Neue iPhones: Apple und der Fluch des Wow-Effekts

Ein Aspekt von Apples jährlichen iPhone-Vorstellungen, die der Hersteller im Vorfeld kaum selbst beeinflussen kann, sind Erwartungen. Aus früheren Zeiten gewohnt, scheinen viele Zuschauer auf das "next big thing" zu warten, auf einen Wow-Effekt - auf ein Gerät wie das erste Macbook Air, das Steve Jobs aus einem Papierumschlag zog. Oder auch Jobs' unvergessene Ankündigung des ersten iPhones - "An iPod, a phone, an internet mobile communicator ..."
Erwartungen haben die unschöne Eigenschaft, recht schnell in Enttäuschung umzuschwenken, sollten sie nicht erfüllt werden. So geschehen während des gestrigen Apple-Events, als Tim Cook nach rund 40 Minuten der Apple-Präsentation das neue iPhone 16 mit dem Satz ankündigte: "Die nächste Generation der iPhones wurde von Grund auf neu designt für Apple Intelligence."
Zu sehen bekamen Zuschauer anschließend ein iPhone, das bis auf neue Farben und minimale Design-Änderungen so aussieht wie sein Vorgänger. Auch die neuen Pro-Modelle sehen den vorigen Geräten zum Verwechseln ähnlich. Insgesamt dauerte Apples Präsentation mehr als anderthalb Stunden und wirkte mitunter arg gestreckt, auf Reddit(öffnet im neuen Fenster) äußern sich Apple-Fans eher mäßig euphorisiert.
Kleine Verbesserungen bei der Hardware
"Von Grund auf neu" kann sich natürlich auch auf Hardware beziehen - die allerdings der Ausstattung der Vorjahresmodelle bis auf einen etwas schnelleren Chip (der vorige dürfte schon für die meisten Nutzer mehr als schnell genug gewesen sein), eine neue Superweitwinkelkamera und etwas größere Displays bei den Pro-Modellen auch sehr ähnlich ist. Interessanteste Neuerung ist der Kameraauslöser, der touch-empfindlich ist und weitere Kameraeinstellungen bietet. Sony wird sich die Augen gerieben haben: Der japanische Hersteller verbaut seit eh und je einen Auslöser in seine Smartphones.



Apple hat wie viele andere Hersteller seit Jahren das Problem, dass die Hardware aktueller Premium-Smartphones für den überwiegenden Großteil der Nutzer ausreicht. Fotos sehen bei Apple, Samsung und Google seit Jahren gut aus, die Smartphones sind so leistungsfähig, dass ein paar Megahertz an Leistung im Alltag nicht mehr auffallen. Die Displays haben tolle Farben und sind superscharf, Internetverbindungen sind für fast alle Nutzer mehr als ausreichend schnell.
Da Apple sich bislang noch nicht auf neue Smartphone-Kategorien wie faltbare Geräte einließ, muss das Unternehmen nun vor allem im Software-Bereich vorlegen. Das Problem dabei ist: Apple ist beim Dauerthema KI so spät dran, da man erst dann einstieg, als AI, Artificial Intelligence, schon zum leeren Marketingbegriff zu werden drohte. Vor allem Android-Nutzern dürften viele der neuen Funktionen von Apple Intelligence bekannt vorkommen.
Apple erfand beispielsweise mit Visual Intelligence eine Funktion, die Google Lens entspricht. Über die Kamera können iPhone-Nutzer Dinge anvisieren, der Bildinhalt wird dann über Apple Intelligence, also Apples KI-System, analysiert. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise Hunderassen identifizieren oder Grafiken analysieren - andere KI-Anbieter bieten das bereits seit einiger Zeit an.
KI-Funktionen, die andere Hersteller bereits haben
Auch den Magic Eraser hat Apple nun für sich entdeckt. Apple nannte die Bildbearbeitungsfunktion während der Vorstellung "Clean Up tool" und wie bei Googles Pendant lassen sich störende Bildelemente aus Fotos entfernen. Dabei sollen auch zu den Objekten gehörende Schatten und Spiegelungen beseitigt werden - daran scheitert Googles Magic Eraser in der Regel bislang noch.
Über Apples KI können Nutzer künftig auch Texte umschreiben lassen, etwa beim Verfassen einer E-Mail. Dabei lassen sich unterschiedliche Stilistiken wählen; auch eine simple Fehlerkorrektur ist möglich. Nutzer von Samsung-Smartphones kennen diese Funktion bereits seit einigen Monaten.
Apple hat seine Sprachassistentin Siri mit KI aufgemotzt. Siri soll in Zukunft wesentlich nützlicher sein und unter anderem auch Sprachbefehle verstehen, bei denen Nutzer sich verhaspeln und korrigieren. Das dürfte Pixel-Nutzern bekannt vorkommen: Google stellte mit den aktuellen Pixel-9-Modelle Gemini Live vor, das eine natürliche Konversation mit der KI ermöglicht.
Apple ist spät dran mit KI-Funktionen
Dass Apple mit seinen KI-Funktionen später als die Konkurrenz dran ist, dürfte unter anderem an den Negativbeispielen der Konkurrenz liegen. Apple dürfte mitbekommen haben, wie sich beispielsweise Google nach der ersten Veröffentlichung von Gemini in die Nesseln setzte. Mit derartigen möglichen Imageschäden geht man bei Apple in der Regel sehr vorsichtig um, was für Nutzer bedeutet, dass sie Funktionen oft erst später erhalten. Dass Fehler, auch derart öffentliche wie damals bei Gemini, zu schnellen Verbesserungen führen, wovon Gemini-Nutzer mittlerweile profitieren, steht auf einem anderen Blatt.
Interessant ist Apples Ansatz, für Berechnungen, die nicht auf dem iPhone selbst stattfinden können, spezielle Server zu verwenden. Diese werden ausschließlich für Apple Intelligence verwendet und sollen weder Suchanfragen speichern, noch Daten weiterverwenden. Das bedeutet, dass auch die über Apple Intelligence erfolgten Anfragen an ChatGPT sicher bleiben sollen.
Über Apples KI-Ankündigungen für die neuen iPhones schwebt aber ein recht großes Aber: Mit der Veröffentlichung der neuen iPhones und dem Upgrade auf iOS 18 stehen mitnichten alle Apple-Intelligence-Funktionen bereit. Stattdessen wird Apple diese schrittweise verteilen: "Die ersten Funktionen von Apple Intelligence werden im nächsten Monat als Teil von iOS 18.1, iPadOS 18.1 und macOS Sequoia 15.1 in der Beta-Version verfügbar sein, weitere Funktionen werden in den kommenden Monaten folgen" , erklärt Apple in seiner Pressemitteilung(öffnet im neuen Fenster) . Bei den iPhones bekommen nur die Modelle der 16- und der 15-Pro-Reihe die neuen KI-Funktionen.
Apple kündigte Apple Intelligence zunächst für US-Englisch an, weitere Sprachen sollen folgen - teilweise erst 2025. Die Frage ist, welche der Funktionen dann auch in Deutschland funktionieren werden. Angesichts der Datenschutzregeln in Europa dürfte beispielsweise die Aufzeichnung und Niederschrift eines Telefonats hierzulande ebenso wenig erscheinen wie Googles vergleichbare Funktion für die Pixel-Geräte.
Gibt es noch den Wow-Effekt?
Vor allem, wer sich in Deutschland eines der neuen iPhones kauft, wird vorerst nur mit den wenigen anderen Verbesserungen leben müssen. Das reicht nicht für den großen Wow-Effekt - aber vielleicht müssen Apple-Fans sich daran gewöhnen, dass es diesen nicht mehr geben wird.



