Agententhriller in den schrillen Sixties
Damit kann ich das Spiel installieren - aber nicht starten. Das funktioniert laut Forenbeiträgen nämlich nur bis Windows 8. Für Windows 10 muss ich hingegen zu härteren Maßnahmen greifen und mir allen Ernstes einen No-CD-Patch besorgen, der eigentlich zum Aushebeln des Kopierschutzes gedacht war. Dafür verzichte ich auf jegliche technische Modifikation, die beispielsweise die Auflösung hochschraubt oder auf Widescreen-Format dehnt. Schließlich möchte ich ein möglichst authentisches Retro-Feeling erleben.
Bereits beim Start des eigentlichen Spiels muss ich meinen inneren Wahrnehmungsschalter umlegen, um mich schonend auf die eckigen Polygone aus dem Jahr 2000 vorzubereiten. Dazu muss man wissen: Meine Nostalgielust reicht derzeit bis Mitte der 1990er-Jahre, weshalb ich durchaus wieder Spaß an pixeligen Shooter-Frühwerken wie Doom (1993) oder Dark Forces (1995) habe. Der Gedanke an die weiträumigen, klobigen Levels eines Star Wars: Jedi Knight aus dem 1997 oder an Half-Life (1998) schreckt mich hingegen eher ab, da ich sie als leer und kühl in Erinnerung habe.
NOLF hat zumindest einen Vorteil gegenüber den damaligen Konkurrenten: Das Spiel ist ungewöhnlich bunt, was dem Stil der Swinging Sixties geschuldet ist. Überhaupt fühlt sich die Idee, die Rolle eines weiblichen James Bond namens Cate Archer in einem Shooter zu übernehmen, richtig progressiv an - jedenfalls für das Jahr 2000.
Schließlich entstand der Titel zu einer Zeit, in der Kinofilme wie Gladiator, Mission Impossible 2 oder Pearl Harbor mit ihren Männerhelden die Charts dominierten und weibliche Protagonisten wie Erin Brockovich eher als mutige Ausnahmen angesehen wurden.
Habe ich in meinen letzten Retrorunden Oldies wie The Secret of Monkey Island (1990) oder Super Mario Bros. (1985) noch für ihre schnellen Einstiege gelobt, so stellt mich NOLF gleich mit seinem Intro auf die Geduldsprobe.
Ein Intro ist niemals genug
Oder besser gesagt: "Intros", denn das Spiel startet mit einer Fülle an Filmszenen, in denen die Geheimdienstorganisation Unity einen Agenten nach dem anderen verliert.
Zu dem Bund gehört auch Cate Archer, die sich eben noch am warmen Wasser ihrer Dusche erfreut und unverhofft von ihrem Kollegen Bruno Lawrie kontaktiert wird. Während der sich mir gegenüber zivilisiert und freundschaftlich benimmt, entpuppt sich die Einsatzbesprechung bei meinen beiden obersten Vorgesetzten als höchst unangenehm.
Der eine klingt zwar schön neutral, der andere konfrontiert Cate jedoch mit sexistisch-abfälligen Kommentaren. Frei nach dem Motto: Eine Frau könne bereits aufgrund ihrer emotionalen Unausgeglichenheit keine gute Agentin sein.
Auf nach Marokko
Nach knapp einer Viertelstunde geht das Spiel endlich richtig los. Ich befinde mich in Marokko, um den in Deutschland stationierten Botschafter Morris Monroe zu beschützen. Der ist ins Visier der Verbrecherorganisation H.A.R.M. geraten, weshalb ich in einem Hotelzimmer starte und mein Scharfschützengewehr auspacke.
Die erste Spielszene hat folgerichtig etwas von Schießbude, wird jedoch durch einen kleinen Kniff gekonnt aufgewertet: Lawrie fragt mich über Funk, ob ich seine Hilfe benötige und er mir durchgeben soll, an welcher Position der nächste Attentäter erscheint. Auf diese Weise integriert das Spiel geschickt die Wahl zwischen zwei Schwierigkeitsgraden, auch wenn sich die Entscheidung nur auf diese eine Szene beschränkt. Aber immerhin.
Zwischendurch muss ich das Zimmer wechseln und Monroe erneut zur Seite stehen, diesmal allerdings ohne Scharfschützengewehr und aus direkter Nähe. Hier nervt mich die unfassbare Dämlichkeit des Botschafters, dem ständig Münzen aus seiner Hosentasche fallen, und der zu doof ist, sie zu finden.
Gleichzeitig rauschen von überall her neue Schurken an, die ich nicht alle gleichzeitig im Blick haben kann. Deshalb muss ich schon in dieser frühen Phase meinen ersten Fehlschlag in Kauf nehmen.
Der zweite Versuch glückt mir zwar, doch dafür muss ich jetzt gewaltsam aus dem Hotel entkommen. Die Schussfreudigkeit meiner Gegner überwältigt mich dezent - auch, weil sich weder meine verlorene Lebensenergie regeneriert noch sich Medipacks auffinden lassen. Ich stolpere nur ab und an über eine kugelsichere Weste, die seltsamerweise ebenfalls einen Energiebalken besitzt. Hach ja, das schlichte Gemüt der 2000er-Jahre.
Die Flucht ist alles andere als einfach: Das Hotel ist groß und ziemlich verzweigt; hinter jeder Ecke muss ich mit ein bis drei Feinden rechnen. Laufe ich frontal auf sie zu, kann ich gleich den alten Spielstand laden. Automatisches Speichern gibt es hier nicht - das gute alte "Save early, save often"-Prinzip ist angesagt.
Unabhängig von diesen Balancing-Problemen gefällt mir jedoch, was ich erlebe. Ich hatte NOLF zwar wie schon erwähnt zu seiner Zeit gespielt, jedoch ist meine Erinnerung sehr getrübt, deshalb fühlt sich alles herrlich frisch und unverbraucht an.
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Na dafür gibt es doch genügend belangloses Einheitsgeballer und dergleichen, da ist ein...
Zitat: naja so unrealistisch ist das garnicht. Es kommt eigentlich immer zum...
Das war mir tatsächlich neu. Gerade dieses Spiel ist mit dem O-Ton so super und vom...
und der ist sogar sehr gut gemacht, zocke ich regelmäßig. Das einzige was Engine...