Koryphäen und Exoten
Bei der Recherche für ihr Buch hat Sabine Hossenfelder mit populären Kollegen über ihre Haltung zur Schönheit in der theoretischen Physik gesprochen, darunter mit Nima Arkani-Hamed, einem der führenden Teilchenphysiker. Dass die vorhergesagten Susy-Partner bisher nicht bewiesen werden konnten, versucht er mit einer Weiterentwicklung von Susy zu erklären, mit Split-Susy. Danach konnten die vorhergesagten Partner-Teilchen am LHC nicht produziert werden, weil sie schlichtweg zu schwer dafür sind. Für viele Kollegen war dieser Ansatz ein Affront und ein Bruch mit der Schönheit von Susy: "Ich wurde bei Konferenzen regelrecht von den Leuten angeschrien. Das ist mir vorher nie passiert und auch hinterher nicht mehr", zitiert ihn Hossenfelder.
Im Verlauf ihrer Recherchen traf sie auch den Nobelpreisträger Steven Weinberg, der 1979 für die Vereinigung der elektromagnetischen und schwachen Wechselwirkung ausgezeichnet wurde. Weinberg zieht gerne eine Analogie zur Pferdezucht: Wenn ein Züchter ein schönes Pferd auswählt, dann spricht durch sein Schönheitsempfinden auch die Erfahrung, die ihm sagt, dieses Pferd gehört zu der Sorte, die Rennen gewinnen kann. Entsprechend sieht er in der theoretischen Wissenschaft Ästhetik im Zusammenspiel mit Erfahrung. Das beschreibt er gegenüber Hossenfelder in einem langen Vortrag, der mit dem griechischen Altertum beginnt und schließlich in der Phantasie gipfelt, eine Weltformel zu finden, die alles beschreibt.
Einer, der glaubt, eine Art Weltformel gefunden zu haben, ist Garrett Lisi. Der auf der Hawaii-Insel Maui lebende Physiker und Extremsportler ist als unabhängiger Forscher gewissermaßen das Enfant terrible unter seinen Kollegen, vor allem wegen seiner Theorie von Allem, die er 2007 zum ersten Mal publiziert hat. Sie basiert auf der aus der Stringtheorie kommenden Lie-Gruppe E8. Diese nach dem norwegischen Mathematiker Sophus Lie benannte mathematische Struktur beschreibt ihre Elemente in einem mehrdimensionalen Raum so, dass sie sich drehen lassen, ohne dass die Gruppe ihr Aussehen verändert. Selbst wer keinen Hang für physikalische-mathematische Strukturen hat, wird Gefallen an der grafischen Darstellung von E8 finden, denn sie ist schlichtweg schön. Doch Lisi weiß, wie spekulativ seine Theorie ist, dass sie keineswegs bewiesen ist und eines Tages auch widerlegt sein kann.
Hossenfelders Buch ist für viele interessant. Wer zu ihrem Kollegenkreis zählt, fühlt sich nach der Lektüre vielleicht angeregt, die eigene wissenschaftliche Herangehensweise zu überdenken oder in die Diskussion einzusteigen. Wer über Gelder für die Forschung entscheidet, wird womöglich noch einmal genauer den Sinn der zu fördernden Projekte hinterfragen. Und interessierte Laien werden locker, aber nie oberflächlich, leidenschaftlich, aber immer mit Humor und mit reichlich Anspielungen auf Douglas Adams an das Thema herangeführt. So heißt ein Kapitel: "Der Weltraum, unendliche Weiten: In welchem ich versuche, einen Stringtheoretiker zu verstehen, und mir das fast gelingt".
"Das hässliche Universum: Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in eine Sackgasse führt" ist im Verlag S. Fischer erschienen und kostet 22 Euro. Das englische Original ist unter dem Titel "Lost in Math. How Beauty Leads Physics Astray" bei Basic Books erschienen.
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Physik: Weg mit der Schönheit! |
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Wo habe ich denn behauptet, dass die Theorien bewiesen sind? Ich schrieb nur, dass es...
Von einer "felsenfesten Überzeugung" kann ich in der Physik bei diesem Thema nichts...
Ein kleiner Nachsatz: Frau Hossenfelders "Antwort" auf das Zitat des Chefs der...
Stimmt! Bei mir hat es schon immer gestern geregnet! :D
Als jemand der Physik studiert hat, kann ich nur empfehlen die originalen Bücher zu...