ÖPNV: Nichts aus dem 9-Euro-Ticket gelernt

Der Nachfolger des 9-Euro-Tickets soll so teuer werden, dass weniger Menschen den ÖPNV nutzen. Geholfen wäre damit niemandem.

Ein IMHO von veröffentlicht am
Das 69-Euro-Ticket wäre wohl ein Nullsummenspiel im Vergleich zur Zeit vor dem 9-Euro-Ticket.
Das 69-Euro-Ticket wäre wohl ein Nullsummenspiel im Vergleich zur Zeit vor dem 9-Euro-Ticket. (Bild: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Eigentlich war das 9-Euro-Ticket nur als Entlastung für den Sommer geplant. Inzwischen mehren sich aber Stimmen aus der Politik und zuletzt auch vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dass dieses Erfolgsmodell verstetigt werden soll.

Bei den bisher vorgestellten Überlegungen und explizit auch an dem Vorschlag für ein 69-Euro-Ticket zeigt sich jedoch: Die wichtigsten Aspekte des 9-Euro-Tickets (es ist günstig, bringt neue Kunden und weniger Autoverkehr) spielt für künftige Konzepte offenbar kaum eine Rolle. Klimapolitisch ist das ein Weg in die Sackgasse.

Auch wenn der Test des 9-Euro-Tickets sich gerade erst in der Halbzeit befindet und abschließende Bewertungen wohl noch sehr lange dauern werden, kann die Idee schon jetzt als absoluter Erfolg gewertet werden. So fahren mehr Menschen mit der Bahn, was auch Handydaten zeigen. Es gibt weniger Schwarzfahrer, Verkehrsdaten zeigen weniger Staus in Großstädten und dank des Tickets nutzen Menschen den ÖPNV, die ihn zuvor fast nie genutzt haben.

Bundesverkehrsminister Wissing sieht in dem Ticket gar die Chance, die Tarifstruktur mit einer ÖPNV-Reform umzubauen, mit dem Ziel, "den Tarifdschungel in Deutschland zu beenden".

69-Euro-Ticket lohnt sich nur für bisherige Abonnenten

Bleibt es bei der Stoßrichtung der Ankündigungen aus Politik und vom VDV, gibt es zwar bald ein bundeseinheitliches Nahverkehrsticket als Monatskarte. Die großen Vorteile des 9-Euro-Tickets wird es aber gerade nicht bieten können. Immerhin bewegt sich der Preis im Bereich dessen, was aktuelle Monatsabos in vielen Städten bisher schon kosten - mal etwas mehr, mal etwas weniger.

Signifikant sparen dürften also nur jene, die bereits sehr weite Strecken mit dem ÖPNV pendeln und entsprechend deutlich mehr für ihre Monatskarte bezahlen. Alle anderen Abokunden bekommen den Zusatz für Fahrten ins Umland zum ungefähren Preis ihres bisherigen Abos. Für 69 Euro im Monat pro Person lässt wohl aber kaum jemand ohne bestehendes Abo das eigene Auto stehen, schon gar nicht für einen Wochenendausflug ins Umland.

Und alle, die sich auch bisher weder Abo noch Auto leisten konnten, bleiben bei diesen Überlegungen weiter außen vor, weil das Ticket für sie schlicht viel zu teuer ist. Das 69-Euro-Ticket dürfte also vor allem ein Angebot für bisherige Abokunden und Pendler in die Großstadt sein.

Zu wenig Konsequenzen aus dem Erfolg des 9-Euro-Tickets

Der angekündigte Preisrahmen ist dabei bewusst prohibitiv gewählt. Immerhin ließe sich nach Ansicht des VDV so vermeiden, dass die Verkehrsmittel übermäßig belastet würden. Aus Sicht des VDV ist das 9-Euro-Ticket also schon zu erfolgreich. Das ist extrem enttäuschend. Hat doch gerade das 9-Euro-Ticket gezeigt, dass ein besonders günstiger Preis viele Menschen dazu bewegt, den ÖPNV stärker zu nutzen.

Offenbar sind sie dabei sogar bereit, einige Einschränkungen wie überfüllte Busse und Bahnen oder schlechte Taktverbindungen in Kauf zu nehmen. Hinzu kommt der sozialpolitische Aspekt, dass sich auch der arme Teil der Bevölkerung endlich Mobilität und Ausflüge leisten kann.

Meint es die Regierung ernst mit den Erfahrungen des 9-Euro-Tickets und ihren klimapolitischen Zielen, müsste sie eigentlich so reagieren: das Angebot des ÖPNV weiter massiv ausbauen und den Preis dafür dauerhaft niedrig halten. Das 69-Euro-Ticket wäre dagegen wohl eher ein Nullsummenspiel für VDV sowie Bund und Länder im Vergleich zu der Zeit vor dem 9-Euro-Ticket. Kommt es wirklich dazu, wäre das 9-Euro-Ticket eine vertane Chance, die Mobilität in Deutschland auch angesichts der Klimakrise konsequent zu verändern.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de [IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)]

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gollumm 28. Jul 2022

Hier geht es erst mal nur um die Berechnung, was der Kilometer kostet, wie man diese...

der_wahre_hannes 27. Jul 2022

Wie jetzt, es steigt niemand Dauerhaft wegen eines Tickets um, welches auf 3 Monate...

der_wahre_hannes 27. Jul 2022

Klar. Eine Kollegin, die täglich im Berufsverkehr in vollen Bahnen sitzt, steigt wegen...

Azzuro 27. Jul 2022

Und dazu braucht man ein Ticket das deutschlandweit gilt? Die 69 ¤ sind ja nur deshalb...



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