Zum Hauptinhalt Zur Navigation

Soft Skills in IT-Jobs: "Fehler sind natürlich sehr wichtig beim Lernen"

Chefs von Devs
Pragmatismus und Menschlichkeit gehören für Mindaugas Mozūras, VP of Engineering beim litauischen Start-up Vinted, zu den wichtigsten Skills für Ingenieure.
/ Daniel Ziegener
News folgen (öffnet im neuen Fenster)
Chefs von Devs ist der Golem.de-Newsletter für IT-Entscheider. (Bild: Sigmund/Golem.de)
Chefs von Devs ist der Golem.de-Newsletter für IT-Entscheider. Bild: Sigmund/Golem.de / Unsplash

Dieser Beitrag ist die 7. Ausgabe von Chefs von Devs, dem Golem.de-Newsletter für CTO, Technical Directors und IT-Profis. Alle zwei Wochen erscheint eine neue Ausgabe. Chefs von Devs kann hier kostenlos abonniert werden .

Wir befinden uns in den letzten Tagen des Sommers und auch die Mitarbeiter Ihrer Unternehmen haben sich wohl ihre verdiente Erholung gegönnt. Manchmal braucht man einfach eine Pause, auch wenn wir ja vermeintlich nur in Meetings und vor dem Computer sitzen.

Zugegeben, so ganz leicht fällt das auch mir als Redakteur bei Golem.de nicht. Meinen letzten Kurzurlaub habe ich direkt in einem Erfahrungsbericht über den Status Quo der Elektromobilität in Deutschland verwertet.

Mit den Gefahren von Burnout und Depression haben sich in den letzten Monaten Autorinnen und Autoren von Golem.de beschäftigt. Studien zufolge leiden 9,5 Prozent aller IT-Fachleute an Angststörungen (g+) - mehr als ein Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Durch den Fachkräftemangel sind qualifizierte ITler gefragt, aber auch überlastet.

Wenn die Nachfrage höher als das Angebot ist, müssen Teamleiter auf der Suche nach Bewerbern also mehr bieten als nur ein hohes Gehalt. "Es ist offensichtlich, dass eine gute Bezahlung heute nicht mehr ausreicht" , sagte der damalige Boldare-CTO Jaroslaw Kroczek in einem Interview mit Golem.de , "man muss auch eine tolle Kultur und etwas Besonderes und Einzigartiges zu bieten haben."

Dieses Besondere ist für Vinted-Chefentwickler Mindaugas Mozūras nicht etwa das Start-up-Klischee von Obstkorb und Kickertisch, sondern ein menschlicher Umgang miteinander. Das mache nicht nur die Mitarbeiter glücklicher, sondern langfristig auch die Produkte besser, sagt er. Wie er zu dieser Erkenntnis gekommen ist, erklärt er im folgenden Gespräch mit Chefs von Devs.

­ Vinted ist ein Online-Marktplatz, auf dem Nutzer Kleidung tauschen können. Laut eigenen Angaben nutzen mittlerweile 65 Millionen Menschen die 2008 in Litauen gegründete Plattform. Seit mehr als zehn Jahren ist Mindaugas Mozūras dabei - zunächst als Teil des Entwicklungsteams, seit 2015 als Chef von mittlerweile 400 Entwicklern. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie man in einem kleinen Land wie Litauen Fachkräfte findet und wann auch eine Führungskraft mal Fehler eingestehen muss.

Interview mit Mindaugas Mozuras von Vinted

Golem.de: Zehn Jahre bei einem Start-up sind eine lange Zeit. Wie hat sich die Internetbranche verändert?

Mindaugas Mozūras: Als ich zu Vinted kam, war eines der ersten großen Projekte, Vinted auf ein Handy zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt war der Mobile-Markt noch ziemlich neu, Shopping auf dem Handy war noch ziemlich neu. Heute haben wir alle Smartphones.

Es gibt mehr und bessere Technologien, mehr Anwendungsfälle, mehr Verbraucher, die Technologie nutzen und sich mit Technologien beschäftigen. Aus diesem Grund gibt es natürlich auch viel mehr Technologieunternehmen, viel mehr Start-ups, die globale Produkte entwickeln.

Wir haben jetzt beispielsweise Ingenieure, die sich voll und ganz auf die Suche spezialisieren, die wissen, wie sie die Suche verbessern können. Das hatten wir vor zehn Jahren nicht. Es gibt eine stärkere Spezialisierung in diesem Bereich.

Golem.de: Hat diese Spezialisierung es schwieriger gemacht, offene Stellen zu besetzen?

Mindaugas Mozūras: Technische Talente zu finden, war schon immer schwierig. Das gilt auch für Litauen, aber wahrscheinlich ist die Situation in jedem Land ähnlich. Es besteht ein größerer Bedarf an technischen Fachkräften, als Talente vorhanden sind. In Litauen müssen viele Unternehmen um die gleichen Talente konkurrieren. Das wirkt sich auf die Vergütung aus. Die Gehälter für technische Talente steigen, und wir müssen mitziehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und um Stellenangebote zu haben, die für die Bewerber attraktiv sind.

Wir haben eine Menge großartiger Backend-Ingenieure, Frontend-Ingenieure, Mobile-Ingenieure. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es bereits jemanden gibt, der diese Spezialisierung in seinem Unternehmen haben möchte. Deshalb investieren wir in die Weiterbildung unserer eigenen Mitarbeiter und helfen ihnen, sich in diesen Bereichen zu spezialisieren. Aber es gibt auch Situationen, in denen wir gezielt Leute aus anderen Ländern, nicht aus Litauen, einstellen, um diese Spezialisierung in das Unternehmen zu bringen.

Golem.de: Ihre Teams sitzen nicht nur in Litauen, sondern unter anderem auch in Berlin. Wie organisieren Sie das?

Mindaugas Mozūras: Wir haben uns für ein Hybridmodell entschieden. Wir haben unseren Hauptsitz hier in Vilnius in Litauen. Wir sehen, dass viele Leute immer noch Wert darauf legen und es zu schätzen wissen, ins Büro zu kommen, sich persönlich zu treffen und vor einem Whiteboard zusammenzuarbeiten. Aber auch die Flexibilität, die wir während der Pandemie gelernt haben, ist sehr wichtig.

Zudem schaffen wir ein Umfeld, das diese Tage im Büro produktiver macht, zum Beispiel, indem wir Meetings in persona führen, was mehr Vertrauen schafft und - unserer Erfahrung nach - kreativere Ergebnisse. Einige unserer Mitarbeiter haben uns auch gesagt, dass die Tage im Büro ihre Stimmung und ihr Wohlbefinden deutlich verbessern. Wir glauben, dass wir die Ziele des Unternehmens nur erreichen können, wenn wir die Menschen fördern. Und dass es sehr wichtig ist, den Mitarbeitern die Freiheit zu geben, ins Büro zu gehen, zu Hause bleiben oder remote zu arbeiten, wann immer sie das möchten.

Golem.de: Sie achten also sehr auf Ihre Mitarbeiter. Was bedeutet das für Sie als Teamleiter?

Mindaugas Mozūras: Neben den Hard Skills, die für einen guten Ingenieur entscheidend sind, braucht man auch Soft Skills. Wenn Sie großartige Fähigkeiten haben, aber nicht in der Lage ist, mit anderen Ingenieuren zusammenzuarbeiten, ist das nicht sehr effektiv. Effizienz, Pragmatismus und Menschlichkeit sind meiner Meinung nach für alle Ingenieure sehr wichtig.

Um ein effizienter Ingenieur zu sein, muss man erkennen können, welche Aktivitäten mit geringerem Zeitaufwand die größte Wirkung erzielen. Pragmatismus ist für mich die Einsicht, dass perfekte Software nicht existiert. Niemand hat jemals ein perfektes Stück Software geschrieben. Und es ist unwahrscheinlich, dass Sie der Erste sein werden - das muss als Tatsache akzeptiert werden.

Und dann schließlich die Menschlichkeit: Es gibt einige Ingenieure, die bei ihrer Arbeit nicht mit vielen anderen Menschen zu tun haben müssen. Auf Dauer empfiehlt es sich jedoch vor allem in Engineering-Teams, eine zwischenmenschliche Beziehung zueinander aufzubauen sowie Empathie und Verständnis füreinander zu entwickeln. Das vereinfacht die Kommunikation. Wir sind sehr von unserer Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren, abhängig. Jeder im Team muss verstehen, dass der eigene Erfolg untrennbar mit dem Erfolg des gesamten Teams verbunden ist.

Golem.de: Was passiert in so einem Team, wenn jemand einen Fehler macht?

Mindaugas Mozūras: Wir betrachten das als Kultur des Lernens. Ich würde nicht das Wort "Fehler" verwenden, sondern eher das Wort "Lernen". Aber Fehler sind natürlich sehr wichtig beim Lernen. Wir möchten ein Umfeld schaffen, in dem Ingenieure so viele Entscheidungen wie möglich eigenständig treffen können. Dadurch können die Teams und einzelne Mitarbeiter effektiver arbeiten: Man muss also nicht erst die gesamte Befehlskette durchlaufen, um herauszufinden, ob man etwas tun darf oder nicht.

Wir schreiben ständig Post Mortems und in diesem Spirit schreiben wir sie ohne Schuldzuweisungen. Die Idee des Post Mortems ist nicht, die Person zu finden, die den Fehler gemacht hat, sondern es geht darum, systemische Probleme zu beseitigen.

In einer Kultur, in der jeder mit jeder Entscheidung zu Ihnen kommt, passieren zwar erst mal weniger Fehler. Aber das funktioniert nur kurzfristig. Denn was Sie eigentlich wollen, ist, dass Ihre Mitarbeiter wachsen und lernen können. Sie müssen ihnen die Möglichkeit dazu geben. Kurzfristig hat das vielleicht den negativen Effekt, weil die Menschen Fehler machen, während sie lernen. Aber auf lange Sicht führt das zu einem viel besseren Ergebnis.

Golem.de: Und wie gehen Sie mit eigenen Fehlern um?

Mindaugas Mozūras: Wenn ich Fehler mache, versuche ich, so offen wie möglich mit ihnen umzugehen. Je nach dem Ausmaß des Fehlers bin ich natürlich auch sehr froh, selbst einen Vorgesetzten zu haben - den CEO als Mentor - der eigene Fehler ebenfalls sehr offen zugibt. Das finde ich inspirierend und es schafft eine starke Lernkultur. Ich versuche, dasselbe in meinen Teams zu tun.

Golem.de: Gibt es etwas, das Sie Ihren Kollegen, die Ingenieurteams leiten, empfehlen würden?

Mindaugas Mozūras: Ich denke, es gibt nicht die eine Empfehlung, die für alle passt. Aber was ich als sehr wichtig empfunden habe, war, mehr über mich selbst zu erfahren und zu lernen: Wie funktioniere ich, was ist für mich wichtig und wie reagiere ich? Ich glaube, viele Menschen, die in die Softwareentwicklung kommen, sind sehr daran interessiert, technische Probleme zu lösen, und sie sind weiterhin sehr an diesen technischen Problemen interessiert, auch wenn sie Teamleiter werden. Der menschliche Teil von Führung kommt dabei oft zu kurz. Dabei ist es der wichtigere.

Eine entscheidende Führungsqualifikation ist in meinen Augen die Fähigkeit, mit sich selbst umgehen zu können, den eigenen emotionalen Zustand zu managen. Diese Fähigkeit entwickelt man, indem man sich selbst besser versteht. Mir hat auf diesem Weg geholfen, dass ich einige Jahre lang eine Therapie gemacht habe. Es gibt noch andere Möglichkeiten, diese Reise anzutreten. Aber es geht darum, sich selbst besser kennenzulernen und besser zu verstehen.

Was ihr jetzt noch lesen solltet

Das Beratungsunternehmen , aus welchen Gründen sie am Arbeitsplatz am ehesten erschöpft sind. 56 Prozent gaben an, unter Leistungsdruck zu leiden, 43 Prozent unter Zeitdruck. Wenige sehen Probleme bei den Kollegen oder Konkurrenzkampf.

Mindaugas Mozūras spricht zum Ende des Interviews das tabuisierte Thema Psychotherapie an. Er empfiehlt Maybe You Should Talk to Someone von der Therapeutin Lori Gottlieb: "Die Autorin beleuchtet beide Seiten von Therapie: ihre eigene Trennungsgeschichte und den anschließenden Therapieaufenthalt" , erzählte er im Gespräch für Chefs von Devs.

"Und sie erzählt auch ein paar Geschichten über ihre eigenen Klienten. Auf diese Weise vermittelt das Buch ein umfassendes, zusammenhängendes Bild davon, worum es in der Therapie geht." Denn für Mozūras ist die Therapie nicht nur eine Behandlungsmethode, sondern auch ein Weg, sich selbst besser kennenzulernen - ein ungewöhnlicher, aber ehrlicher Ratschlag.

Bei allem Fokus auf den zwischenmenschlichen Aspekt seiner Arbeit hat uns Mozūras aber auch noch "das beste technische Buch" mit auf den Weg gegeben, das er in diesem Jahr gelesen hat: Fundamentals of Software Architecture: An Engineering Approach von Mark Richards und Neal Ford.

Er schätzt daran, dass das Buch mehr als nur eine Sammlung von Mustern und Architekturstilen ist: "Die Autoren leisten hervorragende Arbeit, indem sie darlegen, was bei der Auswahl einer Architektur zu berücksichtigen ist, welche Kompromisse beziehungsweise Risiken bestehen und was antizipiert werden kann." Die Antwort lautet dem VP of Engineering von Vinted nach immer: "Es kommt darauf an."

In den bisherigen Ausgaben von Chefs von Devs sprachen wir unter anderem mit den CTOs des Open-Source-Entwicklers Suse, dem grünen Logistik-Unternehmen Seven Senders und der von einem Hackerangriff betroffenen Deutschen Windtechnik.

Ihr kennt einen Team-Lead oder Unternehmen, die in diese Liste passen? Dann schickt mir eine E-Mail an daz@golem.de - und vielleicht lest ihr sie schon bald hier im Gespräch. Unter dieser Adresse bin ich auch für sonstiges Feedback erreichbar.

Falls ihr den Newsletter noch nicht abonniert habt, könnt ihr das hier kostenlos tun. Chefs von Devs erscheint alle zwei Wochen und bietet Einblicke in die Arbeit und Denkweise von den Menschen, die die wichtigsten Teams der IT-Branche leiten.


Relevante Themen