke von Blue Origin, die etwas effizienter als die kerosinbetriebenen RD-180 sind und fast 30 Prozent mehr Schub liefern. Die Treibstofftanks wurden von der Delta-IV-Rakete der ULA übernommen und haben einen Durchmesser von 5,4 statt nur 3,8 Metern bei der Atlas V. Durch die Verwendung des dichteren Methans können die Tanks nun deutlich mehr Treibstoff aufnehmen als die Wasserstofftanks der alten Delta IV. Außerdem bleibt Platz für bis zu sechs statt nur fünf GEM-63 XL Feststoffbooster, die schon mit der Atlas V erprobt wurden. Für den Testflug kamen zwei Booster zum Einsatz.

Neu ist auch die wasserstoffbetriebene Centaur-V-Oberstufe, die mit 54 Tonnen Treibstoffkapazität die bei weitem größte Variante in der 62-jährigen Geschichte der Centaur-Oberstufen ist und die erste mit einem Durchmesser von 5,4 Metern. Sie wird von zwei RL-10C-X Triebwerken angetrieben, deren Entwicklungsgeschichte ebenso bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Zusammen bilden die Stufen und Feststoffbooster ein gut optimiertes System, das selbst die Nutzlastkapazität der alten Delta-IV-Heavy deutlich übertrifft, deren Starts fast eine halbe Milliarde US-Dollar kosteten.

... und schon beim Start veraltet

Die Vulcan ist in jeder Hinsicht die beste Rakete, die die ULA jemals gebaut hat, und dennoch wirkt sie heute wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Kein Teil der Rakete ist wiederverwendbar. Für die einst angekündigten Pläne für eine wiederauftankbare Oberstufe namens ACES(öffnet im neuen Fenster) und abtrennbare BE-4-Triebwerke, die mit einem Helikopter in der Luft aufgefangen werden sollten, wurde kaum Entwicklungsarbeit geleistet.

Die Rolle der Rakete selbst beschränkt sich nun vollkommen darauf, eine Alternative zur Falcon 9 und Falcon Heavy zu sein, falls diese einmal nicht verfügbar sein sollten. Für größere Aufgaben kommt die Rakete zehn Jahre zu spät. Damit ist fraglich, ob sie ähnlich wie die Atlas V über 100 erfolgreiche Missionen fliegen kann, eine gute Leistung, die aber inzwischen von der Falcon 9 - mit fast 100 Flügen allein im Jahr 2023 - in den Schatten gestellt wurde.

ULA steht zum Verkauf

Für die ULA selbst ist der späte Start der Vulcan dennoch kein Fiasko, denn die Hauptschuld daran trägt die späte Lieferung der BE-4-Triebwerke, die laut Konstrukteur Blue Origin schon 2019 einsatzbereit sein sollten. Blue Origin ist in der Raumfahrt selbst weitgehend unerfahren, obwohl das Unternehmen mit der New Shepard eine kleine wiederverwendbare Rakete gebaut hat, die jedoch nicht für Flüge in den Orbit gebaut wurde. Das sollte die New Glenn tun, mit 7 BE-4-Triebwerken in der ersten Stufe. Der Flug der Vulcan ist damit auch ein erster Vortest für die New Glenn.

Dennoch ist die ULA in Schwierigkeiten. Die Firma entstand auf Betreiben der US-Regierung als Joint Venture zwischen Boeing und Lockheed-Martin, die daraufhin eine profitable Monopolstellung auf dem Markt für Trägerraketen hatten. Inzwischen ist es ein Verlustgeschäft und die ULA steht zum Verkauf.(öffnet im neuen Fenster) Wobei sich Gerüchte verdichten, dass Blue Origin der wahrscheinliche Käufer sein wird, was in Anbetracht der engen Kooperation und Abhängigkeit - sowie der Zahlungskraft von Blue-Origin-Gründer Jeff Bezos - plausibel scheint.

Für Blue Origin kann die ULA der entscheidende Faktor sein, um das eigene Raumfahrtprogramm doch noch erfolgreich durchzuführen. Denn für den Bau einer so ambitionierten Rakete wie der New Glenn, die wiederverwendbar und fast dreimal so schwer wie eine Falcon 9 oder halb so schwer wie die Saturn-V-Mondrakete sein soll, fehlt Blue Origin ganz objektiv die nötige Raumfahrterfahrung. Die ULA kann hingegen auf extrem hohe Zuverlässigkeit in der Vergangenheit verweisen.

Schrittweise Entwicklung statt zu große Sprünge

Es muss sich aber zeigen, ob sich diese Erfahrung der ULA auch auf fremde Raketensysteme übertragen lässt. Die Geschichte der besonders zuverlässigen Atlas-Raketen ist eine stückweise Evolution in kleinen Schritten, die auf jahrzehntelange Erfahrung mit den restlichen Systemen aufbaute. Das entspricht dem selbstgewählten Motto von Blue Origin - Gradatim Ferociter - (etwa: mutig voran, Schritt für Schritt), schon bei der Ankündigung des Sprungs von der kleinen New Shepard zur großen New Glenn im Jahr 2016 kritisierte Golem.de, dass das diesem Motto überhaupt nicht entsprach.

Die nun vorhandene Flugerfahrung der ULA mit den BE-4 Triebwerk ist ein Zwischenschritt hin zu einer großen Rakete wie der New Glenn, genauso wie der Bau der großen Centaur-V-Oberstufe. Die Oberstufe der New Glenn soll mit 7 m im Durchmesser sogar noch 1,6 m größer sein, aber der Schritt ist wesentlich kleiner als von den 3,8 m Durchmesser der älteren Centaur-Stufen oder der ähnlich großen New Shepard.

Auch die wasserstoffbetriebenen BE-3U-Triebwerke werden in der Nutzung des Expanderzyklus technisch näher an den RL-10-Triebwerken der Centaur als an dem alten BE-3 Triebwerk der New Shepard sein. Ob die Kosten für diese Oberstufe im Rahmen bleiben, bleibt aber abzuwarten. Dank des Vermögens von Jeff Bezos wäre damit langfristig die Grundlage für eine weitere Konkurrenzrakete zur Falcon 9 neben der Neutron von Rocketlab gegeben.

Aber zunächst muss die Vulcan weitere Flüge absolvieren und damit auch die Zuverlässigkeit der Triebwerke und der Konstruktion demonstrieren. In jedem Fall ist die Vulcan dank Blue Origin nicht nur leistungsfähiger, sondern auch zukunftsweisender als die Ariane 6 oder auch die japanische H-3.

Nachtrag vom 8. Januar 2024, 16:15 Uhr

Nach erfolgreicher Abtrennung des Mondlanders kam es bei dessen Mission zu einer Fehlfunktion,(öffnet im neuen Fenster) die eine korrekte Ausrichtung zur Sonne verhinderte. Die Missionskontrolle arbeitet an einer Lösung.

Nachtrag vom 8. Januar 2024, 17:24 Uhr

Nach weiteren Untersuchungen hat sich als Ursache ein Fehler im Antriebssystem herausgestellt. Falls der nicht behoben werden kann, könnte nach Angaben von Astrobotic(öffnet im neuen Fenster) die Mondlandung gefährdet sein.

Nachtrag vom 8. Januar 2024, 19:12 Uhr

Laut einem weiteren Update(öffnet im neuen Fenster) geht Treibstoff durch den Fehler im Antriebssystem verloren, was die Durchführung der Landung unmöglich macht. Astriobotic konzentriert sich nun darauf, unabhängig von der Mission möglichst viele Daten zu gewinnen.


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