Zum Hauptinhalt Zur Navigation

Pflege: Oma hat jetzt einen Roboter, da braucht sie mich nicht mehr

Gepriesen werden Pflegeroboter für die alternde Gesellschaft. Doch Wissenschaftler sehen darin aktuell eine eher dystopische Vision.
/ Tim Reinboth
19 Kommentare News folgen (öffnet im neuen Fenster)
Mit dem Roboter Paro wird seit über zehn Jahren in Altenheimen geforscht. (Bild: REUTERS)
Mit dem Roboter Paro wird seit über zehn Jahren in Altenheimen geforscht. Bild: REUTERS

In einer alternden Gesellschaft sollen Roboter das Mittel sein, um den wachsenden Pflegenotstand zu überwinden - eine vielversprechende Vision, die jedoch oft an den Bedürfnissen der Menschen vorbeizielt. Roboter versprechen Autonomie, aber in der Praxis bleibt unklar, wie sie tatsächlich für mehr Würde und Lebensqualität im Alter sorgen sollen. Das liegt daran, dass eine Lösung für das falsche Problem geschaffen wird. Statt Pflege menschlicher zu machen, könnten Pflegeroboter sie auf mechanische Aufgaben reduzieren.

Kritische Experten nennen den Versuch, ein gesellschaftliches Problem wie den Pflegenotstand mit Maschinen zu lösen, statt die zugrundeliegenden Umstände zu ändern, einen "technological fix" . Der Begriff geht auf den Philosophen A. R. Drengson zurück, der im Jahr 1984 beschrieb(öffnet im neuen Fenster) , wie moderne Gesellschaften dabei immer neue und komplexere Probleme schaffen.

Arne Maibaum, Doktorand der Soziologie an der TU Chemnitz, beschreibt die Herangehensweise an Pflegeroboter so: "Es heißt in der Debatte um Roboter in der Pflege heute oft nicht: Wir haben viele ältere Menschen, die gerne autonomer sein wollen, entwickeln wir dafür Technik! Sondern: Wir werden in Zukunft nicht mehr Pflegekräfte haben, wir wollen aber nicht besser bezahlen, wir wollen auch nicht mehr Einwanderung und eine andere Lösung sehen wir nicht. Also soll eine Technologie es lösen."

Die Lösung ist klar, doch für welches Problem genau?

Für Stevienna de Saille, Soziologie-Dozentin an der University of Sheffield, ist der beste Einstieg in das Thema die Frage: "Was ist das echte Problem, das wir lösen wollen?" Die übliche Antwort lautet: Roboter sollen dem Sozialstaat die Last einer alternden Bevölkerung abnehmen. Staat, Krankenkassen und Förderer beschäftigt vor allem, dass in Deutschland der Anteil der Pflegebedürftigen steigt, während der Anteil der Pflegenden von Jahr zu Jahr sinkt. Aus ihrer Sicht sollen Roboter in erster Linie dieses Verhältnis ändern. Doch dabei geht es um Zahlen, nicht um Menschen.

Die Soziologin sieht aber genau diese als das Wesentliche. "Sich umeinander zu kümmern, ist die grundlegendste Sache, die wir Menschen tun" , sagt sie. Darum müsse es auch in der Pflege gehen. Deswegen bedeute Pflegerobotik mehr, als besonders clevere Maschinen zu bauen. Die müssten auch ein würdevolles Altern ermöglichen. Doch, so de Saille: "Unser System ist überhaupt nicht für den Zweck geeignet."

Selbst die wissenschaftliche Leiterin des Forschungszentrums für Geriatronik der TU München, Martina Kohlhuber, resümiert, dass viele der bisherigen Pflegeroboter am Bedarf der Anwender vorbeikonzipiert worden seien. Denn viele Entwicklungen, sagt auch der Soziologe Maibaum, "starten nicht bei dem Bedarf der Menschen" , sondern bei den Robotern - jener Technologie, die als vermeintliche Lösung des Pflegenotstands bereits feststeht.

Wie Roboter helfen können

Auf dem Festival der Zukunft 2024 im Deutschen Museum in München wurden einige dieser personalisierten Roboter und Assistenztechnologien vorgestellt. Das Projekt SMILE2gether, an dem auch das Forschungszentrum für Geriatronik der TU München beteiligt ist, trat mit dem Greifarm Edan auf. Er ist an einem Rollstuhl befestigt und hebt eine Thermoskanne von einem kleinen Beistelltisch auf. So könnte der Arm einer Person im Rollstuhl etwas Wasser in den Becher schenken, der auf dem Tisch steht. Er bleibt zwar vorerst ein Prototyp, doch so und ähnlich sollen Roboter Menschen helfen, selbständiger ihren Alltag zu meistern.

Laut der Website des Forschungszentrums sollen die in Garmisch-Partenkirchen am Rande der Alpen entwickelten Maschinen "es älteren Menschen [ermöglichen] so lange wie möglich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen" . Das gilt vom einfach Greifarm bis zu dem komplexen, humanoiden Roboter GARMI(öffnet im neuen Fenster) .

Ein verhältnismäßig erfolgreiches System aus Japan heißt Paro. Das flauschige kleine Gerät sieht aus wie ein Robbenbaby. Es wird seit über einem Jahrzehnt zur Forschung in Altersheimen eingesetzt, unter anderem um Patientinnen mit Demenz zu beruhigen. Sie nehmen Paro auf den Arm und kuscheln mit ihm. Einige Pilotprojekte hatten damit Erfolg: Senioren mochten den Roboter und verbrachten damit Zeit. Laut diversen Studien waren die Versuchsteilnehmer ruhiger und schienen den Angestellten dabei glücklich.

Zu den wichtigsten allgemeinen Themen auf diesem Forschungsgebiet gehören heute die Fähigkeiten von Robotern, ob sie je sicher sein können, welche Folgen sie für Pflege und Pflegetätigkeit haben, wie sie von den Pflegebedürftigen akzeptiert werden(öffnet im neuen Fenster) , was sie für die Gesellschaft bedeuten und vieles mehr. Doch jedes dieser Themen ist komplex und braucht voneinander abhängige Antworten von den verschiedensten Beteiligten: von Patienten, Angehörigen, Pflegekräften und Krankenkassen, aber auch aus dem Ingenieurswesen, dem Rechtswesen, der Politik und zahllosen anderen Fachgebieten.

Trotz der vielen ungelösten Fragen sollen Roboter schon bald den Pflegenotstand lösen. Aber die Herausforderung, sagt Maibaum, "ist nicht die Technologie an sich, sondern wie sie eingesetzt wird."

Alleine mit den Robotern

Die Grundlage, um das zu beurteilen, ist wie fürs Forschungszentrum Geriatronik auch für Alberto Pirni die Autonomie. Doch dem Professor für Moralphilosophie an der Sant'Anna School of Advanced Studies in Pisa bedeutet das Konzept mehr, als selbständig tun zu können, was wir wollen. Vielmehr heiße autonom zu sein, auch im Alter "unser Lebensprojekt verfolgen" zu können. Doch darauf achtet eine rein technische Lösung nicht. Und die Entwicklung von Robotern läuft stets Gefahr, Autonomie auf Mechanik zu reduzieren - kann jemand alleine trinken, ja oder nein?

Denn der erste Schritt jeder technologischen Lösung sei es, die Aufgabe - hier: zu pflegen - im Vokabular des Ingenieurwesens zu formulieren. Dadurch wird Autonomie etwas Mechanisches. Der Roboter soll einem Patienten zum Beispiel ein Glas Wasser einschenken, damit er niemanden bitten muss, ihm zu helfen.

Doch das, sagt Maibaum, "ist dann die dystopische Vision: Ich sitze alleine in meiner Wohnung mit genug Technologie, um mich zu pflegen - und es kommt niemand mehr vorbei und sagt 'Hallo'." Und diese Welt ist hauptsächlich für jene komfortabler, die gerne ihre Verantwortung an Maschinen abgeben: Oma hat jetzt Roboter - da muss ich mich nicht mehr um sie kümmern. Wo bleibt da die Würde des Menschen?

Pflege ist menschlich - Roboter nicht

Darauf zu achten, sagen Pirni und de Saille, sei viel wesentlicher als die mechanische Autonomie. Denn autonom zu sein, heiße nicht, alles ohne Hilfe zu schaffen - in diesem Sinne sind auch junge gesunde Menschen nicht autonom. Zu pflegen bedeutet, sich Sorgen zu können und anwesend zu sein. Daher wird auch an "empathischen" Pflegerobotern geforscht(öffnet im neuen Fenster) , die das immerhin simulieren können.

Aufgaben in der Pflege, die Roboter übernehmen sollen, sind fast immer mehr als eine Bewegungsabfolge. "Dass man einer älteren Person die Strümpfe anzieht," sagt Maibaum, zum Beispiel, "ist mehr, als dass danach die Strümpfe angezogen sind. Dass man füttert, ist mehr, als dass nachher die Person gefüttert ist." Beim Strümpfeanziehen ist die Pflegekraft vielleicht der erste Mensch, den jemand morgens sieht. Die erste Person, die fragt, wie es einem geht - und sich für die Antwort interessiert. Auch offenbart sich der Pflegekraft in diesem alltäglichen Austausch viel über die Verfassung der gepflegten Person. Das alles könnte durch einen unbedachten Einsatz von Robotern verloren gehen.

Denn aktuelle Forschung frage sich oft nicht, "wie setzen wir die Technologie ein, so dass sich Menschen gepflegt fühlen" , sagt de Saille. Ebenso fragt die meiste Forschung nicht, welche Technologie älteren Menschen wirklich hilft. Roboter sollen eben eine Lücke im Arbeitsmarkt füllen und nicht älteren Menschen Fürsorge vermitteln.

Daran scheitern in einem gewinnorientierten System schon die prekär angestellten Pflegekräfte. Und Roboter werden es wohl nie können. Immerhin können sie die Pflegekräfte unterstützen(öffnet im neuen Fenster) , indem sie ihnen Arbeit abnehmen(öffnet im neuen Fenster) , sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Kohlhuber. So bleibe im Idealfall wieder "mehr Zeit für die Anwendung am Patienten."

Ein halbherziges Versprechen

Letztendlich reichen die vorhandenen Fördergelder allerdings ohnehin nicht aus, um zeitnah sichere und allgemein verfügbare Roboter für die Pflege zu bauen(öffnet im neuen Fenster) . Vielversprechende Unternehmen aus der privaten Wirtschaft scheitern, weil sie ihren Risikokapitalgebern nicht schnell genug Profite erwirtschaften(öffnet im neuen Fenster) . Und privatisierte wie auch öffentliche Pflegeeinrichtungen haben sowieso nicht die Mittel(öffnet im neuen Fenster) , um Roboter zu kaufen, ihr Personal zu schulen und ihre gesamten Einrichtungen entsprechend umzubauen.

Außerdem entwickeln Forscherinnen Roboter oft an den fundamentalen Bedürfnissen ihrer Zielgruppen vorbei, weil sie für Projekte, die wirklich helfen, keine Fördergelder bekommen. Stattdessen hat eine Forschungsgruppe vielleicht einen Paro am Institut und dann, sagt Maibaum, heiße es: "Wir haben diesen Roboter und jetzt bauen wir was." So kommt es dazu, dass dennoch ein Roboter für eine Pflegeeinrichtung für Kinder entwickelt wird, obwohl Befragungen klar zeigen, dass ein nächtlicher Aufenthaltsraum für Angehörige viel mehr helfen würde.

Das liegt auch daran, dass bisher oft unklar geblieben ist, wem genau Pflegeroboter womit helfen sollen. In vielen Skizzen und Prototypen helfen die Maschinen Menschen, die sich nicht gut bewegen können, die aber ansonsten gut mit der neuen Technik zurechtkommen und überhaupt wenig Einschränkungen haben: gesundheitlich wie finanziell. Doch diese Beschreibung trifft nur auf einen kleinen Bruchteil der Leute zu, denen in Zukunft ein Roboter helfen soll.

"Der Subtext" , sagt de Saille deswegen, "ist, dass es uns nicht genug kümmert, uns zu kümmern." Und so bleibt die Realität weit hinter den Zukunftsvisionen zurück, in denen Roboter es Menschen ermöglichen, selbstbestimmter und deswegen besser zu altern.


Relevante Themen