Ärzte, die nicht mitmachen, müssen Sanktionen fürchten
Sobald das System in Kraft tritt, werden sensible Patientendaten aus Bhatias Praxis im Monatsrhythmus auf NHS-Server übertragen: Neben biologischen Kennzahlen wie Blutdruck sind das auch Angaben zu Diagnosen, zu chronischen Erkrankungen, zu verschriebenen Medikamenten. Noch gibt es ein paar Ausnahmen: Angaben etwa zur sexuellen Identität, HIV-Infektionen, Geschlechtskrankheiten und Abtreibungen sollen zunächst nicht exportiert werden. Die Daten werden zusammen mit dem Geburtsdatum und dem Geschlecht des Patienten, der Postleitzahl und der NHS-Nummer übertragen, sind also mitnichten anonym. Die Anonymisierung soll erst im NHS-Rechenzentrum stattfinden - und als Arzt hat man keine andere Wahl, als beim neuen System mitzumachen. Wer die Daten nicht überträgt, soll vom NHS mit Sanktionen belegt werden. Nur der Patient selbst kann einen Opt-Out-Antrag einreichen.
Mit seiner Website will Bhatia eine Basis für informierte Entscheidungen schaffen. Für das, was er tut, wäre eigentlich der NHS selbst zuständig. Nicht zuletzt, um die Ärzte selbst zu informieren. Die meisten von ihnen haben auch nicht mehr Ahnung vom System als ihre Patienten: 80 Prozent wissen nicht genau, wie und wofür die Daten verwendet werden sollen. Sind die Daten erst in der NHS-Cloud, kann kein Hausarzt und kein Patient mehr herausfinden, was genau mit ihnen passiert.
Inzwischen kritisiert auch die britische Datenschutzbehörde den NHS. "Sagt den Leuten, was ihr tut, wie ihr es tut und wann ihr es tut", sagt Dawn Monaghan vom Information Commissioner's Office. Damit ist aber nicht Transparenz im Einzelfall der Datennutzung gemeint, sondern eine bessere Erklärung des geplanten Systems. Die vorherrschende Meinung von Regierungsbeamten: Das System ist toll, wir haben es nur nicht gut genug erklärt. Inzwischen wurde der Start um ein halbes Jahr verschoben. Bis zum Herbst will der NHS die Briten von care.data überzeugen.
Kein Kommunikationsproblem
Schlechte PR ist nicht das eigentliche Problem, glaubt Big-Data-Experte Viktor Mayer-Schönberger. Das care.data-Debakel habe nicht nur etwas mit Kommunikation zu tun. Was mit care.data nicht stimmt, ist "die konkrete Implementation, die den Menschen offensichtlich nicht genug Vertrauen gibt." Doch das bedeute noch lange nicht, dass das Prinzip Big Data im Gesundheitssektor versagt habe: "Die wenigsten Menschen würden sich dagegen stemmen, dass ihre Daten in der Forschung und zur besseren Diagnose und Behandlung von Krankheiten verwendet werden." Aber sie müssten dem System vertrauen können.
Vertrauen hätten die Patienten erst, wenn man ihnen echte Kontrolle über ihre Daten gäbe, sagt Bhatia. "Niemand traut mehr der Regierung zu, für sie Entscheidungen zu treffen." Patienten sollten bestimmen können, für welche Zwecke ihre Daten verwendet werden - etwa nur für internen NHS-Gebrauch, oder auch für kommerzielle Studien, allerdings nicht von dem Pharmakonzern X oder Y.
Und was passiert, wenn die Regierung einfach weitermacht wie bisher? "Ohne Einverständnis der Patienten wird es niemals Vertrauen geben. Die Zahl der Opt-Outs wird wachsen. Nach und nach werden mehr Leute von care.data erfahren und ihre implizite Zustimmung zurückziehen." Dann habe care.data aber keine Zukunft. Der NHS bliebe auf Datensätzen sitzen, die nicht mehr aktualisiert würden.
Dass die Regierung care.data aufgibt, hält Bhatia trotzdem für unwahrscheinlich: "Wir würden uns schon wieder zum Gespött machen." Zuletzt hat der NHS vor drei Jahren ein kostspieliges IT-Projekt abgebrochen. Das Lorenzo genannte System für elektronische Patientenakten war zehn Jahre lang in der Entwicklung. Kosten für die Steuerzahler: zehn Milliarden Pfund.
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Patientendaten: Der elektronische englische Patient |
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Ein hervoragender Überblick. Pass auf wenn Sie auch deutschen Verwandten, langfristigen...
hier war doch elena ein pilotprojekt... einen vorteil gibt es bestimmt: versicherung wird...