Proteste gegen Gigafactory: Fabrikbau im Ludicrous Mode

Am Bäckereistand des Edeka in Grünheide ärgert man sich derzeit nicht nur über die Bonpflicht, die seit Anfang des Jahres gilt. Wenn das Stichwort Tesla fällt, halten die Menschen mit ihrer Meinung zur geplanten Gigafactory nicht hinterm Berg. Von "Da sollen doch nur Polen arbeiten" bis "Ich will hier weiter meine Ruhe haben" reicht die Kritik. Auch wenn in der Diskussion viele Ressentiments sowie unzutreffende Fakten eine Rolle spielen: Zum Gefühl der Anwohner, vom Bau der Elektroautofabrik genauso wie der nahegelegene Kiefernwald überrollt zu werden, hat auch Teslas überraschende und intransparente Standortauswahl beigetragen.
Dabei ist die Debatte in Grünheide symptomatisch für die Veränderungen, die durch die Energiewende und den Klimaschutz auf die Gesellschaft zukommen. Auch wenn es um den Bau neuer Stromtrassen oder Windräder geht, gibt es häufig Proteste von Anwohnern. Doch irgendwie muss die erneuerbare Energie schließlich erzeugt und transportiert werden. Elektroautos müssen irgendwo gebaut werden. Wenn auf der einen Seite befürchtet wird, dass Hunderttausende Jobs in der Autoindustrie durch die Elektrifizierung verloren gehen könnten, sollten Politik und Bevölkerung doch froh sein, wenn durch eine neue Elektroautofabrik in ihrer Gegend mehrere Tausend Arbeitsplätze geschaffen werden.
Viele gescheiterte Großprojekte
Doch die meist älteren Bürger aus Grünheide und Umgebung, die am vergangenen Donnerstag ihren Weg in die von Tesla eingerichtete Bürgersprechstunde gefunden haben, sind da in vielen Punkten noch skeptisch. Die wenigen Besucher zeigen sich vor allem über die möglichen Auswirkungen der Fabrik auf den Grundwasserpegel besorgt. Ein Ehepaar berichtet über den gesunkenen Wasserpegel in einem nordöstlich von Grünheide gelegenen See und befürchtet einen zusätzlichen Wasserrückgang.
















Andere wiederum verweisen auf die gescheiterten Investitionsprojekte nach der Wende in Brandenburg: den Cargolifter(öffnet im neuen Fenster) , den Lausitzring(öffnet im neuen Fenster) , die Chipfabrik in Frankfurt (Oder)(öffnet im neuen Fenster) . Wird Giga Berlin, wie Tesla-Chef Elon Musk die Fabrik inzwischen nennt, vielleicht die nächste Investitionsruine, weil am Ende niemand die teuren Elektroautos kaufen wird? Vermutlich wären die Proteste geringer, wenn Porsche - wie in Leipzig (öffnet im neuen Fenster) - in Grünheide eine Fabrik für noch teurere Sportwagen und SUVs bauen würde.
Idylle mit Autobahnanschluss
Zweifellos: Wer in einem idyllischen Ort wie Grünheide wohnt, möchte sicher nicht eine Autofabrik direkt vor der Nase haben. Nicht umsonst betreibt beispielsweise die Bundeswehr am Ufer des Werlsees ein Erholungsheim(öffnet im neuen Fenster) . Gleich daneben liegt eine Rehaklinik. Doch die Idylle dürfte nicht den Ausschlag für die Standortauswahl gegeben haben.
Entscheidend ist vielmehr die unmittelbare Nähe des Geländes zum dreispurig ausgebauten Berliner Ring. Der neue Flughafen BER ist ebenfalls nicht weit. Direkt an der Ausfahrt Freienbrink der A 10 soll künftig der Eingang zur Gigafactory liegen. Dort vertreibt der zuständige Förster derzeit neugierige Besucher, die sich das wegen Kampfmittelräumungen gesperrte Gelände aus der Nähe anschauen wollen. Auf der anderen Seite der Straße sind bereits umfangreiche Logistikzentren von Edeka und Lidl sowie ein Autohof. Zu DDR-Zeiten befand sich dort das Zentrallager der Stasi - Erich Mielkes Räuberhöhle, wie der Spiegel 1990 schrieb(öffnet im neuen Fenster) .
Von Idylle ist hier keine Spur mehr.
Fake-News zu Stellenanzeigen
Im Norden wird die Fabrik von der Bahnstrecke Berlin-Frankfurt (Oder) begrenzt. Ziemlich genau dort, wo schon Gerhart Hauptmanns Bahnwärter Thiel(öffnet im neuen Fenster) wahnsinnig wurde. Eine Stichstrecke führt durch das geplante Fabrikgelände zum Logistikzentrum. Die nahegelegenen Bahnhöfe Erkner und Fangschleuse könnten künftig nicht nur dazu genutzt werden, die Pendler von und nach Berlin zu bringen.
Allerdings wären zum Transport der Tesla-Mitarbeiter in die Fabrik wohl zusätzliche Buslinien erforderlich(öffnet im neuen Fenster) . Es ist daher eher nicht damit zu rechnen, dass der Liefer- oder Mitarbeiterverkehr vom kommenden Jahr an durch Grünheide verläuft und dort das Verkehrsaufkommen stark zunehmen wird. Möglicherweise erhält das Werksgelände sogar eine eigene Auf- und Abfahrt von der A 10.
Dennoch befürchteten Bürger in der Sprechstunde in Grünheide, dass der Verkehr rund um die Fabrik demnächst kollabieren könnte. So wird erwartet, dass viele Mitarbeiter aus Polen kommen und die Brandenburger selbst gar nicht von den zunächst 3.000 Arbeitsplätzen profitieren würden. "Die Manager sollen alle Polnisch können, heißt es in den Stellenanzeigen" , schimpft eine Frau am Backtresen bei Edeka. Doch das trifft gar nicht zu. Von den 38 Stellen, die Tesla Ende Januar für die Gigafactory Berlin suchte(öffnet im neuen Fenster) , werden nur in wenigen Fällen(öffnet im neuen Fenster) polnische Sprachkenntnisse erwünscht. Wer je auf einer Baustelle in Deutschland gewesen ist, wundert sich nicht, dass für einen Bauleiter(öffnet im neuen Fenster) Sprachkenntnisse in "Deutsch, Englisch, Polnisch und anderen europäischen Sprachen" wünschenswert sind.
Protest von Rechtsextremen unterwandert
In einem Facebook-Post der AfD Bayern(öffnet im neuen Fenster) wird versucht, den Eindruck zu erwecken, dass sich mit Tesla ein schlaues US-Unternehmen nur deshalb in Brandenburg ansiedeln möchte, um von üppigen deutschen Fördermitteln und niedrigen polnischen Löhnen zu profitieren. "Die polnischen Arbeiter kommen dann mit ihren Benzin- und Dieselautos nach Deutschland, um hier Elektroautos zu bauen, die hier niemand braucht und mit Strom aus polnischer Kohle fahren - willkommen in Absurdistan!" , schreibt die Partei.
Kein Wunder, dass der Protest gegen die Fabrik inzwischen von Rechtsextremen unterwandert worden sein soll. So beteiligte sich der Brandenburger AfD-Abgeordnete und Chef des rechtsradikalen Vereins Zukunft Heimat(öffnet im neuen Fenster) , Hans-Christoph Berndt, an einer Anti-Tesla-Demo in Grünheide. Daher will die Bürgerinitiative vorerst keine Demonstrationen mehr starten(öffnet im neuen Fenster) .
Wer etwas ausplaudert, fliegt raus
Immerhin haben es die Kritiker der Gigafactory geschafft, dass sich sogar Tesla-Chef Elon Musk zu einem Kommentar bemüßigt fühlte. "Es klingt so, als müssten wir ein paar Dinge klären!" , twitterte er am vergangenen Freitag . Reichlich spät kam diese Erkenntnis. Denn durch die Geheimniskrämerei bei der Standortauswahl hat es Tesla geschafft, dass die betroffenen Regionen im Grunde keine Möglichkeit hatten, das Für und Wider einer solchen Ansiedlung vorab zu diskutieren. Nachdem Musk seine überraschende Entscheidung Mitte November bekanntgegeben hatte , musste es - wie bei Tesla üblich - auf einmal ganz schnell gehen. Den Ludicrous-Mode beim Model S , der die Limousine in weniger als drei Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigt, legt Tesla auch beim Fabrikbau ein. "Von Sinnen" heißt der Modus auf Deutsch.
















Musk ging dabei einen völlig anderen Weg als Jeff Bezos bei der Suche nach einem zweiten Hauptquartier für Amazon . Hier sollten sich Städte praktisch öffentlich bewerben und das für Amazon interessanteste Angebot abgeben. Tesla verlangte hingegen von den Politikern in Europa absolutes Stillschweigen über die Verhandlungen. Wer etwas ausplaudert, fliegt raus, lautete offenbar die Devise. Dadurch konnten beispielsweise Biologen nicht noch während der Vegetationsperiode im vergangenen Sommer das Gelände kartieren, um den Bestand an Tieren zu ermitteln. Oder die Frage klären, ob tatsächlich der Wasserbedarf gedeckt werden kann, ohne dass der Grundwasserspiegel weiter gesenkt werden muss.
Zwangsbeglückung mit Autofabrik
Weil das alles ausgeblieben ist, muss nun die Landesregierung in Potsdam versuchen, das Projekt durchzuboxen. Die Bewohner von Grünheide sollen die Zwangsbeglückung durch die Autofabrik akzeptieren. Ein Scheitern wäre eine Blamage für die Politik. Das nährt Zweifel bei den Bürgern, ob das Genehmigungsverfahren ergebnisoffen verläuft. Daher verwies Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) am vergangenen Freitag auf einer Bürgerversammlung ausdrücklich auf die unabhängige Prüfung der Antragsunterlagen. "Darüber entscheiden die Genehmigungsbehörden. Tesla muss sicherstellen, dass keine Gefahren für die Umwelt von dem Werk ausgehen."
Inzwischen hat Tesla angekündigt, den geplanten Wasserverbrauch von 372.000 Litern pro Stunde um mehr als ein Drittel auf 238.000 Liter zu senken. Das solle beispielsweise durch Wiederverwertung von Abwasser und durch andere Kühlsysteme geschehen, sagte ein Vertreter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND)(öffnet im neuen Fenster) Brandenburg dem RBB. Grundsätzlich begrüßt der BUND sogar die Ansiedlung des Tesla-Werks in Grünheide, "weil auf jeden Fall Elektroautos klimafreundlicher sind als Autos mit Verbrennungsmotor" . Dennoch müssten alle Naturschutzauflagen erfüllt werden.
Erntereifer Kiefernforst
Dem zwischen Autobahn, Logistikzentrum und Bahnlinie eingeschlossenen Wald trauern nicht einmal Naturschützer nach. Bürgermeister Arne Christiani wird nicht müde, das Gelände als "erntereifen, minderwertigen Kiefernwald" zu bezeichnen. Schon seit 20 Jahren warte man darauf, die Fläche anders zu nutzen. Ohnehin war sie einmal im Rennen für die Ansiedlung eines BMW-Werkes. Nach Angaben des ARD-Magazins Panorama(öffnet im neuen Fenster) ist der Boden nicht nur mit Weltkriegsmunition, sondern auch mit Blei und Quecksilber belastet.
Ein Spaziergang durch den derzeit nicht gesperrten Teil des Waldes bestätigt diesen Eindruck. Kiefer neben Kiefer, kein Unterholz, gelegentlich ein paar Blaubeersträucher am Boden. Ein Einheimischer in der Tesla-Sprechstunde in Grünheide berichtet, dass das Gelände vor 60 Jahren wieder aufgeforstet wurde. Spaziergänger seien dort kaum anzutreffen. "Da hab ick hier 'nen Fuchs, der in den ollen Bombentrichtern ist, und dann hab ick die Wildschweine, die hier durchziehen, vielleicht noch ein paar Rehe, und dann is Sense," sagt der ältere Mann.
















Zur Bürgersprechstunde ist allerdings kein Vertreter von Tesla erschienen. Stattdessen versuchten Vertreter des Beratungsunternehmens Arcadis die zahlreichen Fragen zu beantworten. Arcadis hat auch die artenschutzrechtliche Bewertung in der fast 250-seitigen Umweltverträglichkeitsprüfung erstellt ( PDF(öffnet im neuen Fenster) ). Die Bürger wollten dabei unter anderem wissen, ob die möglicherweise im Wald vorhandenen Fledermäuse tatsächlich während ihres Winterschlafes umgesiedelt werden könnten. "Das wird gemacht, das wird tatsächlich gemacht" , versicherte die Arcadis-Frau, "und weil das alles so schnell gehen soll, wird da ganz besonders drauf geguckt."
Trotz allem erscheint es widersprüchlich, für eine angeblich klimafreundliche Antriebstechnik bis zu 150 Hektar Wald abzuholzen, was einem Holzeinschlag von etwa 50.000 Kubikmetern entspricht. Da im Jahr 2018 deutschlandweit 65 Millionen Kubikmeter Wald geschlagen wurden(öffnet im neuen Fenster) , fällt diese Rodung jedoch nicht besonders ins Gewicht. Von den fast 30 Millionen verkauften Weihnachtsbäumen ganz abgesehen. Zudem hat sich Tesla verpflichtet, die dreifache Fläche mit ökologisch wertvollerem Mischwald aufzuforsten.
Was haben trockene Sommer mit Elektroautos zu tun?
Der Widerstand gegen die Fabrik ist daher teils irrational, teils dem Vorgehen von Politik und Tesla geschuldet. Die Landesregierung steht nun unter Druck, die unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit gemachten Vorgaben umzusetzen. Tesla wiederum will kein halbes Jahr mit den Rodungen warten, sondern sofort mit den Bauarbeiten beginnen. Denn Musk will den technischen Vorsprung beim Elektroautobau gegenüber den deutschen Herstellern natürlich möglichst gut ausnutzen.

Den Bürgern von Grünheide bleibt dabei kaum anderes übrig, als die Entscheidungen von Genehmigungsbehörden und Politik abzuwarten. Helfen könnte dabei der Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen den zuletzt sehr trockenen Sommern und der Notwendigkeit geben könnte, den CO2-Ausstoß des Verkehrs langfristig zu senken. Oder vielleicht findet die Frau aus dem Edeka, die jeden Tag über eine Stunde nach Berlin pendelt, einen guten Job bei Tesla. Dann könnte sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und ihren idyllischen Heimatort abends noch länger genießen.



