Pseudonyme: Liquid-Feedback-Entwickler kritisieren Piratenpartei

Die Hauptentwickler von Liquid Feedback distanzieren sich vom Einsatz ihrer Software durch die Piratenpartei. Verhindern, dass die Piraten ihre Software nutzen, können sie nicht.

Artikel veröffentlicht am , Keywan Najafi Tonekaboni
Die Liquid-Feedback-Entwickler kritisieren erneut die Nutzung ihrer Software durch die Piratenpartei.
Die Liquid-Feedback-Entwickler kritisieren erneut die Nutzung ihrer Software durch die Piratenpartei. (Bild: Liquid Feedback)

Entwickler der Software Liquid Feedback wenden sich in einem Blogeintrag erneut gegen die Verwendung ihrer Software für Abstimmungen in der Piratenpartei. "Da wir im Sinne aller anderen Nutzer unserer Software die liberale Lizenzpolitik nicht ändern wollen, können wir einen weiteren Einsatz bei der Piratenpartei nicht verhindern", schreiben Jan Behrens, Axel Kistner, Andreas Nitsche und Björn Swierczek. Die vier sind Vorstände des Vereins Interaktive Demokratie, der die Software Liquid Feedback entwickelt.

Anlass für die erneute Kritik ist die neue "Geschäftsordnung für Plattformen zur Willensbildung" des Berliner Landesverbandes, die vergangenes Wochenende beschlossen wurde. Ihr zufolge soll das System für verbindliche Abstimmungen genutzt werden, sprich: Der Vorstand muss sich an das Votum der Mitglieder halten. Ohne die Nachvollziehbarkeit geht diese Verbindlichkeit den Entwicklern aber zu weit.

Die Piratenpartei nutzt die Onlineplattform Liquid Feedback innerparteilich zur politischen Willensbildung, an der sich alle Mitglieder beteiligen können.

Entwickler gegen scheindemokratische Verfahren

Sie protestieren nicht zum ersten Mal dagegen, dass es die Piratenpartei ihren Mitgliedern ermöglicht, Liquid Feedback mit einem Pseudonym zu verwenden. Denn das führe dazu, dass die Ergebnisse der Abstimmungen nicht von allen Parteimitgliedern überprüft werden können: "Wir wollen aber nicht für die gesellschaftliche Etablierung von scheinbar demokratischen Verfahren stehen oder verantwortlich sein, die durch die Teilnehmer selber nicht überprüft werden können."

Anfang 2011 hatten Behrens, Nitsche und Swierczek bereits angekündigt, die Software nur noch außerhalb der Piratenpartei voranzutreiben. Auch damals ging es um die Frage, wie das System anonym genutzt werden kann.

Keine Abstimmung per Internet?

Die Liquid-Feedback-Entwickler sehen Pseudonyme als Scheinsicherheit, da ihre Offenlegung nicht ausgeschlossen werden kann. Sie wollen dem nicht Vorschub leisten. Zur Lösung des Problems haben sie eine pragmatische Alternative: auf das Internet zur Abstimmung verzichten.

Da Liquid Feedback aber unter einer Open-Source-Lizenz steht und das auch bleiben soll, können und wollen die Entwickler nicht dessen Einsatz bei den Piraten verbieten.

Entweder geheim oder nachvollziehbar

Die Abstimmungsplattform bringt die Piraten jedoch in ein grundsätzliches Dilemma. Eine geheime und nachprüfbare Wahl ist Grundbedingung einer demokratischen Wahl, diese ist aber mit elektronischen Abstimmungssystemen nicht möglich. Während sich beim Einsatz einer klassischen Wahlurne Unterlagen und Stimmzettel von fast jedem Bürger einfach überprüfen lassen, müssen die Wahlberechtigten bei einem komplexen System wie einer Onlineplattform auf Experten vertrauen. Es sei denn, jeder Stimmberechtigte authentifiziert sich per Klarnamen und seine Entscheidung ist für jeden sichtbar. So kann jeder Einzelne, wenn auch mühsam, wieder die Entscheidung nachvollziehen, beispielsweise durch Nachzählen und Vergleichen mit Mitgliedslisten.

Eine Nachvollziehbarkeit ist also nur auf Kosten einer geheimen Wahl zu erreichen, mit der verhindert werden soll, dass sozialer Druck Einfluss auf individuelle politische Meinungen hat. Minderheitsmeinungen würden durch einen Klarnamenzwang gefährdet, so die Befürchtung der Befürworter der Pseudonymen-Nutzung. Viele Piraten bevorzugen es daher, mit Pseudonymen bei Liquid Feedback aktiv zu sein.

Bezirksverband Pankow will Klarnamenzwang

Die Piraten im Bezirk Berlin-Pankow haben in dieser Abwägungsfrage der Nachvollziehbarkeit Vorzug gegeben. Sie wollen eine eigene Liquid-Feedback-Instanz. Dort soll die Nachprüfbarkeit durch Klarnamen gesichert sein, die zudem über Jahre gespeichert werden. Dadurch entsteht aber ein neues Problem. Datenschutzrechtlich sind die lange Speicherung und der Zwang zu Klarnamen bedenklich. Dies haben laut Lars Hohl, Datenschutzbeauftragter des Landesverbandes, auch die Berliner Datenschutzbehörden betont. In welcher Form das Pankower System implementiert wird, ist daher derzeit unklar. Die Entscheidung liegt beim Landesvorstand.

Die Debatte geht weiter

Der Pressesprecher der Berliner Piraten, Ben de Biel, kann sich der grundsätzlichen, demokratietheoretischen Kritik nicht anschließen. Die Meinungsfindung einer Partei sei nicht mit allgemeinen Wahlen gleichzusetzen. Bei einer geschlossenen Gruppe wie der Piratenpartei sei das Defizit tragbar. Also wird die Diskussion weitergehen, wie Lars Hohl twittert: "Erkennen, dass das verkündete 'Ende der #LQFB-Kriege' wohl verfrüht war".

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JustusW 20. Sep 2012

Ich lebe in der guten Ruhe, dass das Grundgesetz deinen demokratie- und...

pythoneer 19. Sep 2012

1. Ja das ist relevant 2. Ja ich kann das nachvollziehen 3. Habe ich oben schon erwähnt...

JustusW 19. Sep 2012

Es gibt eine einfache Obergrenze im Parteiengesetz: Wenn 50% der akkreditierten...



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